Liebe Schwestern und Brüder im Bistum Trier,
eine ganz und gar außergewöhnliche Fastenzeit geht zu Ende.
Spätestens seit dem vierten Fastensonntag wurden uns mit den einschneidenden Maßnahmen der Bundesregierung Verzichte und Beschränkungen auferlegt, die für uns alle in dieser Weise völlig neu und ungewohnt sind. Die Bekämpfung der Corona-Pandemie betrifft in einer bisher nicht vorstellbaren Weise das gesamte öffentliche und soziale Leben - und damit auch das Leben der Kirche.
Egal, ob Sie den Eindruck hatten, dass die Maßnahmen gegen das Coronavirus den Bußcharakter der Fastenzeit noch verstärkt haben oder ob dadurch für Sie die Fastenzeit eher in den Hintergrund gerückt ist: In jedem Fall wirft die Corona-Krise Fragen auf, die auch Fragen der Fastenzeit sind: Worauf kommt es im Leben wirklich an? Worauf kann ich verzichten? Wie steht es mit meiner Achtung vor meinen Mitmenschen? Weiß ich Rücksicht zu nehmen und meine Bedürfnisse zugunsten anderer zurückzustellen? Wie solidarisch bin ich mit denen in der Nähe und denen in der Ferne? Wie denke ich über die Fragen von Leben und Tod? Auch junge Leute stellen sich meiner Wahrnehmung nach in diesen Wochen diese Fragen mehr als sonst.
In meinem Hirtenbrief zu Beginn der diesjährigen Fastenzeit hatte ich dazu aufgerufen, besonders darauf zu achten, wie wir in unserem Bistum mehr noch als bisher eine diakonische Kirche, d. h. eine dienende, eine den Menschen zugewandte Kirche sein können. Vielleicht erinnern Sie sich daran. Durch die Corona-Krise hat dieser Aufruf eine ganz eigene Aktualität und Eindringlichkeit bekommen: Wie viel hat sich an spontaner Hilfeleistung rasch, unkompliziert und mit viel Kreativität entwickelt! Ich finde das wunderbar. Es zeigt mir, wie viel Potenzial in unseren Gemeinden und Gemeinschaften steckt, das unter normalen Umständen leider oft unentdeckt bleibt.
Etwas, das in diesen Wochen aber ganz offensichtlich wird, ist der großartige Einsatz von Ärztinnen und Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern und anderen helfenden Berufen, nicht zuletzt in unseren kirchlichen Häusern. Sie zeigen uns ganz konkret, was dienende Hingabe an den Menschen bedeutet. Dafür will ich ein herzliches Wort des Dankes und der Unterstützung für ihren wichtigen Dienst sagen.
Liebe Schwestern und Brüder, ganz sicher bleibt uns von der Fastenzeit 2020 auch das Bild von Papst Franziskus in Erinnerung, wie er allein betend und segnend auf dem menschenleeren und verregneten Petersplatz steht. Das war nicht nur für die Christen, sondern für die ganze Menschheit ein starkes Zeichen.
Nun geht die Fastenzeit zu Ende, und wir beginnen mit dem Palmsonntag die Feier der sogenannten Heiligen Woche. Sie lädt uns ein, die letzten Tage im irdischen Leben Jesu bewusst mitzugehen, angefangen von seinem Einzug in Jerusalem über das letzte Abendmahl mit seinen Jüngern, den Verrat, die Passion und die Kreuzigung bis hin zum leeren Grab am Ostermorgen. Auch diese Tage werden in diesem Jahr gezeichnet sein von dem weiterhin geltenden Kontaktverbot. Deshalb können auch keine öffentlichen Gottesdienste stattfinden, ausgerechnet während der höchsten und wichtigsten Feiertage der Christenheit. Mich schmerzt das sehr.
Gerade auch viele alte Menschen, die durch das Virus besonders gefährdet sind, treffen der Verzicht auf direkte menschliche Kontakte und die Mitfeier der Gottesdienste hart. Sie möchte ich ausdrücklich grüßen und ihnen versprechen, dass sie in unseren Gedanken und in unserem Gebet nicht vergessen sind!
Denn wo räumliche Nähe nicht möglich ist, setzen wir auf die innere Verbundenheit. Sie wird, Gott sei Dank, durch unsere vielfältigen Kommunikationsmittel unterstützt. Ich bin froh über die vielen Initiativen, die es derzeit gibt: zur spirituellen Vernetzung, zur Unterstützung im Gebet und in der Übertragung von Gottesdiensten. Herzlichen Dank sage ich allen, die sich engagieren, damit das möglich ist!
Gleichwohl sind wir als einzelne, als Familien und als Hausgemeinschaften mehr als sonst herausgefordert, diese wichtigen Tage unseres Glaubens für uns selbst zu gestalten. Üblicherweise können wir uns auf die großen Gottesdienste und die gewachsenen Traditionen „verlassen“ und uns ihnen anschließen. Das geht diesmal nicht so einfach.
Aber nehmen wir doch diese Situation als Gelegenheit und als Chance, unseren persönlichen Glauben zu vertiefen. Dazu können die verschiedenen Fasten- und Osterbräuche helfen. Sie sind ja dazu geeignet, sie in der Familie oder auch individuell zu praktizieren. Dabei denke ich nicht nur an das Färben von Ostereiern.
In besonderer Weise lade ich natürlich noch einmal dazu ein, die vielen Angebote der Übertragung von Gottesdiensten zu nutzen, um sich mit denen zu verbinden, die in den Kirchen stellvertretend für alle zur Feier der Liturgie zusammenkommen. Wer das tut, davon bin ich überzeugt, für den wird das weite Netz der Glaubensgemeinschaft spürbar, das auch sonst – oft unsichtbar, aber doch real – da ist.
Liebe Schwestern und Brüder, gerade die Feier der Kar- und Ostertage zeigt uns, dass Ostern nicht bloß ein Frühlingsfest für gute Tage ist. Die Osterbotschaft hält dem ganzen Ernst des Lebens stand. Denn sie feiert das Leben, ohne seine dunklen Seiten – Ängste, Schmerzen und Tod – zu verschweigen. Eine solche Botschaft haben wir in diesen Tagen wahrhaftig nötig. Gott selbst schenkt sie uns.
Durch diese Botschaft weiß ich mich Ihnen allen tief verbunden und wünsche Ihnen gesegnete Kar- und Ostertage!
Ihr Bischof
+Stephan