Liebe Schwestern und Brüder!
Der Abschluss unserer Bistumssynode liegt nun fast ein Jahr zurück. Seitdem wurden in einer Vielzahl von Veranstaltungen die Ergebnisse der Synode im Bistum vorgestellt und diskutiert. Zugleich laufen die Planungen dafür, wie und in welcher Reihenfolge die Beschlüsse der Synode umgesetzt werden sollen.
Ganz besondere Aufmerksamkeit hat von Anfang an der Beschluss zur Neuordnung der Pfarreien gefunden. Das ist verständlich. Denn der Glaube und das kirchliche Leben spielen sich vor allem konkret vor Ort ab. Dass die Synode künftig nur noch bis zu 60 Pfarreien vorsieht, hat die meisten Reaktionen hervorgerufen. Denn bisher haben wir in unserem Bistum 887 Pfarreien, zusammengeschlossen in 172 Pfarreien und Pfarreiengemeinschaften. Dabei tun sich viele der Pfarreien – vor allem die kleineren – schwer, das gemeindliche Leben zu gestalten. Die anfallende Arbeit verteilt sich auf immer weniger Schultern. Deshalb sieht die Synode die Notwendigkeit, in größeren Räumen zu denken. Diese Räume sollen aber gerade keine „XXL-Pfarreien“ sein, die die bestehenden Einheiten einfach noch weiter ausdehnen. Vielmehr bieten die Pfarreien der Zukunft vor allem den rechtlichen und organisatorischen Rahmen für ein bestimmtes Gebiet, in dem es verschiedene Gemeinschaften und Orte gläubigen Lebens gibt. Die entscheidenden Dinge des kirchlichen Lebens – Gebet und Gottesdienst, kirchliche Zusammenkünfte und christliches Engagement – werden sich auch in Zukunft im Nahraum vor Ort abspielen.
Die Reduzierung der Zahl der Pfarreien soll auch zur Entlastung von Verwaltungsaufgaben führen. Wie oft schon haben mich Gläubige darum gebeten, die Pfarrer von Verwaltungsaufgaben zu entlasten, damit sie wieder mehr der Seelsorge, ihrer ursprünglichen Aufgabe, nachkommen können. Die große Zahl und die Kleinteiligkeit unserer bisherigen Pfarreienlandschaft bedeuten unter den heutigen Anforderungen einen großen Aufwand an Organisation und Verwaltung. Hiervon soll die Pfarrei der Zukunft entlasten, indem sie diese Aufgaben an einem zentralen Ort innerhalb der Pfarrei bündelt. Wie die Pfarreienlandschaft unseres Bistums künftig aussehen kann, wird im Laufe der Fastenzeit veröffentlicht werden.
Liebe Schwestern und Brüder, wenn unsere Pfarreien Zukunft haben sollen, dann können wir uns nicht damit begnügen, die Strukturen zu verändern oder bloß den bisherigen Bestand zu verwalten. Es reicht nicht, den Status quo halten zu wollen. Zukunft hat nur, wer wachsen will. Das Sprichwort stimmt: Mit der Liebe und dem Glauben ist es wie mit dem Mond: Entweder er wächst oder er nimmt ab. Ein Stillstehen gibt es nicht. Damit aber in unserem Leben etwas wachsen kann, braucht es Kreativität, braucht es den Mut, Neues auszuprobieren und die Geduld, Neues auch wachsen zu lassen.
Viele Menschen fühlen sich in unseren Pfarrgemeinden nicht mehr beheimatet und können mit den traditionellen Formen des Glaubens nur wenig anfangen. Gleichwohl suchen Menschen nach wie vor nach Sinn und Orientierung für ihr Leben, sind dankbar für eine Gemeinschaft, in der sie sich angenommen fühlen können, sind Menschen bereit, sich für Andere zu engagieren. Das darf uns nicht gleichgültig lassen. Zugleich macht es uns deutlich, dass wir in einem epochalen Gestaltwandel des Glaubens stehen. Schon seit Jahrzehnten wird der Glaube nicht mehr wie selbstverständlich von Generation zu Generation weitervererbt. Er hat sich in einer weltanschaulich und religiös vielfältigen Welt zu bewähren.
Deshalb hat unsere Synode in ihren Beratungen nicht nur danach gefragt, „wie wir in Zukunft Kirche sein wollen“. Sie hat auch gefragt: „Wozu sind wir Kirche im Bistum Trier?“ Mit dieser Frage markiert die Synode einen Wechsel der Perspektive und der inneren Haltung: Die Kirche versteht sich nicht aus dem Blick auf sich selbst heraus, sondern von dem Auftrag her, den sie von Christus für diese Welt hat. Vor allem den Älteren unter uns mag dieser Gedanke fremd klingen. Sie fragen sich vielleicht: Muss die Kirche wirklich begründen, wozu sie da ist? Versteht sich das nicht eigentlich von selbst?
