Schriftlesungen: Apg 28,16-20.30.31/ Joh 21,20-25
Liebe Mitbrüder im Amt des Bischofs, Priesters und Diakons,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
liebe Familien und Angehörige unserer Weihekandidaten,
vor allem aber liebe Weihekandidaten selbst!
Sie haben sich in den zurückliegenden Jahren intensiv mit der Frage der Berufung beschäftigt. Sie haben sich auseinandergesetzt mit der Frage: Ist der Weg des Diakons mein Weg? Ist das, was ich da als inneren Anruf spüre, wahr? Soll ich diesen Weg beschreiten?
Sie werden diese Fragen besprochen haben mit Ihren Frauen und in Ihren Familien. Sie haben es getan im Bewerberkreis. Sie werden sich auch von anderen befragt haben lassen, vielleicht von Berufskollegen. Zu all diesen Frage gehört natürlich auch die Frage: Wird das gehen? Werde ich Familie und Beruf vereinbaren können mit diesem Dienst? Werde ich ihn gut ausüben können? Werden meine Kräfte dazu reichen?
Sich diese Fragen zu stellen vor der Übernahme eines Amtes in der Kirche, ist unerlässlich. Es braucht diese Fragen. Es braucht das Sich-selbst-Prüfen und das Sich-prüfen-Lassen. Aber Sie werden auch gespürt haben, dass all diese Fragen irgendwo ihre Grenze haben. Vielleicht haben Sie dies gerade im Gespräch mit anderen gespürt, die fragen: »Wie kommst Du eigentlich dazu?« Was soll man da sagen? Man kann äußere Faktoren nennen. Man kann sagen: »Ich war immer schon irgendwie in der Kirche engagiert. Das, was das Profil des Diakons ausmacht, das zieht mich an.« Aber am Ende gibt es einen Punkt, den man nicht beantworten kann. Nicht, weil man es nicht wollte, sondern weil man es letztlich nicht kann. So wie jemand gefragt wird, warum er diese oder jene Frau geheiratet hat. Er mag dann bestimmte Dinge nennen, vielleicht auch Qualitäten, etwas, das ihn besonders an seiner Frau fasziniert. Doch am Ende ist es eigentlich unmöglich, eine Antwort zu geben auf die Frage nach der Liebe. Denn am Ende bleibt sie ein Geheimnis. Bei der Berufung in der Kirche ist das nicht anders.
Das Evangelium, das wir gehört haben, und das mit diesem Samstag zusammenfällt, dem letzten Tag vor dem Pfingstfest, spricht von eben diesem Geheimnis. Es spricht vom Geheimnis der Berufung, dem Geheimnis, das Jesus ganz persönlich mit jedem Menschen hat. Es ist die Schlussszene des Johannesevangeliums. Sie spielt am See Gennesaret. Jesus zeigt sich den Jüngern als Auferstandener. Sie erkennen ihn, wenn auch nicht sofort. Sie halten mit ihm Mahl am Ufer des Sees. Dann geht Jesus auf Petrus zu, auf den, der ihn verleugnet hat, der nichts mehr mit Jesus zu tun haben wollte. Jesus fragt Petrus nach seiner Liebe und vertraut ihm die Kirche an: »Weide meine Lämmer, weide meine Schafe.« (Joh 20,15f). Danach kommt das, was wir gehört haben. Petrus schaut auf Johannes, den Lieblingsjünger und fragt Jesus: »Was wird denn mit ihm?« Darauf die schroffe Antwort Jesu: »Wenn ich will, dass er bis zu meinem Kommen bleibt, was geht das dich an?« (Joh 21,22).
Der Evangelist sagt uns nicht, wieso Petrus diese Frage stellt. Ob er es aus Sorge um den den Mitbruder tut oder aus Neugier. Der Evangelist sagt auch nicht, warum Jesus so reagiert. Ich verstehe diesen Dialog so, dass Jesus Petrus gegenüber eine Grenze setzt, um das Geheimnis des anderen zu schützen, um Petrus zu sagen: So wie ich mit dir mein Geheimnis, meine Beziehung habe, so habe ich es auch mit Johannes. Und dieses Geheimnis hast du zu respektieren. An dieser Grenze enden die Fragen: Was wird mit dem? Welchen Weg wird er gehen? Es gibt den Punkt, wo das Fragen aufhört. Und das ist auch der Punkt der Weiheliturgie. Nicht, dass alle Fragen mit dem heutigen Tag gelöst wären. Nicht, dass es immer wieder auch Fragen bräuchte und man sich vergewissern muss über den eigenen Weg. Doch die Grundfrage »Ist das mein Weg? Wird das gehen? Wie werde ich das schaffen?« und all die Fragen, die andere mir in dieser Richtung stellen, sie kommen mit der Weihe an ihr Ende. Jesus sagt Ihnen, liebe Weihekandidaten, Ihnen liebe Schwestern und Brüder, und auch mir als Bischof: Respektiere das Geheimnis, das ich mit jedem einzelnen dieser Männer habe. Respektiere dieses Geheimnis und glaube, dass es mein Ruf ist, der ergangen ist. Frage nicht mehr, sondern glaube. »Du aber folge mir nach«, sagt Jesus zu Simon Petrus (Joh 21,22). Darum geht es. Schau auf dich. Du, folge mir nach! Glaube, dass auch ich ein Geheimnis mit dir habe und einen ganz persönlichen Weg.
