Die Öle, die in der Chrisammesse geweiht werden, sind nicht nur einfach Kosmetika oder wohlriechende Salben: „Darin stecken Jesu Hingabe bis zum Tod und seine österliche Lebensmacht, die der Vater im Himmel ihm geschenkt hat.“ Das hat Bischof Dr. Stephan Ackermann am 12. September im Trierer Dom betont. An diesem Tag wurde die Chrisammesse gefeiert, denn aufgrund der Corona-Pandemie konnte sie nicht wie gewohnt in der Karwoche stattfinden.
Wir dokumentieren die Predigt im Wortlaut:
Liebe Schwestern und Brüder im gemeinsamen Glauben,
vor allem auch: liebe Mitbrüder im Dienst als Priester, Diakone und Bischöfe!
1. Die Feier der Chrisammesse mit der Weihe der heiligen Öle macht uns in besonderer Weise deutlich, wie sehr Nähe und Berührung zu unserem Glauben gehören. Salben und Öle müssen auf die Haut des Menschen aufgetragen werden. Das geht nicht aus sicherer Entfernung, sondern bedarf der Nähe. Einen Menschen salben kann nur jemand, der keine Berührungsängste hat.
Nähe und Berührung gehören zu unserem Glauben, weil der Glaube bis in die Liturgie hinein weiß, dass wir Menschen eben nicht nur Geistwesen sind, sondern Personen aus Fleisch und Blut: Das Geistige und das konkret Sinnliche gehören bei uns Menschen zusammen. Das lässt sich nicht voneinander trennen. Insofern ist es ein Beweis für die Lebensnähe und Lebensweisheit unseres Glaubens – sagen wir ruhig: gerade unseres katholischen Glaubens, dass er beides eng miteinander verbindet.
2. Nun stellt die Corona-Pandemie diese Grundüberzeugung unseres Glaubens, wie überhaupt dieses Grundbedürfnis des Menschen nach Nähe und Berührung arg auf die Probe. Und das bis heute. Sicherheitsabstand ist angesagt, nicht nur gegenüber wildfremden Menschen …
Dass Menschen in den letzten Monaten darunter gelitten haben und noch darunter leiden, ist schon häufig festgestellt worden. In wievielen Situationen tut es gut, nicht nur Worte zu hören, sondern diese Worte mit entsprechenden körperlichen Gesten zu verstärken, angefangen vom Handschlag zur Begrüßung bis hin zur Umarmung aus Liebe.
3. Auch in der Feier der Liturgie hinterlassen die Vorsichtsmaßnahmen ihre Spuren. Wir sehen ein, dass sie sein müssen, und haben uns inzwischen damit arrangiert.
Es gab in den letzten Monaten vereinzelt auch andere Stimmen – ich denke dabei vor allem an den Bereich der orthodoxen Christenheit. Priester und Bischöfe haben die Überzeugung vertreten, dass eine Materie, die geheiligt ist durch Weihe und Gebet, per se nicht mehr krankheitsübertragend sein kann. Das gelte ganz besonders für die Gabe der Eucharistie. Die medicina salutis, die Medizin des Heils, kann Menschen nicht kontaminieren …
Wir würden darin ein allzu magisches Verständnis sehen, das die Heiligkeit der Sakramente zu dinglich versteht und das zu wenig unterscheidet zwischen medizinischer Gesundheit und dem ganzheitlichen Heil des Menschen. Beides ist nicht dasselbe.
Nach unserem Verständnis sind die Sakramente Feiern, die einerseits zwar nicht ohne die konkrete Materie (Wasser, Brot, Wein, Öl) auskommen, aber andererseits und vor allem sind sie Mittel, um Beziehung zu stiften mit dem, der sich an sie gebunden hat: Jesus Christus.
Und da echte menschliche, personale Beziehung immer etwas Geistiges und konkret Sinnenhaftes zugleich ist, gibt es die Sakramente nie ohne die Botschaft Jesu Christi, und die Botschaft Christi nie bloß als abstrakte Lehre oder als Weltanschauung.
4. Das ist wichtig für diejenigen, die die Sakramente empfangen, also etwa mit Chrisam- oder Krankenöl gesalbt werden: Es reicht eben nicht, bloß mit dem heiligen Öl in Berührung zu kommen, ansonsten aber die Botschaft Jesu zu ignorieren. Dann wird das Öl seine Wirkung nicht entfalten.
Die Überzeugung von der beziehungsstiftenden Dimension der Sakramente ist aber auch wichtig für diejenigen, die die Sakramente spenden: Denn auch wir müssen alles daran setzen, dass in der Feier der Sakramente diese Dimension spürbar wird. Bischöfe, Priester und Diakone sind eben keine bloßen Ritendiener. Es reicht nicht, den Ritus formal richtig zu vollziehen (auch wenn das natürlich dazugehört!). Wann immer es geht, muss in der Feier spürbar werden, dass es Christus ist, der die Nähe zu den Menschen sucht, der die Menschen heilen will, der sie in ihrer Würde bestärken will, der ihnen die ursprüngliche Würde wieder schenken will, wo sie bedroht oder verloren gegangen ist.
Das fordert uns, die Treuhänder der Sakramente, als Personen heraus. Denn es verbietet uns, uns hinter dem Ritus zu verstecken. Und es bedeutet, jenseits des Gottesdienstes die konkrete Begegnung mit den Menschen zu suchen, auch da, wo es nicht leicht ist, wo die Menschen nicht einfach auf uns zukommen, ein Sakramente empfangen wollen, sondern auch da, wo wir zunächst auf Desinteresse oder Vorbehalte stoßen.
Jesus hat doch deshalb Jünger und Jüngerinnen berufen, weil er wusste, dass auf Dauer Menschen nur dann mit ihm in Beziehung kommen, wenn diejenigen, die zu ihm gehören, sich ihrerseits aufmachen und Beziehung anbieten.
Deshalb gibt es nicht nur die amtlich-offiziellen Sakramente der Kirche. Es gibt auch so etwas (vorher und nachher) wie das „Sakrament des Bruders“ (und der Schwester) [Hans Urs von Balthasar] durch die die konkrete Nähe eines anderen Menschen. Die Sakramente der Kirche blieben irgendwie blutleer, wenn sie nicht eingebettet wären in das Sakrament des Bruders und der Schwester.
5. Gott ist uns in Jesus Christus Bruder geworden. Er will, dass wir dem Glauben in unserer Zeit Gesicht geben, damit der Glaube nicht abstrakt bleibt, sondern konkret in das Leben der Menschen eintreten kann.
Wir dürfen uns nicht drücken, auch nicht unter den erschwerten Bedingungen der Coronasituation. Es braucht unsere Energie und unsere Fantasie, Wege zu den Menschen zu finden, gerade auch zu denen, die zu den Stillen und Benachteiligten gehören: den Armen, den Geschlagenen, den Verlassenen … Aber wir dürfen den Menschen eben auch nicht nur uns selbst bringen. Das ist Anspruch und Entlastung zugleich!
Die heiligen Öle machen für mich beides sichtbar: Der Herr braucht uns, um zu Menschen zu gelangen, mit ihnen Beziehung aufzunehmen, um sie berühren zu können. Wo das gelingt, wo Menschen sich von der Botschaft Jesu berühren lassen, da tut er dann sein Werk als der, der gesalbt ist mit der Kraft des göttlichen Vaters.
Amen.