Liebe Mitbrüder im Amt des Bischofs,
des Priesters und des Diakons,
liebe Schwestern und Brüder,
vor allem liebe Kinder und Jugendliche!
Es war noch Papst Benedikt, der das Jahr des Glaubens ausgerufen hat, in dem wir immer noch stehen. Eine neue Evangelisierung ist das Programm diese Jahres. Das haben auch die Teilnehmer der Bischofssynode, die im vergangenen Herbst in Rom stattfand, bekräftigt. Bei der neuen Evangelisierung ist gerade nicht an Menschen gedacht, die noch nie etwas vom Evangelium gehört haben. Vielmehr sind diejenigen im Blick, die das Evangelium schon kennen, die getauft sind und zur Kirche gehören, also auch wir.
Aber ist das denn wirklich nötig, so kann man sich fragen. Steht es wirklich so schlimm um uns? Wir kennen doch das Evangelium von Kindesbeinen an, sind zum großen Teil in der Familie im Glauben erzogen worden, kennen die biblischen Erzählungen, haben viele Jahre Religionsunterricht gehabt, haben den Erstkommunion- und Firmunterricht absolviert (oder sind gerade intensiv dabei). Wozu braucht es dann so etwas wie eine neue Evangelisierung? Das klingt doch so, als müsse man mit dem Glauben ganz von vorne anfangen.
Wenn man mit Katechetinnen und Katecheten in unseren Pfarreiengemeinschaften spricht, dann sagen sie: So abwegig ist das mit dem Neuanfangen nicht: Bei vielen Jugendlichen ist es tatsächlich so, dass man den Eindruck hat, bei der Firmkatechese beginnt eigentlich wieder alles von vorn. Was die Kinder im Kommunionunterricht wussten, das wissen die Jugendlichen nicht mehr. Insofern braucht es quasi einen Neuanfang.
Aber das Programmwort „neue Evangelisierung“ meint noch mehr: Da geht es nicht nur um die Jugendlichen, die heutzutage angeblich nichts mehr wissen. Bei vielen Erwachsenen ist es nicht anders. Es ist doch kein Zufall, dass in unseren Zeitungen die Erklärungen zu den christlichen Hochfesten immer länger und ausführlicher werden. Und ich kenne Jugendliche, die können wissensmäßig manchem Erwachsenen etwas vormachen. Deshalb müssen wir noch etwas genauer hinschauen. Dann sehen wir: Selbst unter denjenigen, die im Glauben erzogen worden sind, die sich mit der Bibel und dem Glaubensbekenntnis ganz gut auskennen, leben viele doch so, als ob sie das Evangelium nicht kennen würden. Bloßes Wissen gespeichert zu haben, das reicht nicht. Ich kann ja auch alle Verkehrsregeln aus dem Effeff kennen und halte mich trotzdem nicht daran … Ähnlich ist es mit dem Glauben: Es reicht nicht, Wissen über den Glauben irgendwo abgelegt zu haben. „Unser Verstand muss auch getauft werden“, so hat einmal der große Theologe Romano Guardini gesagt. Das Taufwasser darf nicht nur äußerlich an unserem Körper herablaufen, es soll sozusagen nach innen durchdringen bis zu unserem Denken und Fühlen.
Deshalb braucht es eine neue Evangelisierung, braucht es im Grunde immer wieder eine neue Evangelisierung: Das heißt: Ich muss mich immer wieder neu der Botschaft des Evangeliums aussetzen, sie hören, sie an mich heranlassen, damit sie mich prägen und verändern kann. Nur dann werde ich ein wirklicher Christ, eine wirkliche Christin. Evangelisierung ist letztlich ein Prozess, der das ganze Leben über nicht aufhört. Denn obwohl wir um die Botschaft Jesu wissen, leben wir oft so, als ob wir noch nie von ihr gehört hätten. Das liegt sicher auch daran, dass die Botschaft Jesu anspruchvoll ist, dass wir innere Widerstände überwinden müssen, um ihr zu folgen. Oft scheint sie mehr Nachteile zu bringen als Vorteile. Deshalb lassen wir sie lieber bloß im Hinterkopf oder vergessen sie schnell wieder, holen sie nur an Feiertagen hervor.
Wie kann aber dann neue Evangelisierung überhaupt gelingen? Ich meine, sie kann nur gelingen, wenn wir uns an das erinnern, was Jesus im Anschluss an den Propheten Jesaja sagt: „Der Herr hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe“ (Jes 61,1/ Lk 4,18). Am Ausgangspunkt des Glaubens steht die Freude. Alles beginnt bei der Freude. Ein freudloses Christentum ist kein Christentum. Ohne Freude wird der Glaube keinen Bestand haben. Wo der Glaube zu einem bloßen System von Lehrsätzen oder Handlungsanweisungen verkommt, da wird er eingehen. Wo Glaube nur als eine Ansammlung von steilen Forderungen oder Durchhalteparolen gesehen wird, da wird er unerträglich. Da wird man sich möglichst schnell von ihm befreien wollen.