Das also ist das Erste, das die Texte dieses Tages uns sagen. Sie sprechen vom Geheimnis der Berufung. Und das Zweite? Schauen wir auf die Lesung, die wir gehört haben. Auch hier wieder: die letzten Verse eines der biblischen Bücher. Die letzten Verse der Apostelgeschichte. Während der Osterzeit wurde sie uns Stück um Stück vorgetragen. Sie erzählt vom Entstehen der jungen Kirche und von den erstaunlichen Taten des Apostels Paulus. Nun, an diesem Samstag steht das Ende der Apostelgeschichte: Es handelt von Paulus, der aufgrund seiner Auseinandersetzungen mit den Juden angeklagt ist und von seinem Recht als römischer Staatsbürger Gebrauch macht: Er legt gegen die Klage Berufung ein beim Kaiser. Auf diese Weise kommt er als Gefangener nach Rom. Offensichtlich war Paulus ein Gefangener, dem eine besondere Behandlung zuteil wurde: Er sitzt nicht einfach im Gefängnis, sondern in Hausarrest. Die Apostelgeschichte sagt sogar ausdrücklich, dass er allein in dieser Wohnung war, nicht etwa zusammengepfercht mit zwanzig anderen Untersuchungshäftlingen. Nein, er ist allein in dieser Mietwohnung. Er wohnt dort zwei Jahre und empfängt die Menschen, die zu ihm kommen: Juden, mit denen er diskutiert, und Christen, beide auf ihre Weise Geschwister im Glauben.
Mit diesem Bild klingt die Apostelgeschichte aus. Oberflächlich wirkt es wie eine einfache Beschreibung, fast wie ein Report. Irgendwie klingt es geradezu harmlos: Paulus in dieser Wohnung, sitzt da und wartet auf seinen Prozess. Damit endet also die Geschichte. Doch das, was harmlos klingt, ist in Wirklichkeit überhaupt nicht harmlos. Es ist in seiner Bedeutung nicht zu überschätzen, wenn man sich die Situation konkret vorstellt: Ein Mann, ein Tuchmacher, ein Jude, sitzt in Rom in einer Mietwohnung. Rom ist zur damaligen Zeit nicht nur eine quirlige Stadt. Es ist die Kapitale des römischen Reiches, die Schaltzentrale der Macht der damaligen bekannten Welt. Und irgendwo mitten darin, jedoch nicht an den Hebeln der Macht von Politik und Religion, sondern wie eine Stecknadel im Heuhaufen sitzt Paulus in Mietwohnung. Mich fasziniert dieser Gedanke immer wieder neu, wenn ich den Schluss der Apostelgeschichte höre. Wer heutzutage nach Ostia fährt, zum antiken Hafen des alten Rom, der kann noch Ruinen solcher Mietskasernen besichtigen. Von einer dieser Wohnungen ist eine revolutionäre Kraft ausgegangen, die sich über die ganze Welt verbreitet hat. Das ist das Faszinierende und Frohmachende dieses Schlussberichts der Apostelgeschichte. Die Welt verändert sich also nicht immer von den Zentralen der Macht her. Nein, viel tiefgreifender hat sie sich verändert von dieser unbedeutenden Mietwohnung aus irgendwo im alten Rom. Da, wo das alltägliche Leben sich abgespielt hat. Auch nicht vom sakralen Raum aus hat sich die Welt verändert, sondern aus diesen einfachen Zusammenhängen irgendeiner x-beliebigen Wohnung. Die Geschichte der frühen Kirche sagt uns: Damit der Glaube seinen Anfang nimmt und sich ausbreiten kann, muss nicht erst die Welt zurückweichen, muss nicht erst eine »weltfreie« Zone geschaffen werden, ein sakraler Raum, wo dann Gott Platz hätte. Nein, der Glaube beginnt unter den alltäglichen Lebensverhältnissen der Menschen. In den Hauskirchen, in denen sich die Christen um Jesus und sein Wort versammelt haben. Menschen stellten ihre privaten Wohnungen zur Verfügung, damit Gläubige sich dort versammeln, auf Jesus Christus hören und sich von ihm ansprechen lassen konnten.
Wir wissen nicht, liebe Weihekandidaten, liebe Schwestern und Brüder, wie die Kirche in unserem Land in zwanzig oder dreißig Jahren aussehen wird. Wir wissen nicht, wie belebt unsere Sakralräume sein werden. Aber eines ist schon klar: Das Zusammenkommen in unseren Häusern, das Sich-Versammeln in den alltäglichen Bedingungen unseres Lebens, um dort den Glauben zu teilen, um auf Jesus Christus zu schauen und zu hören, das wird in jedem Fall wichtiger werden. Ja, ich bin sogar überzeugt, dass dies überlebensnotwendig sein wird für unseren Glauben.
