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»Durch seine Wunden sind wir geheilt«

Predigt am Karfreitag 2010 im Trierer Dom

Schriftlesung: Jes 52,13-53,12 - Joh 18,1 - 19, 42

Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,
Schwestern und Brüder im Glauben!

Wunden gehören zu unserem Leben. Keiner geht unverwundet durchs Leben, auch wenn das immer noch der unausrottbare Traum der Menschheit ist: Siegfried, der in Drachenblut badet, um unverwundbar zu sein. Aber auch bei ihm gab es die eine Stelle, verwundbar; der Fleck auf der Schulter, auf den das Lindenblatt fiel, so dass das Drachenblut sie nicht bedecken konnte.

Wunden: von den täglichen Kratzern bis hin zu den schwereren Wunden, die tiefer gehen, die nur langsam ausheilen oder gar nicht mehr, weil man sich wundliegt. Wieviele Verwundete sehen wir alltäglich durch die Nachrichten - lebensgefährlich, unrettbar Verwundete, tödlich Ausblutende. Wo uns jemand seine Wunden zeigt, schrecken wir zurück, sei es aus Mitgefühl, sei es, weil wir den Schmerz fürchten, den wir selbst empfinden würden, wenn wir in dieser Situation wären. Und: Wir leben wieder in einem Zeitalter, wo man Angst hat, durch Wunden angesteckt zu werden: Da heißt es: Abstand halten, auf Nummer Sicher gehen.

Und dann sind da noch die seelischen Wunden. Wieviele Wunden dieser Art wurden uns, der Kirche und der ganzen Gesellschaft, in den letzten Wochen gezeigt. Wunden, von denen selbst die Betroffenen dachten, sie seien nach Jahrzehnten, wenn nicht wirklich geheilt, so doch wenigstens vernarbt. Sie mussten schmerzlich feststellen, dass sie nur allzu leicht wieder aufbrechen: Die Wunden derer, die sexuell misshandelt wurden. Denken wir aber auch an andere seelische Wunden: die Wunde ungerechter Behandlung, die Wunde, verlassen worden zu sein; die Wunde, gescheitert zu sein ... Dies alles sind Wunden, die nach Heilung rufen.

Hinschauen

Am Karfreitag schauen wir auf den zu Tode verwundeten Jesus am Kreuz. Wir wenden unseren Blick bewusst nicht ab, setzen uns dem Anblick aus, ja, machen die Wirkung des Anblicks noch stärker, indem wir den Verhüllten enthüllen. Wir gehen bei der Kreuzverehrung auf Tuchfühlung mit dem Gekreuzigten, suchen seine Nähe. Wenn wir es nicht schon so oft gemacht hätten, wäre uns spürbarer, wie unerhört das ist. Menschen suchen die Nähe eines Verwundeten, und sie suchen sie, nicht um ihm zu helfen (das wäre das Naheliegende), sondern um sich von ihm helfen, gar von ihm heilen zu lassen! Paradox - verrückt geradezu!

Die Lesung, die wir eben gehört haben, bringt es so auf den Punkt: »Durch seine Wunden sind wir geheilt!« (Jes 53,5) Die Lesung ist das letzte, sog. vierte »Lied vom leidenden Gottesknecht«, das sich beim Propheten Jesaja findet. Wahrhaftig kein leichtfüßiges Lied, sondern ein dunkles, ein ernstes Lied. Schon die ersten christlichen Generationen haben das Geschick Jesu, seine Passion und seinen Tod von dem Gottesknecht, der da im AT besungen wird, her verstanden. In Jesus sahen sie das in Erfüllung gegangen, was der Prophet beschreibt. Von Jesus gilt: »Durch seine Wunden, die ihm in seiner Passion und am Kreuz zugefügt wurden, sind wir geheilt« (vgl. 1 Petr 2, 24).

