Im Mai diesen Jahres habe ich mitgeteilt, die Aufgabe des Beauftragten der Deutschen Bischofskonferenz für Fragen sexuellen Missbrauchs und des Kinderschutzes abzugeben – nach zwölf Jahren in dieser Verantwortung erschien mir das ein richtiger Schritt. Mit meiner Ankündigung ging einher, dass die Deutsche Bischofskonferenz die Arbeit auf diesem Themenfeld neu strukturieren und auf breitere Schultern legen möchte. Das haben wir hier in Fulda beraten und beschlossen.
Bevor ich Ihnen die Eckpunkte der Neustrukturierung vorstelle, möchte ich Ihnen als meinen Nachfolger Bischof Dr. Helmut Dieser (Aachen) vorstellen und als dessen Stellvertreter Erzbischof Stephan Burger (Freiburg). Bischof Dieser übernimmt meine Aufgabe als Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz, auch wenn die Funktion – Sie werden das in den Eckpunkten feststellen – künftig etwas anders heißen wird.
Vor dem Hintergrund neuer Aufgaben, veränderter Anforderungen und Erwartungshaltungen sowie gesteigerter Sensibilität für Fragen jedweder Form des Missbrauchs hat die Herbst-Vollversammlung der Bischöfe im Jahr 2021 auf meine Anregung hin beschlossen, ein Konzept zur Neustrukturierung des Themenfeldes „Fragen des sexuellen Missbrauchs und Gewalterfahrungen“ zu erarbeiten. Die Herbst-Vollversammlung 2022 hat Eckpunkte zur Neustrukturierung beraten, denen verschiedene Sondierungsgespräche mit Akteuren aus der diözesanen Praxis, mit Vertretern des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) und einzelnen Expertinnen und Experten sowie ein enger Austausch mit dem Betroffenenbeirat bei der Deutschen Bischofskonferenz vorangegangen sind. An dieser Stelle gilt besonderer Dank den Vertretern des Betroffenenbeirats, die in der gestrigen Sitzung zu Gast hier in Fulda waren und ihre Perspektive und Expertise eingebracht haben. Die Herbst-Vollversammlung hat den Eckpunkten zum vorgelegten Konzept zugestimmt. Dieses Konzept zeichnet sich durch folgende Grundzüge aus:
Bereits bestehende Strukturen auf der Ebene der Deutschen Bischofskonferenz, wie die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA), bleiben hiervon unberührt.
Die kritische Begleitung der Maßnahmen und Regelwerke im Bereich der Fragen des sexuellen Missbrauchs und anderer Formen von Gewalt durch einen unabhängigen Expertenrat ermöglicht eine kontinuierliche Vergewisserung über den Stand und den Umsetzungserfolg der ergriffenen Maßnahmen und liefert gleichzeitig den notwendigen Regelungs- und Verbesserungsbedarf, für den der Rat auch Lösungen erarbeiten soll.
Im Anschluss an die Herbst-Vollversammlung erfolgt die weitere Ausarbeitung des Konzepts, damit eine konkretisierende Befassung in der Frühjahrs-Vollversammlung 2023 erfolgen kann. Hierzu gehören insbesondere folgende Fragen: Auswahlmodus für die Mitglieder des unabhängigen Expertenrates, Kommunikation zwischen Expertenrat und bischöflicher Fachgruppe bzw. der Bischofskonferenz insgesamt, Fragen zur Verwaltungs- und Organisationsstruktur von Expertenrat, Betroffenenbeirat und bischöflicher Fachgruppe mit Blick auf die notwendige Unabhängigkeit der Gremien bei bleibender Verantwortungsübernahme durch die Bischöfe.
Erlauben Sie mir zum Schluss noch ein persönliches Wort: Ich möchte hier keine umfängliche Bilanz als Beauftragter ziehen. Die Dokumentation über die zentralen Maßnahmen der katholischen Kirche in Deutschland seit 2010 liegt Ihnen vor. Es ist auch nicht an mir, die Arbeit der letzten zwölf Jahre zu bewerten. Das müssen und werden andere tun. In diesen zwölf Jahren, und das möchte ich doch nennen, sind uns wichtige Schritte gelungen. Ich denke dabei an die MHG-Studie („Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“), das neue System der Anerkennungszahlungen und die gemeinsame Vereinbarung mit dem UBSKM. Auf all diesen Elementen baut unsere Arbeit heute auf.