Das Amt des Diakons steht in besonderer Weise für diese Verbindung des alltäglichen Lebens mit der Botschaft des Glaubens. Es steht dafür, dass da keine Kluft zwischen diesen Bereichen ist, dass nicht die Welt zurücktreten muss, damit der Glaube Platz hat. Nein, das Amt des Diakons steht dafür, dass da, wo wir leben, in den einfachen, oft auch verwickelten und schwierigen Zusammenhängen, Platz ist für die Botschaft Jesu Christi. Hier will sie Wurzeln schlagen. Hier will sie die Herzen der Menschen erreichen. Ich möchte Sie bitten, liebe Diakonandi, dass Sie in diesem Sinn Ihren Dienst verstehen als Brücke zwischen den alltäglichen Lebensbedingungen der Menschen und der Botschaft des Glaubens. Helfen Sie gerade durch Ihren Dienst als Diakone mit, die Welthaltigkeit des Glaubens zu sehen. Helfen Sie mit, dass sich in den normalen Lebensverhältnissen der Menschen der Glaube tiefer verwurzeln kann. Hier liegt Ihr spezifischer Auftrag.
Und ein Letztes. Es schließt sich an diesen Gedanken an, und es hat zu tun mit dem gemeinsamen Weihespruch, den Sie sich gewählt haben aus dem Kolosserbrief und damit ganz aus dem Geist des heiligen Apostels Paulus. Sie haben es über Ihre Weiheanzeige gesetzt, Sie verstehen diesen Weihespruch als ein Leitwort für Ihren Dienst. Es lautet: Alles, was ihr tut in Worten und in Werken, geschehe im Namen Jesu, des Herrn (Kol 3,17). Dass wir unsere Gebete beginnen im Namen Jesu, des Herrn, dass wir den Gottesdienst beginnen im Namen des dreifaltigen Gottes, das ist uns selbstverständlich. Aber Sie, liebe Weihekandidaten, wollen ja mehr. Ihr Anspruch ist höher. Sie sagen sich und uns mit dem Apostel Paulus: Alles, was wir tun in Worten und in Werken, all das geschehe im Namen Jesu des Herrn, d. h. all das soll »verträglich« sein mit der Botschaft Jesu, soll mit ihr »kompatibel« sein. Über alle unsere Lebensverhältnisse soll man den Namen Jesu ausrufen können. Sein Name soll nicht ein Störfaktor sein, sondern die zu unserem Leben passende Überschrift.
Dieses Vorhaben ist faszinierend und anspruchsvoll zugleich. Denken wir nur an unsere normalen Lebensbedingungen. Können wir wirklich sagen, dass wir alles tun im Namen Jesu, des Herrn: Wenn wir zusammen sitzen in der Familie, wenn wir uns beraten mit Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns über andere ärgern beim Autofahren, beim Einkauf, in all den Situationen, die uns begegnen. Können wir da ehrlichen Herzens sagen: Ja, auch das soll stehen unter dem Vorzeichen und dem Namen Jesu Christi! Wir spüren, dass der Weihespruch unserer künftigen Diakone ein mutiges und zugleich selbstkritisches Wort ist. Es hilft, das Leben in besonderer Weise von Jesus prägen zu lassen. Fragen wir uns ruhig im Laufe eines Tages: Verträgt sich das, was ich gerade tue, mit Jesus? Oder habe ich den Eindruck, eigentlich passt es nicht zu ihm. Wie oft verhalten wir uns in unseren alltäglichen Lebenszusammenhängen so wie alle anderen Menschen auch. Doch der Anspruch des Christlichen heißt, das Leben in allen seinen Facetten durchtränken zu lassen vom Glauben. Das war ja das Faszinierende an den frühen Christen. Die Predigten und Briefe des Paulus waren wichtig, aber mindestens ebenso wichtig war das konkrete alltägliche Leben. Dass Menschen gesagt haben: »Schaut, seht wie diese Christinnen und Christen leben, wie sie einander lieben«, das war entscheidend. Am Ende hängt die Glaubwürdigkeit der Botschaft und der Kirche nicht ab von den großen Predigten, sondern von dem konkreten Zeugnis, das wir geben.
Liebe Weihekandidaten, als Diakone sind Sie dazu beauftragt, zu predigen und so den Glauben zu verkündigen. Mindestens ebenso wichtig aber ist, dass Sie mithelfen, das alltägliche Leben der Menschen durchtränken zu lassen vom Licht des Glaubens. Helfen Sie mit, dass der Name Jesu aufscheint über den verschiedenen Situationen, in denen Sie und die Menschen stehen, zu denen Sie gesandt werden.
Schwestern und Brüder, wir wollen jetzt gemeinsam darum bitten, dass den fünf Männern dies gelingt, dass Gott ihr Zeugnis segnet, dass der Name Jesu ausgerufen ist über sie zum Dienst für die Kirche und die Menschen unserer Tage. Amen.