Liebe Schwestern und Brüder der schönstättischen Gemeinschaft,
liebe Freundinnen und Freunde von Schönstatt,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
Wir feiern den Weihetag dieses Hauses, das genau auf den Tag vor 50 Jahren seine Weihe und damit seine Bestimmung von Gott und für die Menschen empfangen hat. Mit 50 Jahren gehört die Anbetungskirche zu den jüngsten Kirchen im Bistum Trier, aber – das muss man direkt hinzusetzen – sie gehört nicht zu den unbedeutendsten Kirchen im Bistum, weil sie eine Kirche ist, die Ausstrahlung hat über diesen Ort, ja selbst über die Region hinaus. Sie ist Sammlungsort für Menschen aus der ganzen Welt, die hierher nach Schönstatt pilgern, um an den Ursprung der schönstättischen Gemeinschaft und des schönstättischen Charismas zu kommen, um sich stärken zu lassen und sich von diesem Ort neu aussenden zu lassen.
Den Tag der Kirchweihe zu feiern und damit natürlich auch diesen Raum in einer besonderen Weise in den Blick zu nehmen, das geht nicht, ohne dass man die Anbetungs- und Dreifaltigkeitskirche in den Zusammenhang stellt mit den anderen wichtigen Orten des Gebetes und des Gottesdienstes von Schönstatt. Und damit meine ich natürlich zunächst und vor allem das Urheiligtum unten im Tal. Die Kirche auf dem Berg ist nicht zu verstehen ohne das Kapellchen, das ehemalige Friedhofskapellchen des Klosters Schönstatt im Tal. Dort hat für die Gemeinschaft alles begonnen, als Pater Kentenich das Michaelskapellchen überlassen worden ist, damit er sich dort mit der Marianischen Kongregation versammeln konnte. Sie, liebe Schwestern und Brüder von Schönstatt, nehmen ja dieses Datum im Oktober 1914 als das „Urdatum“ der schönstättischen Bewegung. Dieses kleine Kapellchen ist sozusagen die Urzelle von allem. Es unterscheidet sich sehr von dem Kirchenraum hier oben auf dem Berg. Das Urheiligtum ist ein Raum der Intimität, ein Raum, der nicht Platz gibt für Gottesdienste mit vielen Menschen. Und doch ist er ein Raum geworden, der durch die Nachbauten in der ganzen Welt irgendwie zum Heimatort für alle geworden ist, die sich Schönstatt verbunden fühlen. Wie viele Gnadenkapellchen, Urheiligtümer in der ganzen Welt und damit Verbindung zum Ursprung gibt es! Der Ursprung, gerade auch Ihrer Bewegung, ist stark gebunden an einen bestimmten sakralen Raum. Die Ikonographie dieses kleinen Kapellchens gehört gewissermaßen mit in das Erbgut der Schönstattgemeinschaft hinein. Davon kann man nicht absehen. Und Pater Kentenich hat gewollt, dass dieses Kapellchen nicht bloß Kapellchen bleibt, sondern zu einer Wallfahrtskapelle wird. Dieses Anliegen wurde dann auch besonders unterstützt und gefördert durch das Geschenk des Gnadenbildes, das sich in dieser Kapelle befindet.
Damit, liebe Schwestern und Brüder, kommen wir schon zum nächsten wichtigen Kirchort von Schönstatt. Es ist klar, das Kapellchen alleine kann nicht den Ort abgeben für das gesamte Leben aus dem Glauben, das sich hier entwickelt hat. So habe ich selbst schon häufiger die Freude gehabt, unweit des Urheiligtums in der Pilgerkirche Gottesdienst zu feiern mit Hunderten von Pilgerinnen und Pilgern, die dorthin kommen. Für mich ist die Pilgerkirche der zweite Gottesdienstraum, der Schönstatt prägt: dieser Zentralraum, offen, einladend, und, wie das sich fürs Pilgern gehört, irgendwie auch ein Stück provisorisch. Die Pilgerkirche ist keine Kirche mit solch massiven Mauern, wie wir sie hier oben in der Anbetungskirche sehen. Sie sind eher leicht, beschreiben ein Zelt: Ausdruck nicht nur für die Pilgerschaft, die wir etwa nach Schönstatt machen, sondern Ausdruck für das Pilgerdasein des Christen und des Menschen überhaupt. Der Apostel Paulus sagt: Das ist doch unsere Existenz. „Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, das, was vorläufig ist – und er sieht ja unser Leben in diesem Leib als vorläufig –, dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel.“ (2 Kor 5,1) Bis dahin ist alles Pilgerexistenz. Gerade solche Orte der Pilgerschaft erinnern immer wieder daran, dass wir uns nicht völlig einrichten sollen in dieser Welt. Wir sind auf dem Weg. Alles, was wir tun, ist auf das Endgültige hin vorläufig in unserem Leben und in unserem Glauben. Darum sollen wir nicht krampfhaft am Vorläufigen festhalten, sondern immer wieder auch bereit sein, aufzubrechen im Wissen, dass alles letztlich irgendwie provisorisch bleibt. Die Pilgerkirche steht für mich von ihrer Architektur her und von dem, was dort gefeiert wird, sinnbildlich für diese Dimension unseres Menschseins und unseres Christseins.