So sehr wir uns mit diesen Entwicklungen schwertun mögen, so sehr spüren wir, dass wir ihnen nicht ausweichen können. Es gilt, sie vom Glauben her anzunehmen. Die Fastenzeit, die wir vor wenigen Tagen begonnen haben, ist dazu eine gute Zeit. Denn sie lädt uns jedes Jahr persönlich und gemeinschaftlich zu einer kritischen Selbstüberprüfung ein. Wir hören Jesus, der uns zuruft: „Kehrt um!“ Das heißt: „Bleibt nicht in euren alten Gleisen, sondern wechselt die Perspektive. Nehmt Gottes Perspektive ein!“
Liebe Mitchristen! Gott fordert uns nicht nur zu Umkehr und Veränderung auf, sondern er traut uns auch zu, dass wir uns verändern können – nicht nur die Jungen, sondern auch die Älteren. Für Gott spielt das Alter keine Rolle – nicht das Alter eines Menschen und auch nicht das Alter der Kirche! „Ihr könnt euch verändern jederzeit, ja ihr könnt euch regelrecht erneuern“, so sagt uns Gott, „wenn ihr euch von der Botschaft meines Sohnes, Jesus Christus, inspirieren und von seiner Liebe anstecken lasst.“
Am Beginn der Fastenzeit habe ich diese Hoffnung auch für unser altes und so traditionsreiches Bistum Trier: Wir sind nicht auf Traditionspflege festgelegt, sondern haben mit Gottes Hilfe die Chance, zu neuer Lebendigkeit zu kommen. Die Synode war dazu ein erster, wesentlicher Schritt. Sie zeigt uns, wie unsere Antwort auf den Umkehrruf Jesu konkret aussehen kann.
Die allermeisten von Ihnen, die diesen Hirtenbrief hören oder lesen, wissen sich dem Glauben und der Kirche eng verbunden. Durch diese Verbundenheit, durch Ihr Engagement, durch Ihr Gebet und Zeugnis geben gerade Sie dem christlichen Leben in den Gemeinden unseres Bistums ein Gesicht. Sie sind Repräsentantinnen und Repräsentanten der Kirche Jesu Christi vor Ort – zusammen mit den Pfarrern sowie allen haupt- und ehrenamtlich Tätigen. Deshalb möchte ich gerade Sie bitten, die Verwirklichung der Synodenbeschlüsse mit Offenheit und Sympathie zu begleiten und mitzugestalten.
Ich weiß, dass unseren Gemeinden bereits in den letzten Jahren spürbare und zum Teil schmerzliche Veränderungen zugemutet worden sind. Ausdrücklich danke ich allen, die den Weg der Veränderungen aktiv mitgegegangen sind! Diese Veränderungen entspringen nicht dem Mutwillen des Bischofs und seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Trier, sondern ergeben sich aus den Veränderungen, in die wir kirchlich und gesellschaftlich hineingestellt sind. Mit der Synode haben wir noch einmal unseren Entschluss bekräftigt, diese Veränderungen nicht passiv geschehen zu lassen, gar zu erleiden, sondern sie aus dem Glauben heraus mitzugestalten.
Wenn wir die Beschlüsse der Synode ernst nehmen, wird es zu Diskussionen und Kontroversen kommen. Das ist nur natürlich und nicht schlimm. Entscheidend wird die Atmosphäre, wird der Geist sein, in dem dies stattfindet: Wird man uns das ehrliche Ringen um eine Erneuerung des Glaubenslebens ansehen oder wird der Eindruck vorherrschen, dass vor allem Besitzstände gewahrt und liebgewonnene Gewohnheiten verteidigt werden sollen? Ich hoffe auf Ersteres.
Liebe Mitchristen! An diesem Ersten Fastensonntag findet in unserem Dom die bundesweite Eröffnung der diesjährigen Misereor-Aktion statt. In den nächsten Wochen werden wir immer wieder auf das Aktionsplakat stoßen: Es zeigt ein afrikanisches Mädchen mit einer Sonnenbrille. Bei näherem Hinsehen entdeckt man, dass das Mädchen, das Balkissa heißt, die Brille verkehrt herum aufgesetzt hat. Vor kurzem konnte ich Balkissa in ihrem Dorf in Burkina-Faso begegnen. Dabei zeigte sich, dass die Kleine die Brille nicht aus Versehen verkehrt herum aufgesetzt hat. Selbstbewusst setzte sie während unseres Besuchs die Brille einmal so und einmal andersherum auf. Offensichtlich liebt sie das Spiel mit den verschiedenen Perspektiven. Das Misereor-Plakat nimmt dieses Spiel als Symbol. Es will uns anregen, dass auch wir nicht in den immer gleichen Sichtweisen bleiben, sondern unsere Perspektive wechseln, um eine neue Sicht auf die Wirklichkeit einzunehmen. Im Blick auf die Länder, in denen Misereor hilft, heißt das: nicht nur deren Probleme zu sehen, sondern auch die vielen Ideen und Energien, die die Menschen dort haben.
Im Blick auf unser Bistum heißt das für mich: sich auf die neuen Perspektiven der Synode einzulassen, um auch hier bei uns nicht nur die Probleme zu sehen, sondern das vielfältige Engagement und die guten Ideen in den Blick zu bekommen, die es bei uns gibt. Die Fastenzeit ist dazu eine besondere Gelegenheit. Denn sie ist Ermahnung und Gnade, Aufruf und Geschenk zugleich.
In dieser Zeit der heiligen Vierzig Tage segne Sie und unser ganzes Bistum der dreifaltige Gott,
† der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.
Ihr Bischof
† Stephan