Doch wie soll das gehen? Durch die Wunden eines anderen geheilt werden? Am ehesten so, dass man durch die Wunden eines anderen gerettet wurde, weil der sich schützend für mich in die Bresche geworfen und dabei Wunden abbekommen hat. Die Wunden als Zeichen der Solidarität des Retters mit dem Geretteten. Tatsächlich glauben wir, dass Jesus in einem unbeschreiblichen Maße solidarisch war mit allen Menschen: an ihrer Seite in der Freude, im Weinen, im Trauern, im Zorn. Wir glauben, dass er ganz eingetreten ist für die anderen. Er hat geholfen, geheilt und geteilt, wo er konnte. Jesus ist der Inbegriff des solidarischen Menschen.

Gott lässt sich verwunden

Aber das allein würde nicht reichen. Denn die Solidarität würde uns nicht heilen. Sie würde gut tun, ja, aber nicht wirklich heilen. Die Wunden Jesu können nur heilend für uns sein, wenn wirklich Karfreitag und Weihnachten zusammengehören, d. h. wenn Gott wirklich Mensch geworden ist, wenn wir in Jesus wirklich an Gott anrühren. Dann und nur dann sind Jesu Wunden heilend. Dann sind die Wunden, die die Menschen Jesus willentlich zugefügt haben (es waren keine Unfallverletzungen!) heilend. Denn sie sagen: Gott steht offen für uns. Gott selbst lässt sich in Jesus treffen. Er lässt es zu, dass wir Menschen uns ihm so gewaltsam nähern. Er lässt die menschliche Bosheit und Aggression, die in ihrer Verzweiflung sogar gegen Gott anrennt, sich am Gekreuzigten regelrecht totlaufen. Gott gibt alles darum, damit wir bei ihm ankommen; bei ihm, dem Heil der Welt, damit wir ankommen und unsere Wunden, die erlittenen und die selbstverschuldeten, Heilung finden.

In den Wunden Jesu geschieht der Zugang zum Heil der Welt. Seine Wunden sind sozusagen offene Tore, durch die wir zum heilenden Grund der Welt gelangen; durch die das entgegenquillt, was alle Wunden dieser Erde heilen kann. »Einer der Soldaten stieß mit der Lanze in Jesu Seite, und sogleich floss Blut und Wasser heraus« (Joh 19, 34). Die ersten Christen sahen darin den Quell von Eucharistie und Taufe, den Grundsakramenten der Kirche, die neues, heilig-heiles Leben schenken. Von daher versteht man, wie das Exsultet, das Osterlob von der »glücklichen Schuld« sprechen kann: Weil Gott in den Wunden Jesu liebend allen menschlichen Hass und alle Gewalt umfängt, wird selbst die Schuld positiv gewendet: Sie stößt zum innersten Geheimnis Gottes vor.

Geborgen in den Wunden Jesu Christi

Einer der großen Heiligen der Kirche, der heilige Ignatius von Loyola, der seine innere, seelische Heilung einer äußeren Verwundung verdankt, weil er auf dem Krankenlager seine eigentliche Bekehrung erfahren hat, tut das Kühnste, was ein Christ tun kann: Er bittet darum, in den Wunden Christi geborgen zu sein. Ignatius war davon überzeugt, dass Jesu Wunden so weit sind, dass alle menschlichen Wunden darin Platz haben und dass die Wunden Jesu die heilendsten Orte sind, die wir uns vorstellen können. Denn sie bringen uns geradewegs mit dem lebendigen Gott in Berührung.

Ich möchte Sie einladen, mit mir dieses Gebet des hl. Ignatius gemeinsam zu sprechen (Gotteslob 6.7):

Seele Christi, heilige mich.
Leib Christi, rette mich.
Blut Christi, tränke mich.
Wasser der Seite Christi, wasche mich.
Leiden Christi, stärke mich.
O guter Jesus, erhöre mich.
Birg in deinen Wunden mich.
Von dir lass nimmer scheiden mich.
Vor dem bösen Feind beschütze mich.
In meiner Todesstunde rufe mich,
zu dir zu kommen heiße mich,
mit deinen Heiligen zu loben dich
in deinem Reiche ewiglich. Amen

Weiteres:

"Durch seine Wunden sind wir geheilt"

in der Predigt