Liebe Schwestern und Brüder im Bistum Trier!
Vor ein paar Wochen war ich eingeladen, vor Unternehmern und Wirtschaftsexperten einen Vortrag zu halten. Das Thema: Vertrauen. Ohne großes Zögern sagte ich zu. Doch je näher der Termin kam, umso mehr stieg in mir die Frage auf: Ist dieses Thema für Unternehmer nicht zu unkonkret und zu weich? Was willst Du dazu Menschen sagen, die tagtäglich mit harten Fakten und Zahlen umgehen und für die Kontrolle ein Schlüsselbegriff ist?
Doch beim Nachdenken wurde mir schnell klar, dass Vertrauen eine wesentliche Ressource auch im Wirtschaftsleben ist. Wie wichtig sie ist, spürt man vor allem dann, wenn sie fehlt. Denken wir nur an die jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise: Wenn die Angst um sich greift, dass Geschäftspartner Verträge nicht einhalten, dass vereinbarte Gelder nicht mehr fließen und Absatzmärkte einbrechen, dann lassen die katastrophalen Folgen nicht lange auf sich warten. »Vertrauen ist das kostbarste Kapital. Damit steht und fällt das Zusammenleben der Menschen« (F. Kamphaus).
Wir wissen aber, wie oft unser Vertrauen zueinander gestört ist. Deshalb haben schon die Menschen des Alten Testaments versucht zu ergründen, woher diese Störung kommt. Ihre Antwort haben wir heute in der ersten Lesung aus dem Buch Genesis gehört. Es ist die Erzählung vom Sündenfall. Man kann sie lesen als die Entstehungsgeschichte des Misstrauens: Unter der Einflüsterung der Schlange verliert der Mensch das Urvertrauen in Gott. Mit einem Mal hegt er den Verdacht, dass der Schöpfer ihm das Beste vorenthält. Damit ist das Gift des Misstrauens in der Welt. Nach der Genesis liegt in diesem Misstrauen die Triebfeder allen Unheils, das heißt aller Entfremdung zwischen Mensch und Gott sowie der Menschen untereinander. Man könnte sogar sagen: Misstrauen ist die eigentliche Quelle des Todes. (In diesem Sinn schreibt Paulus an die Christen in Rom: »Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod, und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen, weil alle sündigten.« [Röm 5,12]) Das Verheerende an der Sünde des Paradieses ist: Sie bleibt keine isolierte Einzeltat, sondern sie setzt eine Dynamik in Gang, die fortan die ganze Geschichte der Menschheit belasten wird.
Wie ansteckend Misstrauen sein kann, schildert anschaulich eine Begebenheit aus dem Buch Numeri (21,4-9): Sie ereignet sich während des langen und strapaziösen Zugs durch die Wüste. Wieder einmal verliert das Volk den Mut. »Es lehnte sich«, so heißt es da, »gegen Gott und gegen Mose auf und sagte: Warum habt ihr uns aus Ägypten heraufgeführt? Etwa damit wir in der Wüste sterben? Es gibt weder Brot noch Wasser. Dieser elenden Nahrung sind wir überdrüssig. Da schickte der Herr Giftschlangen unter das Volk. Sie bissen die Menschen, und viele Israeliten starben.« Sicher darf man in den Giftschlangen einen symbolischen Ausdruck sehen für das eigentliche Gift, das sich im Lager verbreitete: die um sich greifende Mutlosigkeit und das wachsende Misstrauen gegenüber Gott und gegenüber Mose. Wehe, wenn sich einmal eine solche Spirale des Misstrauens in Gang gesetzt hat! Dann fordert sie unerbittlich ihre Opfer. Aus eigener Erfahrung wissen wir das nur zu gut.
Wie hat Mose damals reagiert? Im Auftrag Gottes hängt er die Kupfernachbildung einer Giftschlange an einer Stange auf und befiehlt jedem, der von einer Schlange gebissen wird, zur Kupferschlange aufzusehen. Dann wird er gerettet. In einem übertragenen Sinn könnte dies heißen: Mose entreißt das, was versteckt wie eine Schlange um sich gegriffen hatte, der Heimlichkeit und macht es öffentlich sichtbar. Damit ist der Bann gebrochen. Die Spirale des Misstrauens ist gestoppt.
Jesus greift sehr deutlich auf dieses Bild zurück, vergleicht sich selbst sogar mit der Kupferschlange: »Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, in ihm das ewige Leben hat«, sagt Jesus zu Nikodemus (Joh 3,14f). Tatsächlich betrachteten viele seiner Zeitgenossen das, was Jesus sagte, als Gift, waren ihm gegenüber misstrauisch. Für uns aber sind Jesus und seine Botschaft das entscheidende Heilmittel gegen das Misstrauen, das uns so oft beherrscht.
