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Fastenhirtenbrief zur Österlichen Bußzeit 2023

Gott gibt die Kraft zum Guten

Liebe Schwestern und Brüder im Bistum Trier!

Die (erste) Lesung aus dem Buch Genesis, die wir gehört haben (Gen 2,7-9; 3,1-7), ist nicht bloß eine von vielen Episoden aus der Heiligen Schrift der Juden und Christen. Sie ist so etwas wie eine Urerzählung der Menschheit. Sie spricht von der Größe des Menschen und von seiner Zerrissenheit.

Wie oft haben wir diese Verse der Genesis schon gehört, und dennoch bleiben sie geheimnisvoll. Ich persönlich frage mich immer wieder, warum Gott nicht wollte, dass Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis essen (Gen 2,17). Ist nicht die Fähigkeit, gut und böse zu unterscheiden, die Eigenschaft des Menschen, die überhaupt erst ein verantwortungsvolles und friedliches Zusammenleben möglich macht? Wenn ich nicht weiß, was gut und was böse ist, wie kann ich dann das Gute tun? Anders gesagt: Wenn ich nicht weiß, was richtig und was falsch ist, wie kann ich dann richtig handeln?

Beweisen uns nicht die Nachrichten tagtäglich, wie lebensnotwendig eine möglichst rasche Unterscheidung von gut und böse, von richtig und falsch ist?

•    Was hätte alles an Leid vermieden werden können, wenn die politisch Verantwortlichen schon vor Jahren klar die eigentlichen Motive von Präsident Putin erkannt und entsprechend gehandelt hätten!
•    Wie viel besser stünden wir als Menschheitsfamilie da, wenn wir schon früher und deutlicher gesehen hätten, wohin der gigantische Konsum- und Energiehunger der industrialisierten Länder unseren Planeten bringt. Unsere Erde ist doch der „Garten“, den Gott uns Menschen anvertraut hat, damit wir ihn bearbeiten und hüten. (Gen 2,15)
•    Was hätte an Leid vermieden werden können innerhalb unseres Bistums und in der Kirche insgesamt, wenn die Verantwortlichen die Verbrechen des sexuellen Missbrauchs schon früher in ihren Auswirkungen erkannt und den Betroffenen zugehört und geglaubt hätten!

Über diese Fragen hinaus könnte jeder von uns aus dem eigenen persönlichen Umfeld weitere Beispiele dafür anführen, was an Problemen und Unglück vermieden werden könnte, wenn Menschen einen klareren Blick hätten für das, was gut und böse, was richtig und falsch ist. Umso mehr müsste der Schöpfer der Welt von Anfang an ein lebhaftes Interesse daran haben, dass wir Menschen gut zu unterscheiden wissen. Warum also wollte Gott dem Menschen diese Fähigkeit vorenthalten?

Liebe Schwestern und Brüder, ich glaube nicht, dass Gott dem Menschen diese Fähigkeit auf Dauer vorenthalten wollte. Das ist bloß der giftige Verdacht, den die Schlange streut. Ich denke, dass Gott den Menschen zuerst bereit machen wollte für die Erkenntnis von Gut und Böse. Denn wir wissen aus Erfahrung, dass Erkenntnis alleine nicht automatisch zum Guten führt. Wir sprechen sogar davon, dass es eine „Faszination“ des Bösen gibt. Und ist es nicht so, dass manche Erkenntnis einen Menschen geradezu überfordert? Ich sehe einen Abgrund an Bösem und bin wie gelähmt. Oder: Ich erkenne durchaus, was von mir gefordert wäre, um eine Situation zum Guten zu führen. Aber ich spüre, dies übersteigt meine Kräfte.