Wenn man dann hierherkommt auf den Berg zur Dreifaltigkeitskirche, dann bietet sich uns das Zielbild des Pilgerweges. Diese Kirche mutet nicht an wie ein Zelt, das man hier aufgeschlagen hätte. Die „Gottesburg“, wie Pater Kentenich selbst diese Kirche genannt hat, erinnert an die Burgen im Rheintal, die fest auf die Berge gepflanzt sind. Aber mich erinnert die Anbetungs- und Dreifaltigkeitskirche eigentlich noch mehr an das Bild der himmlischen Stadt, die Johannes, der Seher der Apokalypse, beschreibt. Es ist die Stadt, die aus dem Himmel herabkommt; eine Stadt mit festen Mauern und Toren, eine Stadt, die zugleich ganz zentriert ist auf die Mitte (vgl. Offb 21,12ff). Johannes sagt: In dieser Stadt sah ich in meiner Vision keinen Tempel. Sie braucht keinen Tempel, weil der lebendige, der dreifaltige Gott und das Lamm ihre Mitte ist. Genau das ist ja auch hier an der Altarwand dargestellt: der dreifaltige Gott als Mitte nicht nur dieses Kirchenraumes, sondern der Kirche und der vollendeten Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen überhaupt. Gott selbst und das Lamm, Jesus Christus in seiner Hingabe, wie wir ihn in der Eucharistie anbeten, ist und bleibt die Mitte auch der ewigen, der himmlischen Stadt. Was mich an der Vision des Johannes immer fasziniert, ist die Weise, wie er die himmlische Stadt beschreibt: Das ist nicht ein Zeltlager, was da vom Himmel herabsteigt, sondern eine feste Stadt mit einer langen Mauer; und hoch ist sie: 144 Ellen! Wenn man das in unsere Maße übersetzt, dann ist die Mauer mehr als 60 Meter hoch, d. h. sie ist wehrhaft und unüberwindbar. Ja, die Anbetungskirche erinnert an ein solch wehrhaftes Gebäude. Aber irgendwie ist es auch paradox, dass Johannes sagt: Es gibt diese lange und hohe Mauer der Stadt, aber in ihr sind zwölf Tore, die Tag und Nacht nicht geschlossen werden. Was hilft mir die Mauer einer Stadt, wenn die Tore nicht geschlossen werden? Woher nehmen die Stadt und diejenigen, die in ihr leben, ihre Kraft und ihre Festigkeit? Offensichtlich ist es bei dieser himmlischen Stadt, oder anders gesagt, bei der vollendeten Gemeinschaft von Gott und den Menschen so, dass es keine äußere Absicherung mehr braucht, denn Johannes sagt in seiner Vision auch: Durch die offenen Tore pilgern die Völker mit ihrem ganzen Reichtum. Mit diesem Reichtum ist nicht materieller Reichtum gemeint, sondern doch der geistige, geistliche, der glaubensmäßige Reichtum der Völker. Er hält Einzug in diese Stadt. Keinen Eintritt in diese Stadt erhalten die, die Gräuel und Verbrechen verübt haben. In die Stadt gelangt auch nichts Unreines. Die Stadt ist also offen und wehrhaft zugleich, aber nicht durch äußere Abwehr, sondern durch eine innere Festigkeit, die es verbietet, dass etwas hineingelangt, was nicht zu Gott, nicht zu Jesus Christus und seiner Botschaft passt. Die himmlische Stadt – sie ist eine offene Stadt, transparent, aus Kristall und trotzdem fest und klar. Das ist die Vision des himmlischen Hauses Gottes und der Menschen.
