Bistumsweit/Trier – Bischof Dr. Stephan Ackermann hat am Sonntag, 15. März, den für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Sonntagsgottesdienst im Dom gefeiert. Um den Gläubigen die Mitfeier zu ermöglichen, wurde das Hochamt in Zusammenarbeit mit der Trierer Firma ProMusik und „OK54 Bürgerrundfunk" live übertragen (hier als Video).
Liebe Schwestern und Brüder,
vor einer Woche hätten wir uns das wohl noch nicht vorstellen können, was heute schon aufgrund der Coronaviruskrise Realität ist. Wir haben verfolgt, welche drastischen Maßnahmen Italien ergriffen hat und welche Auswirkungen das dort auch auf das kirchliche Leben hat. Aber wir haben gedacht: Bei uns wird es wohl nicht so schlimm werden. Aber jetzt ist es auch bei uns soweit. Zunächst einmal bis zum 31. März sind alle öffentlichen Gottesdienste, Veranstaltungen und Treffen im kirchlichen Leben ausgesetzt. Und dabei ist das ja nur ein Teil dessen, was sich gesamtgesellschaftlich ereignet, um diese Pandemie des Coronavirus einzudämmen, den Verlauf zu verlangsamen. Mit voller Wucht und voller Überraschung wird unser soziales und berufliches Leben ausgebremst. Unvorstellbares ist damit eingetreten.
Uns trifft die Coronakrise in der Fastenzeit - in einer Zeit, von der wir sagen, es soll eine Unterbrechung unserer alltäglichen Lebensgewohnheiten sein. Fastenzeit soll Zeit des Verzichts sein; und wir fassen uns Jahr für Jahr Vorsätze zum Verzicht. Und wir wissen doch, wie schwierig das oft ist diese Vorsätze einzuhalten: weil unsere Gewohnheiten eben doch stärker sind, weil wir uns gesellschaftlich verpflichtet fühlen, weil da die beruflichen Herausforderungen sind. Verzicht üben, den Alltag zu unterbrechen, freiwillig das zu tun - das fällt schwer. Und jetzt ist es uns unfreiwillig abverlangt: ein Verzicht und eine Unterbrechung, wie wir sie bisher nie erlebt haben. Was ist auf einmal möglich? „So viel Fastenzeit war nie“, las ich vor kurzem in einer Zeitung.
Natürlich fallen uns die Verzichte unterschiedlich schwer. Es gibt Dinge, auf die wir auch leicht verzichten können in diesen Wochen. Vielleicht Termine, von denen wir froh sind, dass sie ausfallen. Dinge, die uns ohnehin beschwerlich oder lästig waren. Aber selbst die Dinge, die uns leicht fallen: sie bleiben doch irgendwie. Und denkt man an schulfrei: Auf Dauer wird es auch langweilig. Und die Termine, die jetzt nicht stattfinden, die sind ja nicht aufgehoben, sondern eher aufgeschoben. Und es gibt ja schon Menschen, die auch um ihre berufliche Existenz bangen.
Liebe Schwestern und Brüder, was können uns die biblischen Lesungen dieses dritten Fastensonntags in der Zeit der Coronakrise sagen? Welche Orientierung, welchen spirituellen Impuls können sie uns geben in dieser Fastenzeit, die eine Fastenzeit ist wie keine andere? Die biblischen Lesungen dieses Sonntags, vor allen Dingen die Lesungen aus dem Buch Exodus und der Abschnitt aus dem Johannes-Evangelium, sie kreisen um das Motiv der Quelle. Mose schlägt während der kräftezehrenden Wanderung durch die Wüste auf den Felsen und es sprudelt Wasser hervor, um den Durst des Volkes zu stillen. Und Jesus verwickelt die Frau am Jakobsbrunnen in ein Gespräch über die Quelle des Lebens. Das kann uns anregen, uns selber zu fragen, an diesem Tag, in dieser Zeit: Was sind denn die Quellen meines Lebens? Woraus lebe ich? Was macht mein Leben froh? Was gibt mir Lebensmut? Was ist mir Lebenselixier für meinen Alltag? Vielleicht spüren Sie in dieser Zeit, wie sehr zu Ihrem Lebenselixier die Aktivitäten gehören; die beruflichen und privaten Aktivitäten, in denen Sie, in denen wir stehen, und die jetzt ausgebremst sind. Quelle des Lebens ist für mich das, was ich tue. Ich bin das, was ich tue. Menschen werden ja schon nervös, weil sie plötzlich nicht wissen, was sie mit der Zeit, die ihnen unfreiwillig geschenkt wird, nun anfangen sollen. Das kann uns Anlass zu kritischer Selbstbesinnung sein. Zu spüren: Ich werde nervös, weil ich doch sehr stark aus dem lebe, was ich alltäglich tue, aus meinen Aktivitäten.