Ich möchte an dieser Stelle all denjenigen danken, die bereit waren, mich – und das heißt letztlich die Bischofskonferenz – zu beraten, mit uns zu kooperieren und uns in der Aufarbeitung und in der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs zu unterstützen. Ich denke dabei ausdrücklich auch an alle Experten aus dem außerkirchlichen Bereich. Diese Expertise ist eine große Hilfe. Wir werden sie auch weiterhin brauchen.
Ich danke all denjenigen, die in den vergangenen Jahren im Raum der Kirche ein Engagement im Bereich von Aufarbeitung, Intervention und Prävention übernommen haben, ob haupt- oder ehrenamtlich. Das sind inzwischen sehr, sehr viele. Auf ihre Arbeit schaue ich mit großem Respekt.
In ganz besonderer Weise möchte ich den Betroffenen dafür danken, dass sie bereit waren und sind, über das Schreckliche, das ihnen angetan wurde, zu sprechen und sich am Prozess der Aufarbeitung zu beteiligen. Mir ist sehr wohl bewusst, dass gerade für die Gruppe der Betroffenen die Kontaktnahme zur Institution Kirche und ihren Vertretern sehr belastend ist. Und ich weiß, dass ich in meiner Aufgabe als Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz Betroffene verletzt habe, auch wenn das nicht meine Absicht war. Das tut mir von Herzen leid und dafür möchte ich um Verzeihung bitten.
Der Weg einer zunehmenden Betroffenenorientierung und Betroffenenbeteiligung bleibt holprig, er ist von Rückschlägen begleitet. Und dennoch existiert nach meiner Wahrnehmung heute im Unterschied zu den ersten Jahren auf institutioneller Ebene eine wesentlich aktivere, strukturiertere, und ich wage auch zu behaupten, selbstverständlichere Kommunikation zwischen Betroffenen und Kirchenverantwortlichen. Das ist gut.
Die Aufgabe als Beauftragter hat mich persönlich verändert. Sie hat vor allem auch meinen Blick auf die Kirche verändert: auf Strukturen in ihr und auf eine innerkirchliche Kultur bzw. Unkultur des Wegschauens und des Selbstschutzes, die bis heute noch nicht überwunden ist. Die Aufgabe als Beauftragter hat mich sensibler werden lassen für Formen der Machtausübung und für die Frage, wo und wie Menschen Opfer kirchlichen Handelns werden.
In meiner Aufgabe als Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs war ich nicht „Opferbeauftragter“ im engen Sinn, sondern Vermittler zwischen den Betroffenen und der Kirche, zwischen der Kirche und der Politik bzw. Gesellschaft. So habe ich meine Rolle immer auch verstanden. Darin lag zugleich der Spagat dieser Rolle: Einerseits war es meine Verpflichtung, den Betroffenen und ihren Anliegen empathisch zu begegnen und mich für sie einzusetzen, andererseits agiere ich selbst in und für die Institution, in der der Missbrauch geschehen und die Gegenstand der Kritik ist.
Wenn ich nun die Aufgabe des Beauftragten abgebe, so wird mich das Thema selbstverständlich weiter beschäftigen. Das liegt schon in meiner Verantwortung als Diözesanbischof. Aufgrund meiner Mitgliedschaft im Vorstand des Trägervereins des Instituts für Prävention und Aufarbeitung (IPA) werde ich mich auch darüber hinaus weiter in der Bekämpfung von sexualisierter Gewalt engagieren.
Die Aufarbeitung und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs ist und bleibt für alle Beteiligten ein ebenso wichtiger wie schmerzlicher Lernweg. Ich bin aber überzeugt, dass er zu einer größeren Gerechtigkeit für die Betroffenen und zu einer tieferen Wahrhaftigkeit der Kirche führt und damit zu ihrer Erneuerung beiträgt.