Verehrte, liebe Mitbrüder im Bischofs-, Priester- und Diakonenamt!
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
Liebe Familien Gebert und Sachtleben, lieber Mitbruder Franz Josef!
Unsere Trierer Diözesansynode hat uns in Erinnerung gerufen, dass die Kirche dann lebendig ist, wenn sie die Charismen schätzt und fördert und zur Geltung bringt. Die Charismen sind das, was Gott in uns Menschen wirkt und wachsen lässt, wenn wir uns seiner Wirklichkeit öffnen. Sie sind nicht einfach Talente im umgangssprachlichen Sinn, sondern sie sind Gottes Gaben an seine Kirche und in seiner Kirche. Ohne sie kann die Kirche den Auftrag, den sie von Gott hat, nicht erfüllen.
Zugleich hat die Synode in ihren Beschlüssen das synodale Element hervorgehoben. Sie sagt damit: Kirche sind wir alle, und wir sind es nur zusammen. Keine Gruppe, kein Stand, kein Teil allein kann die Kirche bilden und darstellen. So sagt es schon Paulus den Christen in Korinth: Der Leib Christi, der die Kirche ist, besteht nicht anders als im Zusammenwirken der vielen verschiedenen Glieder (1 Kor 12,12).
Durch diese Akzentsetzungen, ja „Perspektivwechsel“, die die Synode unserem Bistum ins Aufgabenheft geschrieben hat, wurde in den letzten Monaten immer wieder die Frage aufgeworfen, welche Rolle in diesem Bild einer charismen-orientierten und synodalen Kirche dem Amt zukommt. Diese Frage treibt – wen wundert‘s? – vor allem diejenigen um, denen ein Amt in der Kirche anvertraut ist. Wie ist das Amt zu verstehen? Ist es ein Charisma im großen Strauß der Charismen insgesamt? Oder steht das Amt gar in einer Spannung, in einem Gegensatz zu den Charismen? In der Praxis erlebe man mitunter kirchliche Amtsträger eher als Bremser, gar als Verhinderer, dass Charismen sich entfalten können – so wird gesagt. Von mancher Vakanz heißt es, sie habe einer Pfarreiengemeinschaft gutgetan: Die Charismen von Gemeindemitgliedern hätten sich freier entfalten können als zu der Zeit, als ein Pastor da war … Fast scheint die Gleichung zu gelten: Je mehr sich das Amt in der Kirche zurücknimmt, ja verschwindet, umso ungehinderter kann sich die Vielfalt der Charismen entfalten. Ist das auch die Vision, die uns die Synode vorlegt? Sicher nicht.
Das seltene Ereignis einer Bischofsweihe, die wir heute feiern, liebe Mitchristen, gibt uns die Gelegenheit, uns noch einmal darin zu vergewissern, was die Aufgabe des Amtes in der Kirche ist: dieses Amtes, das sich – wie wir sagen – in den drei Formen oder Stufen von Diakon, Priester und Bischof entfaltet; im Bischof, so sagt es die Lehre der Kirche, ist es in seiner ganzen Fülle gegeben.
Was macht das Eigentliche des Amtes aus? Worin besteht sein wesentlicher Auftrag? Wenn wir vom Bischofsamt her schauen, fällt die Antwort nicht so schwer. Denn die Bischöfe stehen in der Nachfolge der Apostel, also der Männer, die Jesus ausgesandt hat mit dem Auftrag: „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“ (Mk 16,15) Die Verkündigung des Evangeliums ist der Kern des kirchlichen Amtes. Die Träger des Amtes, allen voran die Bischöfe, haben den Auftrag, die Botschaft von Jesus, dem Christus, dem Menschgewordenen und Auferstandenen in die Welt zu tragen. Sie haben dafür Sorge zu tragen, dass diese Botschaft nicht verstummt, nicht vergessen wird, nicht untergeht und nicht nur im geschlossenen Zirkel der Getauften bleibt.