Der große Kirchenlehrer Augustinus hat recht, wenn er sagt: Wissen und Erkenntnis allein machen traurig (De serm. Dom. in monte I,IV,11), zumal dann, wenn man erkennen muss, dass Böses nicht verhindert werden kann oder die Kraft zum Guten fehlt. Wir kennen dieses Gefühl. Sehr oft mangelt es uns nicht an der Erkenntnis, sondern daran, aus der Erkenntnis die notwendigen Schlüsse zu ziehen und entsprechend zu handeln – sei es, weil die Kraft dazu fehlt oder der Wille. 

Natürlich gibt es immer wieder Situationen, in denen ein Urteil nicht direkt auf der Hand liegt. Andererseits ahnen wir oft genug intuitiv, was das Richtige ist. Diese Gabe ist uns seit Adam und Eva geschenkt. Sie ist das, was wir als das Gewissen bezeichnen. Das Gewissen ist die Stimme in uns, die uns hilft, Gut und Böse zu erkennen und das Richtige vom Falschen zu unterscheiden. Aber wie oft folgen wir dem Gewissen nicht und handeln gegen das, was wir eigentlich als richtig erkannt haben. Schon der Apostel Paulus hat diese Erfahrung gemacht, wenn er im Brief an die Gemeinde in Rom ausruft: „Ich elender Mensch! … Ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das voll-bringe ich.“ (Röm 7,24.19) Dieser innere Zwiespalt, in dem wir mit Paulus stehen, ist die Konsequenz daraus, dass Adam und Eva der Einflüsterung der Schlange nachgegeben haben. Anstatt daran zu glauben, dass Gott es gut mit ihnen meint und ihnen nichts vorenthalten will, können sie es nicht erwarten, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Kein Wunder, dass die beiden im selben Augenblick feststellen, dass sie nackt sind. Das heißt: Sie erkennen ihre Schwäche, ihr Ausgeliefertsein, ihre Verwundbarkeit …

Liebe Schwestern und Brüder! Es ist wahr: Die nackte Erkenntnis allein macht manchmal traurig, und sie kann entmutigen. Nicht ohne Grund fehlt uns oft die Energie, die Dinge genauer anzuschauen, um uns ein fundiertes Urteil zu bilden. Nicht ohne Grund neigen wir häufig zu einem Schwarz-Weiß-Denken. Das macht es vermeintlich einfacher. Nicht ohne Grund sind wir oft zu träge, das Gute, das wir erkannt haben, zu tun. Denn wir wissen: Es kostet Kraft, das Gute in die Tat umzusetzen.

Wir könnten in Traurigkeit und Mutlosigkeit regelrecht versinken, wenn es nicht den gäbe, von dem das Evangelium des ersten Fastensonntags spricht: Jesus Christus. Nicht zufällig bezeichnet ihn das Neue Testament auch als den „neu-en“, den „zweiten Adam“. Denn Jesus ist derjenige, der nicht nur besser als jeder andere Böses von Gutem unterscheiden kann. Er ist zugleich derjenige, der gegen alle inneren und äußeren Widerstände die Kraft hat, das Gute zu tun. In ihm kommt Gott uns zu Hilfe. Wir müssen nur bereit sein, uns helfen zu lassen. Die Fastenzeit will uns dazu wieder in besonderer Weise die Gelegenheit geben. Nutzen wir diese Zeit, indem wir uns häufiger als sonst Momente des persönlichen Rückzugs, der Stille und des Gebetes nehmen. Als Glaubende sind wir in solchen Momenten nicht allein: In der Taufe und in der Firmung haben wir den Geist empfangen, von dem auch Jesus erfüllt war. (Mt 4,1) Dieser Geist hilft uns, besser zu erkennen, worauf es ankommt, und er gibt uns Kraft, es auch zu tun.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen eine bestärkende Fastenzeit unter dem spürbaren Segen des dreifaltigen Gottes: des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
 

Ihr Bischof

+ Stephan

 

Vorstehender Hirtenbrief ist am 1. Fastensonntag, dem 26. Februar 2023 in allen Sonntagsgottesdiensten zu verlesen.

 

 

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