Damit Sie unsere Internetseite optimal nutzen können, setzen wir nur technisch notwendige Cookies (kleine Textdateien, die auf Ihrem Rechner abgelegt werden). Zur Reichweitenmessung der Seiten nutzen wir eine anonymisierte Statistik, die keine personenbezogenen Rückschlüsse auf Sie zulässt. Näheres finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Datenschutzerklärung

Gedenkmesse zum 100. Todestag des Dieners Gottes

Hieronymus Jaegen - Mystiker und ein Christ von heute

Predigt am 26. Januar 2019 in Trier St. Gangolf

Liebe Verehrerinnen und Verehrer des Dieners Gottes Hieronymus Jaegen,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Dass ein gelernter Maschinenbauer, Bankvorstand und Politiker ein Buch über mystische Erfahrungen veröffentlicht, das ist einigermaßen ungewöhnlich. Aber genau das gehört zu den faszinierenden Eigenschaften des Mannes, dem heute unser besonderes Gedenken gilt: Hieronymus Jaegen. Wie bekam er das in seiner Biografie alles zusammen? Zunächst einmal hat es sicher damit zu tun, dass er ein begabter Mensch war, nicht einseitig festgelegt und zugleich jemand, der offen war für jeweils neue berufliche und gesellschaftliche Herausforderungen, die sich ihm stellten.

Zugleich war da der rote Faden seines christlichen Glaubens, der sich durch sein ganzes Leben hindurchzieht. Es ist ja schon oft gesagt worden, dass die Frömmigkeit von Hieronymus Jaegen uns Heutigen zeitgebunden erscheint und seine religiöse Sprache antiquiert. Aber modern erscheint uns sein Mut, von Mystik zu sprechen und diese nicht nur als ein Feld zu verstehen, das für „Hochleistungschristen“ und einige wenige besonders erwählte Existenzen reserviert ist, sondern grundsätzlich allen offensteht.

Viele von uns kennen das vielzitierte Wort des Theologen Karl Rahners, der vor mehr als fünf Jahrzehnten gesagt hat: „Der Fromme, der Christ von morgen wird ein ‚Mystiker‘ sein, oder er wird nicht mehr sein“ (Schriften zur Theologie VII). Damit meinte er ja nicht, dass alle Christen der Zukunft mit besonderen Visionen oder Ekstasen ausgestattet sein müssten. Vielmehr wollte er damit sagen, dass Christsein in der Zukunft (das wäre von Rahner her gesehen: heute) nicht ein Christsein ist, das man bloß vererbt bekommt, und auch kein Christsein, das sich in reinen Frömmigkeitsübungen erschöpft oder in der bloßen Befolgung von bestimmten Lehren. Vielmehr braucht es ein Christsein, das sich aus einer Glaubenserfahrung heraus speist, anders gesagt: aus einer lebendigen Beziehung zu Gott, zu Jesus Christus. Wie sehr Karl Rahner Recht hatte, das können wir heute sehen.

Innige Beziehung zu Gott

In diesem Sinn war Hieronymus Jaegen ein Mystiker und ein Christ von heute: Sein Christsein bestand nicht nur in einem tugendhaften Leben und der regelmäßigen Teilnahme an den Gottesdiensten (wobei beides für ihn natürlich unverzichtbar war!), sondern es gewann seine Tiefe und Authentizität dadurch, dass er eine persönliche, ja geradezu innige Beziehung zu Gott pflegte. Es wird ja berichtet, dass sich Jaegen regelmäßig verabschiedete, wenn abends um 22.00 Uhr die „Lumpenglocke“ läutete, um sich dann zu Hause noch eine persönliche Zeit des Gebetes zu nehmen.

Wenn ich auf das Lebenszeugnis von Hieronymus Jaegen schaue, dann muss ich an ein Wort des Dichters Rainer Maria Rilke denken, der ja Zeitgenosse von Hieronymus Jaegen war: Sinngemäß sagt Rilke in einem seiner Gedichte, dass wir Menschen oft zu sehr unterscheiden zwischen unserer Welt und der Welt Gottes. Die Engel dagegen wüssten oft nicht, in welcher Welt sie gehen (1. Duineser Elegie). Tatsächlich leben wir doch oft so, als ob die Welt Gottes von uns abgeschottet wäre, als ob wir unter einer Art Glocke lebten, die gegenüber Gottes Gegenwart verschlossen ist. Das Evangelium dieses Sonntags sagt uns gerade das Gegenteil, wenn Jesus in seiner Heimat vom Heute Gottes spricht (Lk 4,21). Wir leben im Heute Gottes. Das bedeutet: Gottes Gegenwart umhüllt uns, ist nicht eine jenseitige, ferne Wirklichkeit, sondern – wenn auch für unsere Augen nicht sichtbar, so doch real „wie die Luft, die wir atmen, ohne die wir nicht leben können.“ (Messbuch, Tagesgebet zur Auswahl 5)

Hieronymus Jaegen hat aus dieser Überzeugung gelebt. Für ihn war Gott nicht nur ein Gegenstand des Glaubens, erst recht nicht bloß eine gedankliche Möglichkeit oder eine Weltanschauung, sondern eine lebendige Wirklichkeit, war lebendiges Gegenüber, ein Du. Das ist mystisches Christsein im ursprünglichen Sinn: Sich in allen Facetten des Lebens, und mögen sie noch so alltäglich sein, eingetaucht zu wissen in die Gegenwart Gottes.