Der erste Fastensonntag erinnert uns daran, dass Jesus sehr wohl um die Urversuchung des Menschen gewusst hat. Sie besteht darin, mehr auf sich selbst zu vertrauen als auf Gott. Aber Jesus hat der Einflüsterung der teuflischen Schlange nicht nachgegeben. Er blieb bei seinem grenzenlosen Vertrauen in Gott, seinen Vater. Bis zum Kreuz. In diesem Vertrauen hat er auch seine Angst besiegt. Sie blieb ihm nicht erspart. Aber seine Angst war kein Misstrauen. Nach dem Zeugnis des Lukas stirbt der am Kreuz Erhöhte mit dem Vertrauensruf: »Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist« (Lk 23,46).
Belohnt wird dieses Vertrauen durch die Auferweckung. Der Vater rettet Jesus aus dem Tod. Jesu Vertrauen ist so etwas wie die Nabelschnur, die ihn aus dem Tod reißt. Aber nicht nur ihn. Nein, sie reißt jeden mit, der sich Jesus im Glauben anschließt. Mit Ostern hat sich eine »Aufwärtsspirale« des Vertrauens in Gang gesetzt, die bis heute nichts von ihrer Kraft verloren hat. Aus dieser Kraft heraus können Christen die Welt verwandeln.
Liebe Schwestern und Brüder, es stehen – gerade in diesem Jahr 2011 – für unser Bistum und für die ganze Kirche in unserem Land große Herausforderungen an. Sie kennen die Themen. Ich muss sie nicht noch einmal benennen. Nicht wenige Menschen in unseren Gemeinden und Gemeinschaften sind verunsichert. Sie spüren vielleicht sogar Angst angesichts dessen, was in naher Zukunft an Veränderungen auf sie zukommt. Das gilt für die Ehrenamtlichen wie für die Hauptamtlichen. Viele Gegebenheiten und Strukturen, denen wir bisher vertraut und die getragen haben, werden in Frage gestellt. Das Buch Numeri ermutigt dazu, unsere Fragen und Unsicherheiten nicht zu verstecken und zu verschweigen, sondern offen anzuschauen und anzusprechen.
Doch lassen wir nicht zu, dass sich eine Atmosphäre des Misstrauens breit macht gegenüber Gott oder untereinander. Bleiben wir in der Grundhaltung des Vertrauens. Kehren wir, wo es nötig ist, dorthin zurück. Christliches Vertrauen ist kein blindes, ist kein naives Vertrauen. Christliches Vertrauen ist das Vertrauen, das die Schwierigkeiten sehr wohl sieht, aber zugleich davon überzeugt ist, dass der auferstandene Herr seine Kirche führt und hält, so wie er die Hand des Simon Petrus ergriffen hat, als er Angst hatte unterzugehen (Mt 14,22-33).
Aus dem Vertrauen auf Jesus Christus wächst immer wieder auch ein vertrauensvoller Umgang miteinander, mag es unter uns noch so viele Sachdiskussionen und Meinungsunterschiede geben. Ich hoffe sehr, dass sich dies auch in der von uns Bischöfen angekündigten bundesweiten Dialoginitiative bewahrheiten wird. In unserem Bistum wollen wir wie schon bisher offen reden, respektvoll unsere Meinungen austauschen und wenn nötig auch kontrovers diskutieren. Wichtig ist mir, dass wir dabei immer konstruktiv miteinander im Gespräch bleiben. In einer Welt, die so auf Skepsis und Verdacht geimpft ist wie die unsrige, haben wir als Christen die Chance und den Auftrag, ein wirklich alternatives Zeugnis zu bieten. Denn es ist doch so: Misstrauen verstärkt Misstrauen. Vertrauen verstärkt Vertrauen.
Liebe Schwestern und Brüder! Nehmen wir die vor uns liegende österliche Bußzeit als eine Zeit, bewusst Vertrauen zu üben, auch und gerade dann, wenn es schwer fällt, wenn eine innere Stimme uns dazu verleiten will, misstrauisch zu sein.
Werfen wir zum Schluss noch einen Blick über die Fastenzeit hinaus: Mit dem Heilig-Rock-Fest am 6. Mai beginnt das Jahr der geistlichen Vorbereitung auf die Heilig-Rock-Wallfahrt 2012. Sie finden dazu am Schriftenstand Ihrer Kirche eine Sonderbeilage unserer Bistumszeitung »Paulinus«. Sie will eine Hilfe sein, sich einzustimmen auf den Weg der Vorbereitung. Dieser steht unter dem großen Thema »Erlösung«. Denn in unserem Trierer Pilgergebet sprechen wir Jesus an als unseren »Heiland und Erlöser«.
Eine wesentliche Gabe der Erlösung heißt Vertrauen. Vertrauen, das mehr ist als ein Pfeifen, das im dunklen Wald die Angst vertreiben will. Nein, es ist das Vertrauen, das dem unerschöpflichen »Vorschussvertrauen« entspringt, mit dem Jesus Christus uns jeden Tag entgegenkommt. In diesem Vertrauen bewahre Sie der allmächtige und barmherzige Gott, + der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.
Ihr
Stephan Ackermann
Bischof von Trier