Deshalb wird eine neue Evangelisierung nur da gelingen, wo das Evangelium verstanden wird als das, was es im Ursprung ist: eine zutiefst frohe Botschaft. Papst Franziskus hat das Wort von der Freude übrigens am vergangenen Sonntag an den Anfang seiner Predigt gestellt. Er hat die Mitfeiernden, vor allem die vielen Jugendlichen, die in der Vorbereitung auf den nächsten Weltjugendtag in Rio dort waren, daran erinnert, dass dies das erste Wort des Glaubens ist: die Freude. „Lasst euch niemals von Mutlosigkeit überwältigen! Unsere Freude entspringt nicht aus dem Besitzen vieler Dinge, sondern daraus, einer Person begegnet zu sein: Jesus, der in unserer Mitte ist.“ Deshalb wird eine neue Evangelisierung, die mehr ist als eine bloße Auffrischung des Glaubenswissens, auch nur über eine erneuerte Freude am Glauben gelingen.
Diese Freude kann aber letztlich nur Jesus selbst geben. Natürlich dürfen wir uns freuen über einen neuen Papst, dürfen uns freuen über die mutigen und guten ersten Zeichen, die er setzt. Natürlich freuen wir uns, dass auch die Weltöffentlichkeit diesen Papst gut aufnimmt als einen Mann, der nicht unnahbar ist und dessen Herz besonders für die Armen schlägt. Natürlich dürfen und wollen wir uns freuen an den vielen tollen Persönlichkeiten, die es in der Kirche gegeben hat und immer wieder gibt. Ich denke etwa an Ordensleute, die an entlegensten Posten dieser Erde leben, das Evangelium verkünden und für die Würde der Menschen eintreten. Natürlich müssen auch wir uns Tag um Tag bemühen, möglichst glaubwürdig und anziehend die Kirche Jesu Christi zu sein. Und wir dürfen uns freuen über die große Lebendigkeit, das Engagement und die vielen Talente, die es in unserem Bistum gibt. Das können wir heute morgen sehen, und das können die Weihbischöfe und ich bei unseren Besuchen im Bistum immer wieder erleben.
Und doch wissen wir: Trotz all der vielen guten Seiten und allem Bemühen ist auch das Andere da und wird immer wieder auch sichtbar: Das Versagen der Christen, die Situationen, in denen wir nicht dem Evangelium entsprechen, die dunklen Seiten und menschlichen Abgründe. Und da sind diejenigen, die mit dem Finger auf die Kirche zeigen, zu Recht oder zu Unrecht. Am Ende bleibt es immer ein Gemisch von hellen und dunklen Seiten der Kirche, gibt es immer Grund zur Freude und Grund zur Kritik. Wirklich strahlend sind nur wenige: Allen voran zählen wir dazu Maria: die große Jüngerin des Evangeliums und Mutter Gottes. Im Letzten aber ist es Jesus selbst: Er ist der eigentliche Grund, warum ein Mensch dem Evangelium und der Kirche Glauben schenken sollte. Über ihn dürfen wir uns abstrichslos freuen. Bei ihm gibt es keinen Zwiespalt zwischen Reden und Tun. Er fordert nichts, was er nicht als erster einlösen würde. Seine Predigten wurden durch machtvolle Zeichen bestätigt. Das stärkste Zeichen, das er gab, war seine Hingabe bis zum Tod. Das stärkste Zeichen, das Gott gab, ist die Auferweckung Jesu.
All das hat Jesus, hat Gott nicht einfach deshalb getan, damit er gut dasteht. Bei allem geht es um uns Menschen. In allem sagt Gott uns: „Ich habe euch aus Liebe erschaffen, und ich bleibe meiner Liebe treu, egal was geschieht. Deshalb habe ich Jesus gesandt. In ihm werbe ich um euch, um jeden einzelnen, damit wir Gemeinschaft haben und ihr immer wieder zurückfindet, wenn es nötig sein sollte.“ Das ist der Kern des Evangeliums, das ist frohe Botschaft. Die frohmachendste, die wir Menschen jemals hören können.
Liebe Schwestern und Brüder! Wenn jemand uns etwas Gutes sagt, uns lobt, uns gegenüber seine Wertschätzung zum Ausdruck bringt, dann sagen wir schon einmal: „Das geht mir herunter wie Öl.“ Die Frohe Botschaft ist die große Wertschätzung, die Gott uns entgegenbringt. Wer sie mit offenem Herzen hört, dem geht sie herunter wie Öl. Wenn wir in dieser Messe die heiligen Öle weihen, die zur Spendung der Sakramente in unserem Bistum verwendet werden, dann soll durch sie ganz sinnenfällig Gottes Zusage an uns bekräftigt werden. Sie stehen für Gottes Wohltaten an uns.
Was ich eben über das Taufwasser gesagt habe, das gilt für das Öl noch mehr: Es soll nicht äußerlich bleiben, ja es kann gar nicht äußerlich bleiben. Es wirkt ein, geht unter die Haut. Deshalb ist es ein ausdrucksstarkes Zeichen für das, was Evangelisierung meint: Das beständige und immer tiefere Einwirken des Evangeliums Jesu Christi auf unser ganzes Leben. Erneuern wir in diesem Sinne unsere Bereitschaft, uns neu evangelisieren zu lassen. Amen.