Schriftlesungen: Gen 15,5-12.17-18/ Lk 9,28b-36
Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,
liebe Brüder der Mönchsgemeinschaft von St. Matthias,
liebe Pilgerinnen und Pilger, Schwestern und Brüder im Glauben!
Noch ist das Pontifikat nicht zu Ende und doch wird schon über seinen letzten Tag, den 28. Februar, hinausgeschaut. Papst Benedikt selbst hat ja auch bereits geäußert, wie er sich sein weiteres Leben vorstellt: Er will, so hat er bei seiner Rücktrittsankündigung gesagt, der Kirche weiterhin durch ein Leben des Gebetes dienen, und er will das im Verborgenen tun.
So ist es nicht verwunderlich, dass schon innerhalb und außerhalb der Kirche versucht wird, Bilanz zu ziehen. Es wird gefragt: Was war das Große dieses Pontifikates? Und: Was wird bleiben?
Liebe Schwestern und Brüder, am Ende wird über all das die Geschichte entscheiden. Heute sind all das noch Spekulationen. Eines aber ist nach meiner Einschätzung heute schon klar: Was von Papst Benedikt bleiben wird, ist sein gewaltiges Schriftwerk, sind seine Vorträge, seine Predigten und Ansprachen als theologischer Lehrer, als Kardinal, als Papst. Benedikt XVI. ist ein Intellektueller, ja; aber einer, der wie kaum ein Zweiter Kopf und Herz zu verbinden weiß. Deshalb dürfen wir ihn wirklich einen Lehrer des Glaubens nennen: Was er geschrieben und gesagt hat, hält höchsten intellektuellen Ansprüchen stand und geht zugleich Nicht-Theologen zu Herzen. Das ist seine besondere Gabe, sein Charisma.
Von da her versteht es sich auch, dass Papst Benedikt in der Ausübung seines obersten Hirtenamtes dem Prinzip gefolgt ist „Leiten durch Lehren“ (T. Söding): Nicht durch spektakuläre Entscheidungen und Taten hat er die Kirche geleitet, nicht durch strukturelle Reformen – die waren nicht seine Sache, da war er immer skeptisch – , sondern durch das Wort der Verkündigung, durch die Erschließung des Wortes Gottes, das das Wort der Wahrheit ist. Nicht umsonst hat er sich als „Mitarbeiter der Wahrheit“ verstanden.
Ein solches Verständnis des Amtes entspricht übrigens ganz der Vorstellung des II. Vatikanischen Konzils. Das Dekret über die Priester sagt, dass das Volk Gottes zuallererst geeint wird durch das Wort des lebendigen Gottes und dass man es deshalb mit Recht von den Priestern verlangt (PO 4). Vor allen anderen pastoralen Aktionen und Maßnahmen ist es die Verkündigung, die die Kirche aufbaut und mehrt. Wo das Wort Gottes verkündet und aufrichtig gehört wird, da ordnen sich die Dinge. Da gewinnt die Kirche Orientierung für ihren Weg.
So hat es Benedikt praktiziert. In diesem Sinn war er auch immer eher ein Verkünder der Geheimnisse Gottes als ein Lehrer der Moral. Damit ist nicht gesagt, dass Papst Benedikt die christliche Moral, das „rechte Leben“, wie er es immer ausdrückt, für weniger wichtig halten würde. Aber ihm ist sehr bewusst, dass zunächst und vor allem die Frohe Botschaft Jesu gehört und verstanden werden muss. Da, wo einem Menschen die Größe und das Geschenk dieser Botschaft aufgehen, wird sie nicht ohne Wirkung auf sein Leben bleiben. Ohne die positive und befreiende Botschaft des Evangeliums aber bleibt die Moral ein bloßes Regelwerk von Sätzen und Forderungen, das sich einem nicht erschließt. Allzu oft ist es heute leider so.