Liebe Schwestern und Brüder, ich finde es ungeheuer faszinierend, dass am Ende unseres Lebens und der Geschichte ein Haus steht, das Geborgenheit und Schutz gibt und das zugleich offen ist. Das ist eine Botschaft für unsere persönliche christliche Existenz. Aber es ist auch eine Botschaft für unsere Kirche. Sie darf nicht zu sehr auf äußere Sicherheiten vertrauen, auf Struktur, auf Organisation, aber natürlich auch nicht zu sehr auf einzelne Orte und Worte, um die wir streiten und an denen wir uns festhalten. Jesus sagt im Evangelium: Es wird die Zeit kommen, in der die wirklichen Beter Gott anbeten im Geist und in der Wahrheit (vgl. Joh 4,23). Darum ging ja der Streit zwischen den Samaritern und den Gläubigen Israels. Wo ist die wahre Stätte der Gottesverehrung? Ist es der Berg Garizim in Samaria? Muss ich dorthin gehen, um mein Heil zu erlangen? Oder muss ich in den Tempel nach Jerusalem ziehen, als dem Ort, ohne den ich nicht Zugang zu Gott finde, weil Gott seine Gegenwart an diese Stätte gebunden hat? Jesus sagt: Die Orte, sie haben ihre Bedeutung, sie bleiben wichtig. Er selbst ist ja in den Tempel von Jerusalem gegangen zum Gebet. Aber er relativiert all das, indem er es auf sich bezieht und damit zeigt, dass er der eigentliche Ort der Gegenwart Gottes ist (vgl. Joh 2,19-21). So bleiben unsere Gotteshäuser wichtige Orte, aber sie sind relativ, d. h. bezogen auf Christus hin. Diese Einsicht soll unsere innere Haltung des Glaubens prägen. Auf diese innere Festigkeit, auf dieses innere Fundament zu vertrauen und uns nicht an Äußerlichkeiten zu klammern. Darauf kommt es an. Wir sollen und brauchen nicht die „Schotten dicht zu machen“, die Tore von Kirche oder Gesellschaft zu schließen. Denn da, wo wir innerlich stark sind vom Glauben her, da können wir offen sein und frei, ohne uns selbst zu verlieren. Das ist anspruchsvoll, aber Jesus trägt es uns auf, und er sichert uns dazu seine Nähe und seine Stärkung zu.
Das Kapellchen im Tal, die Pilgerkirche – das Zelt, und hier oben die Anbetungskirche – Burg und himmlische Stadt. Man darf die drei Orte nicht gegeneinander ausspielen. Das ist ja das Schöne bei den Räumen, die uns Christen zum Gebet und zum Gottesdienst gegeben sind. Als Glaubender darf ich sagen: Mir liegt dieser oder jener Raum mehr. Da fühle ich mich mehr zu Hause. Das spricht mich mehr an. Das entspricht mir und meiner Frömmigkeit mehr. Ja, ich darf sogar sagen: Dieser Ort entspricht mir im Moment mehr, in der Situation, in der ich mich gerade befinde und für das, was mir wichtig ist. Denn mal sind wir offener für die Pilgerschaft, bereit zum Aufbruch, und dann gibt es die anderen Situationen, da brauchen wir die Geborgenheit und die Sammlung, so wie es hier in diesem Raum erlebbar ist. Oder wir suchen den kleinen, familiären Raum, etwa die Keimzelle des Glaubens der schönstättischen Spiritualität, um uns wieder neu zu orientieren und aufzutanken.
Liebe Schwestern und Brüder, all das gehört zur Freiheit des Glaubens, die Jesus uns gibt. Denn für ihn kommt es darauf an, dass wir aus dem Geist der Liebe und der Wahrheit heraus Gott anbeten. Dann dürfen wir uns getrost die Orte suchen, die uns am meisten dazu helfen, Gott zu finden und damit selbst das zu werden, was wir sein sollen: „Wohnung Gottes“ (Eph 2,19ff). Die Räume aus Stein wollen uns dazu Hilfe sein.
Liebe Schwestern und Brüder, wir wollen am heutigen Festtag dafür beten, dass Menschen auch in den kommenden Jahrzehnten an diesem Ort die Erfahrung des Glaubens machen dürfen. Sicher werden sie sich dabei besonders orientieren am Beispiel Mariens, der Dreimal Wunderbaren Mutter, so wie sie ursprünglich schon angerufen wurde unten im Tal. Maria – wir verehren sie als den Tempel Gottes, als die, die vorbehaltlos „Ja“ gesagt hat, die sich ganz hat erfüllen lassen von Gottes Gegenwart. So ist sie Kirche, aber sie ist es nicht allein. Die Kirche beginnt in der Kammer von Nazareth, indem Maria ihr Jawort gibt, aber das allein wäre zu wenig. Es braucht auch Maria in der Mitte der Apostel im Abendmahlssaal, in diesem Raum, der nicht nur Raum des Persönlichen, sondern auch des Gemeinschaftlichen ist. Bitten wir um die Fürsprache Mariens, dass uns an diesem Ort die Erfahrung des Glaubens geschenkt wird. Danken wir für das Zeugnis von Pater Kentenich und all derer, die in der Nachfolge und in der Spiritualität Schönstatts auf diesem Berg das Charisma leben und es weitertragen in die Welt, damit es der Kirche und der Menschheit dient. Amen.