Kein Element wird in der Liturgie der Bischofsweihe deshalb so herausgehoben wie das Evangelium, das Wort Gottes: Nicht die Gaben von Brot und Wein, wie bei der Priesterweihe, werden dem neugeweihten Bischof überreicht. Nein, es ist das Evangelium, das der Bischof „in aller Geduld und Weisheit“ verkünden soll. Und als ob er ja nicht vergessen soll, dass ihm die Botschaft Jesu nicht einfach in seine Hände, d. h. in seine Verfügung gegeben ist, wird ihm vorher beim Weihegebet das aufgeschlagene Evangelienbuch auf den Kopf gelegt und über ihn gehalten und ihm damit sinnenfällig deutlich gemacht: „Denk daran: Du stehst unter dem Wort Gottes. Du trägst es. Du bist nicht Herr über dieses Wort!“
„Aber gilt das nicht für alle Getauften?“, so könnte man kritisch einwenden. In der Tat: Alle Christinnen und Christen sollen das Wort Gottes bezeugen und präsent machen durch ihr Wort und ihr Beispiel. Und je mehr sie es tun, umso glaubwürdiger ist die ganze Kirche.
Dem Amt, insbesondere den Bischöfen kommt dabei die Aufgabe zu, die Botschaft Gottes in ihrer ganzen Bandbreite, also mit dem, was die Menschen anzieht, was sie tröstet und stärkt, aber auch mit dem, was sie herausfordert und zum Widerspruch reizt, auszurichten. Die Bischöfe als Verkündiger sollen uns davor bewahren, dass wir uns von der Botschaft Gottes nur das herausgreifen, was uns naheliegend und einleuchtend erscheint.
Und sie haben darauf zu achten, dass die Botschaft Jesu Christi gelesen und gelebt wird in der Gemeinschaft der ganzen Kirche. Deshalb ist gerade für das Bischofsamt das Element der Kollegialität unverzichtbar. Um dieses Element müssen wir Bischöfe immer wieder auch ringen, wenn es darum geht, die Botschaft des Glaubens auf die Situationen der Kirche und der Menschen von heute hin auszulegen. Manches Mal schiene es einfacher, jeder ginge seinen eigenen Weg. Doch das Evangelium bleibt nur das Evangelium, die Frohe Botschaft Jesu Christi in der Gemeinschaft der ganzen Kirche. Dass wir davon nicht lassen: vom ganzen Evangelium in der Verbundenheit mit der ganzen Kirche, dafür hat das Amt, gerade das Bischofsamt, Sorge zu tragen.
Es kommt aber noch ein Aspekt hinzu: Dem Amt in der Kirche ist nicht nur aufgetragen, das Wort Gottes zu verkündigen, d. h. es zu Gehör zu bringen und es auszulegen. Nein, es ist ihm auch das Wort anvertraut, in dem Gott sich selbst unmittelbar den Menschen zusagt: Ich meine damit die Feier der Sakramente. In ihnen wird Gottes Wort nicht nur verkündet. Nein, Gott selbst sagt sich in ihnen dem Menschen zu. Gott sagt doch in der Taufe zum Täufling: „Ich befreie dich aus dem Gefängnis der Sünde und des Todes. Ich nehme dich an als mein geliebtes Kind.“ Christus selbst spricht immer wieder neu in der Feier der Eucharistie: „Das ist mein Leib, hingegeben für euch. Das ist mein Blut, vergossen aus Liebe zu euch.“ Hier wird nicht bloß erzählt, wie das damals war, als Jesus sein Leben hingab für die Seinen. Nein, seine Hingabe wird real, gilt jetzt, für uns. Und – um noch ein Beispiel aus dem bischöflichen Dienst zu nennen – es ist Gott selbst, der in der Firmung das Versprechen seiner Nähe und seiner Kraft besiegelt.
Liebe Schwestern und Brüder, lieber Franz Josef! Schauen wir am Schluss noch auf die biblischen Lesungen dieses Sonntags. Auch wenn in ihnen natürlich nicht vom Bischof im direkten Sinn die Rede ist, so sprechen sie doch von einer wichtigen Realität im Leben eines Bischofs, nämlich von der Verbindung zwischen Person und Amt. Wir können dazu vom Propheten Jeremia und von Petrus, dem Sprecher des Apostelkreises, lernen.
An Jeremia sehen wir, wie sehr der Auftrag, den er von Gott übertragen bekommen hat, ihn in seiner ganzen Existenz in Beschlag nimmt. Und so sehr der Auftrag ihn auch übersteigt, so wenig kann er sich doch dahinter zurückziehen. Er kann sich nicht darauf beschränken, das Amt bloß formal auszuüben. Der Prophet ist kein unbeteiligter Überbringer von Botschaften. Er reicht das Wort Gottes nicht einfach durch. Er ist nicht eine Art von Briefträger Gottes. Nein, er ist mit seiner ganzen Existenz involviert. Das Wort Gottes hat ihn fasziniert, getroffen. Jeremia sagt, es habe ihn „betört“, „gepackt“ und „überwältigt“ (Jer 20,7). Aber zugleich ist es ein Wort, das ihn belastet, mit dem er ringt und für das er verspottet wird. Man hat den Eindruck, der Prophet wolle am liebsten die Botschaft abschütteln, sich von ihr befreien, nicht mehr an Gott denken, und doch kann er es nicht. Gott ist in seinem Herzen wie Feuer, lebendig und schmerzlich zugleich.
