Liebe Hörerinnen und Hörer!
Gestern stieß ich in einer großen Tageszeitung auf einen Artikel mit der Überschrift „Das Schweigen der Bischöfe zu Corona“ (Hartmut Löwe: Fremde Federn/ FAZ 13. Mai 2020). Es ist nicht der erste Artikel, in dem die Bischöfe kritisiert werden, dass sie sich in der andauernden Corona-Krise bisher nicht laut und nicht profiliert genug geäußert hätten. Diesmal aber zielte die Kritik eines ehemaligen evangelischen Militärbischofs vor allem in den Bereich der evangelischen Kirche. Aber der Unterschied zur Kritik im katholischen Bereich ist gering.
„Diejenigen, die sich sonst an Stellungnahmen zu allem und jedem überbieten, finden kein geistliches Wort. Sie reden und wiederholen, was andere auch sagen, danken den Ärzten und Krankenschwestern, freuen sich über die praktizierte Solidarität“, so der Kritiker wörtlich. Wenn und wo das so ist, ist es freilich zu wenig. Obwohl … ausdrücklich in der Öffentlichkeit einmal Berufsgruppen zu danken, denen sonst nicht gedankt wird, weil man ihren Dienst für völlig selbstverständlich nimmt oder übersieht – und dazu gehörten in den letzten Wochen nicht nur Ärzte und Krankenschwestern, sondern zum Beispiel auch Kassiererinnen, Friseure, Berufskraftfahrer … das ist nicht geringzuachten. Wir danken und loben zu wenig.
Und doch: Wenn bischöfliche und andere Prediger nichts Geistliches zu sagen haben, sondern nur das, „was immer ohnehin schon alle sagen“, dann ist das zu wenig. Denn sie sollen mit ihrer Kompetenz und ihrem gelebten Glauben helfen, die Gegenwart unseres Lebens im Licht des Glaubens zu sehen und zu verstehen. Das ist anspruchsvoll. Dazu braucht es Aufmerksamkeit für die Zeichen der Zeit, es braucht Geduld, und es braucht kluge Unterscheidungsgabe. Einfache Antworten greifen in der Regel zu kurz. Nicht selten sind sie verletzend und zynisch.
In diesem Fall mahnte der Artikelschreiber dazu, in der Corona-Krise die Rede von der Strafe Gottes nicht zu vergessen. Martin Luther habe zu seiner Zeit während einer Pestepidemie noch selbstverständlich von einer „Strafe Gottes“ gesprochen … Wer nicht vom Zorn Gottes zu sprechen wage, verderbe auch die Rede von Gottes Liebe, hieß es in dem Zeitungsartikel wörtlich.
Mich erschrecken solche Sätze angesichts unserer aktuellen Situation. Sollte Gott etwa die besonders Schwachen und Verletzlichen sowie alte Menschen weltweit strafen? Sollte er etwa die strafen wollen, die ohnehin schon auf der Verliererseite des Lebens stehen: Die Armen in den Slums, ohne Zugang zu sauberem Wasser und einer ordentlichen Gesundheitsversorgung? Die reichen Menschen in den entwickelten Ländern, die vielfach (auch wenn sie es nicht bewusst wollen), auf Kosten der Armen leben, also wir! – wir können uns in der Regel besser schützen und kommen in dieser Krise wahrscheinlich glimpflicher davon als andere. Entspricht das Gottes Gerechtigkeit? Wenn man nur ein bisschen über solche Vorstellungen nachdenkt, spürt man, wie vorsichtig man mit vorschnellen Urteilen sein sollte.
Aber noch einmal: Natürlich verbietet es sich für den gläubigen Menschen so zu tun, als ob das konkrete Geschehen hier auf der Erde nichts mit Gott zu tun hätte. Himmel und Erde voneinander zu trennen, das ist spätestens seit der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und seit dessen Auferstehung zum Vater im Himmel nicht mehr statthaft. Von daher muss immer wieder die Frage gestellt werden, wie Gott zu dieser Erde steht und zu all dem, was uns aktuell umtreibt. Und ja: Hier sind besonders diejenigen gefragt, die amtlich den Glauben verkünden. Aber sie müssen es mit Sensibilität und mit Bedacht und mit tiefem Respekt vor Gott und den Menschen tun.
Insofern gefällt es mir besser, wie Papst Franziskus über die Situation spricht, in der sich die Menschheit aktuell befindet. Er bezeichnet sie als Prüfung. Die Corona-Pandemie ist keine Strafe Gottes, aber sie ist eine Prüfung. Denn sehr viele Bereiche unseres Lebens kommen auf den Prüfstand:
Ja, die Zeit, die wir erleben, sie ist eine Zeit der Prüfung, nicht nur persönlich-menschlich, nicht nur gesellschaftlich, nicht nur wirtschaftlich und politisch. Sie ist auch eine Zeit der spirituellen Prüfung, Erprobung und Bewährung. Gott hat uns diese Pandemie nicht geschickt. Er will, dass wir sie bestehen, uns in ihr bewähren; dass wir aus ihr lernen für eine gute Zukunft der Menschheitsfamilie.
O Maria, […]
du weißt, was wir brauchen.
Wir sind sicher, dass du dafür sorgen wirst,
dass wie zu Kana in Galiläa Freude und Frohsinn zurückkehren mögen
nach dieser Zeit der Prüfung.
Hilf uns, Mutter der göttlichen Liebe,
uns dem Willen des Vaters anzugleichen
und das zu tun, was Jesus uns sagen wird,
der unser Leiden auf sich genommen und unseren Schmerz getragen hat,
um uns durch das Kreuz zur Freude der Auferstehung zu führen. Amen.
(Gebet in Divino Amore am 11. März 2020)