Dieses Wissen hat seinen Ursprung im Sakrament der Taufe. Nicht umsonst hängen in unserer Sprache Taufen und Eintauchen eng zusammen. Sich eingetaucht wissen in Gottes Gegenwart und das Getauftsein gehören zusammen. Sicher dürfen wir Hieronymus Jaegen ein waches Taufbewusstsein attestieren. Das Taufbewusstsein ist aber nichts anderes als das Selbstbewusstsein eines Christen. Ich stelle mir vor, dass Hieronymus Jaegen bei aller Zurückhaltung und Bescheidenheit in diesem Sinne selbstbewusst war.

Wir wissen, dass er sich als Soldat durch Tapferkeit ausgezeichnet hat und doch unehrenhaft aus der Armee ausgeschlossen wurde, weil er aus seiner kirchlichen Gesinnung keinen Hehl gemacht hat und sich nicht davon abbringen ließ, kirchenfeindliche Maßnahmen des Staates zu kritisieren. Es war die Zeit des Kulturkampfes.

Vielfältiges Engagement

Aber auch sein späteres vielfältiges Engagement hier in der Stadt Trier für den katholischen Kaufmannsverein, die Kolpingfamilie, den Bürgerverein, für Klöster und Schulen, für die Fronleichnamsprozession und anderes, zeugen von hoher Einsatzbereitschaft ebenso wie von einem klaren Selbstbewusstsein als katholischer Christ. Was ein mündiger Christ ist, musste man Hieronymus Jaegen wohl nicht erklären. Er war offensichtlich ein Mensch, der nicht erst auf die Initiative oder einen Auftrag von Amtsträgern wartete, sondern selbst sah, was „dran“ war und dann anpackte. Er war aber sicher auch keiner, der sein christliches Selbstbewusstsein aus der Abgrenzung zum kirchlichen Amt bezog, sondern um die unterschiedlichen Rollen und Aufträge wusste und darum, dass das eine der Ergänzung durch das andere bedarf. Es ist das paulinische Verständnis der Kirche von dem einen Leib mit den vielen Gliedern und Aufgaben, wie wir es eben in der Lesung gehört haben (vgl. 1 Kor 12,12-14).

Das ist das Kirchenverständnis und die Haltung, die wir auch heute in der Kirche brauchen. Auch wenn wir den Katholizismus von Verbänden und Vereinen der damaligen Zeit nicht wiederbeleben können, so ist er doch ein anschauliches Beispiel dafür, wie eine klare christliche Identität und gesellschaftlicher Einsatz, überzeugte Kirchlichkeit und selbstbewusstes Laienengagement zusammengehen. Übrigens: Es ist für mich interessant, dass man damals die Pfarrstruktur sicher für wichtig nahm, aber ebenso wusste, dass es für bestimmte Anliegen und Bereiche andere Formen der Vergemeinschaftung von Gläubigen braucht – eben katholische Vereine und Verbände, die überpfarrlich agieren!

Hieronymus Jaegen wird im Volksmund gerne bezeichnet als Triers „heimlicher Heiliger“: Heimlich, weil er eben noch nicht kirchlich-offiziell selig- bzw. heiliggesprochen ist. Aber eben auch Triers Heiliger, weil er ein echtes Kind dieser Stadt ist, der er so verbunden war und in der er sich so engagiert hat.

Auch wenn er Mensch einer Zeit war, die nicht mehr die unsere ist, und er von einer Gedankenwelt geprägt war, die sich uns heute nur schwer erschließt, so gibt es doch durch uns vertraute Orte dieser Stadt, die bis heute existieren, auch ein Stück Vertrautheit, ja eine Art von Nachbarschaft mit Hieronymus Jaegen über den Abstand der Zeit hinweg.

In seinem apostolischen Schreiben Gaudete et Exsultate (2018) hat Papst Franziskus das schöne Wort von den „Heiligen von nebenan“ geprägt (GE 7). Damit meint er die Heiligen, die eher unspektakulär sind, die nicht strahlend und weithin sichtbar auf den Altären der Kirche stehen. Der Papst denkt dabei sogar an diejenigen, die aktuell in unserem Umkreis mit uns leben und in denen sich etwas von Gottes Gegenwart widerspiegelt.

Ob nicht Hieronymus Jaegen zu dieser Art von Menschen gehört, die in aller Unterschiedlichkeit zu uns uns doch irgendwie vertraut sind wie Nachbarn. Hieronymus Jaegen zeigt uns, dass nebenan und mitten unter uns und in aller Weltzugewandtheit (sogar als Bankvorstand) ein ganz und gar vom Evangelium geprägtes Leben möglich ist. Wie schön wäre es, wenn dies durch eine offizielle Seligsprechung noch sichtbarer würde! Bis dahin dürfen wir uns aber schon jetzt von seinem Lebenszeugnis inspirieren lassen und persönlich seine Fürsprache erbitten.

Weiteres:

100. Todestag Hieronymus Jaegen

in der Predigt