Keine andere Resolution der Vereinten Nationen hat eine solche Wirkung entfaltet wie die Resolution, die in amtlich-trockener Zählung die Nummer »217 A (III)« trägt; besser bekannt unter dem Titel: »Allgemeine Erklärung der Menschenrechte«. Nach den Verheerungen zweier Weltkriege und in einer noch durch den Kolonialismus gezeichneten Welt, verpflichteten sich 1948 alle UN-Mitgliedsstaaten, die Förderung und den Schutz der Menschenrechte als eine Aufgabe der gesamten Völkergemeinschaft zu betrachten.
Den Unterzeichnern war bewusst, dass sie mit ihrem globalen Bekenntnis zur angeborenen Würde und Gleichheit aller Menschen, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Religion oder Herkunft ein Ideal formulierten, dessen Erfolgsaussichten durchaus nicht feststanden. Tatsächlich ist das Ziel bis heute längst nicht weltweit erreicht: An vielen Stellen unserer Erde werden Menschenrechte tagtäglich systematisch mit Füßen getreten. Dennoch wäre es unredlich, die Wirkungskraft zu verkennen, die die Erklärung in den zurückliegenden sechs Jahrzehnten entfaltet hat. Papst Benedikt XVI. hat bei seiner Rede vor der UN-Vollversammlung im April dieses Jahres dankbar anerkannt, dass die Erklärung der Menschenrechte wesentlich dazu beigetragen hat, dass ganz unterschiedliche Kulturen und Rechtssysteme »rund um einen grundlegenden Kern von Werten« Übereinkunft erzielen konnten. So würden die Menschenrechte immer mehr zur »gemeinsamen Sprache und zum ethischen Substrat der internationalen Beziehungen«.
Wenn man die globalen Entwicklungen anschaut, verwundert es nicht, dass unter den klassischen Menschenrechten das Recht auf Religionsfreiheit neu an Brisanz gewinnt. Dies liegt vor allem an der Diskussion mit dem Islam. Das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit wird in den westlichen Ländern jüdisch-christlicher Prägung einerseits und den islamisch geprägten Ländern andererseits unterschiedlich interpretiert: Während wir in den westlichen Ländern die Religionsfreiheit als ein Freiheitsrecht der einzelnen Person verstehen, wird von islamischen Vertretern zunehmend ein Schutz der Religion als solcher gefordert. Ein solcher Schutz soll vor allem Kritik und Diffamierungen der Religion (wie etwa die Mohammedkarikaturen in dänischen Zeitungen) abwehren. So sehr es berechtigt ist, die eigenen Überzeugungen und religiösen Gefühle vor Verunglimpfung zu schützen, so sehr ist darauf zu achten, dass nicht pauschal auch ernsthaft kritische Auseinandersetzungen mit religiösen Institutionen und Praktiken unter Verdacht geraten. Sonst gerät nämlich letztlich sogar das Recht auf Religions- und Gewissensfreiheit, das die Möglichkeit solcher Auseinandersetzung einschließt, in Gefahr. Durch einen solchen „Ehrschutz“ für die Religion könnte gleichfalls das Recht auf Meinungsfreiheit bedroht werden. Beides wäre fatal.
Aufgrund ihrer eigenen, zum Teil sehr schmerzlichen Lerngeschichte bringt gerade die katholische Kirche für diese Thematik eine besondere Sensibilität mit. Es war ein langer Weg in der Spannung zwischen dem universalen Wahrheitsanspruch des Glaubens und dem individuellen Freiheitsrecht der Person, der schließlich das Zweite Vatikanische Konzil zu der Überzeugung brachte, dass die Wahrheit nicht anders Anspruch erhebt als kraft der Wahrheit selbst (DH 1). Johannes Paul II. hat unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2002 nachdrücklich daran erinnert, dass die Wahrheit niemals aufgezwungen werden kann: »Die Achtung vor dem Gewissen des anderen, in dem sich das Abbild Gottes selbst widerspiegelt, gestattet nur, die Wahrheit dem anderen vorzulegen; an ihm liegt es dann, sie verantwortungsvoll anzunehmen.«
In diesem Sinn bietet sich die Kirche - nicht zuletzt durch die Arbeit von Justitia et Pax - den Staaten, Religionen und Organisationen als Dialogpartner an, damit immer mehr Menschen in den Genuss ihrer unveräußerlichen Rechte kommen.