Aber zunächst könnte es auch Anlass zu Dankbarkeit sein. Dankbar zu sein, dass ich einen Beruf habe; dass ich gefragt bin; dass ich gestalten kann; dass ich Kräfte habe, um mich aktiv einzubringen. Dankbarkeit und Selbstkritik: Beides kann ausgelöst werden durch die Frage nach der Quelle des Lebens. Vielleicht spüren wir auch in dieser Zeit, wie sehr wir aus unseren Beziehungen leben, aus den sozialen Kontakten, die einerseits eingeschränkt werden oder andererseits sich intensivieren im kleinen, häuslichen Bereich. Auch das kann Anlass zur Dankbarkeit sein. Zu spüren: Wie gut, dass da die Menschen sind, die um mich herum sich um mich kümmern. Mit denen ich sonst in einer Selbstverständlichkeit lebe, für die ich nicht danke, die mir aber jetzt in dieser Zeit deutlich wird. Wie schön, dass die anderen da sind und dass wir Wege finden zueinander. Aber vielleicht hat mancher schon Angst, weil es ihm zu nah und zu viel wird, mit Menschen zusammen zu sein; nicht ausweichen zu können. Auch da wieder: Dankbarkeit und Selbstkritik, Selbstbesinnung, die können eng beieinander liegen.
Und schauen wir schließlich auch noch auf unseren Glauben. Auch da die Frage: Gehört der Glaube zu den Quellen, aus denen ich lebe? Vermisse ich wirklich etwas, wenn jetzt die öffentlichen Gottesdienste abgesagt sind, wenn ich nicht zur Kirche gehen kann, wenn ich nicht am gemeinsamen Gebet teilnehmen kann? Wenn ja, kann auch das nicht nur Anlass zum Schmerz, sondern auch wieder zur Dankbarkeit sein? Zu spüren, der Glaube ist ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens. Vielleicht wichtiger, als ich es gedacht hätte! Ich vermisse doch mehr, als ich vorher geahnt hätte. Ein Grund zur Dankbarkeit, aber vielleicht auch das andere: zu sehen, dass Menschen nichts vermissen, dass ihnen nichts abgeht, wenn es nicht die Gelegenheit gibt, zum Gottesdienst zu gehen. Oder dass das bei mir selber der Fall ist. Es gibt auch dieses heilsame Erschrecken.
Liebe Schwestern und Brüder, ich lade Sie ein, nehmen Sie doch in diesen besonderen Wochen der Fastenzeit einfach das wahr, was in Ihnen vorgeht an Gefühlen und Gedanken, ohne das vorschnell zu verurteilen, ohne sich selbst vorschnell zu verurteilen. Lernen wir auch da von Jesus, wie er mit der Frau am Jakobsbrunnen umgeht. Im Verlauf der Begegnung erzählt sie ihm ja auch von ihrem Leben. Eine Frau, die - so würden wir heute sagen - fünfmal geschieden und wieder verheiratet war. Jesus führt die Frau Stück um Stück dahin, dass sie ihm die ganze Wahrheit ihres Lebens offenbart, ohne dass er sie verurteilt. Aber die Wahrheit kommt ans Licht. Und wie behutsam und mitfühlend und einladend vertieft Jesus auch den Glauben, den Glaubensdurst dieser Frau; die Frau die zunächst ein eher formelhaftes Bekenntnis ablegt. Wie angelernt: "Ja, ich weiß, dass der Messias kommt, der der Christus ist, er wird uns alles verkünden." Aber am Ende wird sie sich fragen: „Bist Du vielleicht dieser Christus? Habe ich diesen Messias schon gefunden? Ist er nicht Formel geblieben, abstraktes Bekenntnis, sondern ich bin ihm begegnet, und der Durst nach der Quelle des Lebens ist in mir ganz neu aufgesprudelt."
Wir können von Jesus lernen, wie er die Wahrheit annimmt, wie er einen Menschen in die Wahrheit führt und wie er zugleich zu Gott führt, der die Quelle des Lebens ist. Vielleicht, liebe Schwester und Brüder, können diese Wochen der Fastenzeit uns auch dazu Anregung sein, so etwas zu tun wie ein Gespräch am Brunnenrand; dieses Gespräch mit Jesus zu führen, jetzt wo uns Zeit gegeben ist. Vielleicht sagen Sie: „Aber was soll ich mit ihm da bereden bei einem solchen Gespräch am Brunnenrand? Ich weiß nicht, wie und was ich sagen soll." Liebe Schwestern und Brüder, es gibt, wenn Sie ja jetzt schon ins Internet gehen, so viele Anregungen dort, auch auf der Homepage unseres Bistums. Es gibt Verweise und Links; es gibt Impulse zum Nachdenken und zum Gebet, die es uns leichter machen, Jesus und seine Botschaft in unser Leben einzulassen, ihm diese Zeit des Gesprächs am Brunnenrand zu schenken. Wie viele Hinweise gibt es schon, was man mit der Zeit machen kann, die gegeben ist: ernst gemeinte und weniger ernst gemeinte Vorschläge, was mit dieser Zeit zu tun ist. Vielleicht ist es Zeit, auch in diesem Sinn. Dann kann diese Fastenzeit auch in neuer Weise Zeit der Gnade sein. Und so wünsche ich Ihnen zusammen auch mit den Mitgliedern unseres Domkapitels einen guten weiteren gesegneten Weg auf Ostern zu.
Amen.