Niemand kann Verkünder von Gottes Botschaft sein, wenn er nicht bereit ist, sich persönlich auf sie einzulassen mit allem Schönen und allen Risiken, die das birgt. So kann auch der Bischof sich nicht darauf beschränken, überzeitliche, ewige Wahrheiten zu verkünden. Er kann sich nicht darauf beschränken, allgemein richtige Verlautbarungen und Formeln von sich zu geben. Die Menschen wollen sein Herz sehen, wollen sehen, wo er persönlich steht, wofür er steht. Sie verübeln es dem Bischof nicht, ihn auch ringen und fragen zu sehen, so wie dies Jeremia in erstaunlicher Offenheit getan hat. Durch die Person bekommt die Verkündigung des Evangeliums Farbe und Ton.
Kurz gesagt: Die Botschaft braucht den Zeugen. Wo er sichtbar wird, wird auch die Botschaft bei den Menschen Interesse wecken. Deshalb braucht das Amt die lebendige Person.
Aber die Person des Amtsträgers darf sich nicht selbst zum Maß aller Dinge machen, zur letzten Instanz. Sie darf nicht ihr kleines, begrenztes Ich für das Ganze halten. Das ist die Versuchung, der der Apostel Petrus erliegt: Kaum hat er sich mutig zu Jesus als dem Messias bekannt; kaum hat Jesus ihm zugesagt, dass er auf ihn seine Kirche bauen will (Mt 18,16-19), da fühlt sich Petrus derart in seinem Ego bestärkt, dass er glaubt, Jesus Vorwürfe machen zu können und besser zu wissen, wie Jesus seinen messianischen Auftrag auszuführen hat: nicht durch Leiden, Kreuz und Tod, sondern machtvoll und unversehrt. Die Reaktion Jesu ist prompt und scharf: „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.“ (Mt 16,23)
Da, wo wir uns zu Herren über die Botschaft Gottes aufschwingen, verraten wir die Botschaft. Da, wo wir unsere Gedanken mit den Gedanken Gottes verwechseln, wird das Wort Jesu zu einem Gerichtswort an uns. Denken wir noch einmal an das aufgeschlagene Evangelienbuch, das gleich über den Kopf des Weihekandidaten gelegt wird. Es ist Symbol dafür, dass Gottes Weisheit über all' unserem Denken steht.
Der evangelische Theologe und Pastor Dietrich Bonhoeffer hat die treffende Beobachtung gemacht, dass wir in der Regel gerne bereit sind, das aus Gottes Wort herauszuhören, was für uns spricht, was uns bestätigt und bestärkt. Das dürfen wir. Nach Bonhoeffer müssen wir aber ebenso bereit sein, die Botschaft Gottes auch gegen uns zu lesen, d. h. als ein Wort der kritischen Hinterfragung zu nehmen. Das gilt auch und besonders für alle, denen ein Amt in der Kirche übertragen ist: Hören wir, liebe Mitbrüder, das Wort Gottes immer wieder auch als kritische Instanz, die uns hinterfragt und herausfordert, auch wenn das unsere persönlichen Ideen durchkreuzt und schmerzlich ist?
Was wir in der persönlichen Gewissenserforschung tun müssen, das sind wir freilich auch unseren Gemeinden schuldig. Das dürfen wir ihnen nicht aus falscher Rücksicht vorenthalten. Auch da braucht es die Bereitschaft, sich kritisch hinterfragen zu lassen. Sonst bringen wir die Botschaft Gottes um ihre Kraft. Wenn wir aber der Versuchung widerstehen, die Botschaft Gottes auf das Maß unseres Könnens und Verstehens herunterzuschrumpfen, wenn wir uns ihr aussetzen und von ihr packen lassen, können wir erleben, dass Gottes Wort nicht toter Buchstabe ist, sondern tatsächlich Geist und Leben, und dass es in uns – wie es der Wahlspruch des neuen Weihbischofs sagt – zur Quelle wird, die uns tränkt und stärkt (1 Kor 12,13). Amen.