Was ich meine, lässt sich auch anhand der Schriftlesungen des Zweiten Fastensonntags zeigen: Da ist Abram, der von Gott vor sein Zelt geführt wird und den Sternenhimmel gezeigt bekommt: „Sieh zum Himmel hinauf, und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst …“ (Gen 15,5) Schon bei Abram beginnt alles mit einer Verheißung. Nicht Gottes Forderungen stehen an erster Stelle, sondern der Blick in die Weite des Himmels. Anders gesagt: Vor dem ersten Schritt steht das Staunen, ja das Überwältigtwerden von der Größe Gottes und seiner Schöpfung. Ganz ähnlich ist es im Bericht über die Verklärung Jesu: Auf dem Tabor erhalten Petrus, Jakobus und Johannes Einblick in das strahlende Geheimnis Jesu. Sie erkennen, wer er ist, indem ihnen der große Bogen der Heilsgeschichte aufleuchtet, in dem Jesus von Mose und Elija her steht.
Wie oft hat Papst Benedikt gesprochen von dem Licht, das der Glaube schenkt und von der Schönheit des Glaubens, die den Menschen anzieht. Sie zu ahnen, von ihr ergriffen zu werden, ist der Anfangspunkt von allem. Diese Schönheit ist aber keine bloß äußere Schönheit, sie nicht bloß schöner Schein. Denn sie ist die Schönheit der Liebe. Darum enthält sie auch den ganzen Ernst der Liebe.
Auch davon sprechen die beiden Sonntagslesungen: Die Angst, die Abram überkommt und die Angst, die die Jünger überfällt, stehen dafür, dass sie die Wucht des Geschehens spüren: Gott ist da mit der ganzen Macht seines Lebens und seiner Liebe. Das überwältigt den Menschen und nimmt ihn zugleich in die Pflicht. Zugleich ist es Gott selbst, der sich in die Pflicht nimmt. Er schließt mit Abram einen Bund und verheißt ihm Nachkommen. Schließlich sendet Gott seinen eigenen auserwählten Sohn, um die Menschen in den Bund mit ihm zurückzurufen. Das Mittel, das Gott dazu anwendet, ist nicht die Gewalt, sondern die Liebe, die bereit ist, ans Kreuz zu gehen. So ist es kein Zufall, dass Mose und Elija auf dem Tabor vom Tod Jesu sprechen, „von seinem Ende, das sich in Jerusalem erfüllen sollte“, wie der Evangelist umschreibend sagt (Lk 9,31). In das strahlende Licht der Verklärung drängen schon die Schatten des Bösen. Herrlichkeit und Kreuz gehören zusammen.
Von der Verklärungserzählung her verstehen wir: Die Schönheit des Glaubens, von der P. Benedikt immer wieder gesprochen hat, ist keine unangefochtene, unversehrte Schönheit. Sie ist die Schönheit der Liebe, die zu leiden bereit ist. Papst Benedikt hat das in seinem Dienst sogar am eigenen Leib erfahren müssen: Denken wir an das Offenbarwerden der Fälle sexuellen Missbrauchs, denken wir an die Unversöhnlichkeit der Piusbrüder, denken wir an die Untreue und den Verrat, den er im engsten Umfeld seiner Vertrauten erleben musste.
Mich lassen diese Geschehnisse denken an die Katechesen, die der Papst von 2006 bis 2007 während der wöchentlichen Generalaudienzen über die Apostel gehalten hat. Die letzte beschäftigte sich mit Judas Iskariot, dem Verräter, und mit Matthias, dem nach Ostern Hinzugewählten. Über Matthias hat Papst Benedikt damals gesagt: Von ihm „wissen wir nichts anderes, als dass auch er Zeuge des ganzen Lebens Jesu auf Erden war (vgl. Apg 1,21–22) und ihm bis ins Letzte treu blieb. Zur Größe seiner Treue kam dann der Ruf Gottes hinzu, den Platz des Judas einzunehmen, gleichsam um seinen Verrat auszugleichen. Daraus lernen wir: Auch wenn in der Kirche unwürdige Christen und Verräter nicht fehlen, ist jeder von uns aufgerufen, ein Gegengewicht zu dem von ihnen begangenen Übel zu schaffen, durch unser klares Zeugnis für Jesus Christus, unseren Herrn und Erlöser“ (Generalaudienz am 18.10.2006).
In diesem letzten Satz steckt ein ganzes Programm:
Nicht nur für den Apostel Matthias, nicht nur für Papst Benedikt, sondern für jedes christliche Leben. Amen.