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Erlösung konkret: Leben aus dem Versprechen und Verzeihen Jesu

Predigt am Karfreitag 2011

Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,
Schwestern und Brüder im Glauben!

Wenn wir die Feier des Leidens und Sterbens Christi hier im Dom begehen, dann werden wir daran erinnert, dass die große Kostbarkeit unseres Domes eine Passionsreliquie ist: Der Heilige Rock, das ungenähte Gewand Jesu, von dem die Johannespassion spricht (Joh 19,23f). Bis zum Beginn der nächsten großen Heilig-Rock-Wallfahrt dauert es kein ganzes Jahr mehr. Die inhaltliche und organisatorische Vorbereitung auf dieses Ereignis hat schon längst begonnen. Bald wird auch die engere geistliche Vorbereitungszeit starten. Sie steht unter dem Leitmotiv der Erlösung.

Christentum: eine Erlösungs-Religion

An keinem anderen Tag im Kirchenjahr legt sich das Wort von der Erlösung so nahe wie am Karfreitag: Wir schauen auf Jesus Christus, der – bewusst und frei – aus Liebe zu uns den Tod auf sich genommen hat und so zum Erlöser der Welt wurde. Das Geheimnis der Erlösung steht im Zentrum des christlichen Glaubens insgesamt. Man könnte sogar sagen: Mit dem Geheimnis der Erlösung steht und fällt unser Glaube. Nicht umsonst zählen Lexika das Christentum zu den sogenannten Erlösungsreligionen.

Zugleich spüren wir, wie schwer wir uns mit dem Begriff der Erlösung tun. Wo wird heute noch in unserer Verkündigung in direkter Weise von Erlösung gesprochen? Der Begriff klingt altertümlich. Der Mensch von heute arbeitet lösungsorientiert, selbstverständlich, entwirft immer neue Lösungsstrategien für auftauchende Probleme. Doch Erlösung? Das klingt irgendwie passiv, zu passiv ... Ob frühere Generationen es leichter hatten, von Erlösung zu sprechen, weil sie weniger Möglichkeiten hatten, die Dinge zu lösen? Sind wir heute weniger erlösungsbedürftig als die Menschen vor uns? Unser Gefühl sagt uns: Nein. Doch wie sollen wir Erlösung verstehen, wie sie in die Sprache unserer Zeit übersetzen?

Erlösung: ein hoch aktives Geschehen

Vor einiger Zeit las ich ein Interview mit dem Philosophen Robert Spaemann (Vatican-magazin 10/2010, 36-40). Obwohl darin nicht ausdrücklich von Erlösung die Rede war, fand sich unter den Antworten eine Überlegung, die uns helfen kann, besser zu verstehen, was Erlösung christlich meint. Für Robert Spaemann sind die größten und wichtigsten Handlungen, zu denen der Mensch fähig ist, das Versprechen und das Verzeihen. Damit lehnt er sich an den Philosophen Friedrich Nietzsche an, der einmal gesagt hat: »Versprechen ist das Höchste im Menschen.« Wenn ein Mensch etwas verspricht, macht er sich unabhängig von den verschiedenen Zuständen, das heißt Situationen und Stimmungen, denen er im Laufe der Zeit ausgesetzt sein wird. Wenn ich etwas verspreche, gewähre ich jemandem einen Anspruch auf mich: auf meine Zeit, auf meine Hilfe, auf meine Treue ... Indem ich ein Versprechen gebe, sage ich dem Anderen: »Du kannst dich auf mich verlassen.« Am stärksten geschieht das natürlich dort, wo ein Versprechen auf Lebenszeit gegeben wird: in der Ehe, bei der Weihe, bei einem Gelübde: Ein Mensch nimmt in einem Augenblick gewissermaßen sein ganzes Leben in die Hand und verfügt darüber zugunsten eines Anderen. Atemberaubend. Von allen Geschöpfen dieser Welt kann das nur der Mensch. Insofern hat Nietzsche sicher Recht mit seinem Satz: »Versprechen ist das Höchste im Menschen.«

Wie ist es aber nun mit dem Verzeihen? Verzeihen gehört deshalb zu den größten Taten, zu denen der Mensch fähig ist, weil er damit einem Anderen sagt: Du bist mehr als das, was du falsch gemacht, was du - vielleicht sogar mir angetan hast. Verzeihen heißt, einem Anderen die Möglichkeit zu geben, auch anders zu sein. Hier geht es also um die umgekehrte Bewegung wie beim Versprechen: Beim Verzeihen lege ich einen Menschen nicht auf eine bestimmte Tat, auf ein bestimmtes Fehlverhalten fest. Jemandem, der schuldig geworden ist, zu sagen: »Du bist eben so«, ist vernichtend. Denn dann gebe ich ihm keine Chance, sich von seinen eigenen Handlungen zu distanzieren. Ein Neuanfang ist nicht möglich.

Jesus eröffnet den Neu-Anfang

Liebe Schwestern und Brüder, was tut Jesus am Karfreitag anderes, als uns Menschen die Möglichkeit zum Neuanfang zu eröffnen? Denn erstens steht er zu dem Versprechen, das er seinem Vater gegeben hat, indem er einwilligte, Mensch zu werden und den Menschen die Botschaft vom Reich Gottes zu verkünden, was immer auch geschehen würde und die Menschen ihm antun. Und: Jesus verzeiht. Am deutlichsten wird das im Lukas-Evangelium, als der schon am Kreuz Hängende den Vater bittet: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun« (Lk 23,34). In diesem Augenblick meint er die Schergen, die ihn kreuzigen. Doch wir dürfen diese Worte, die der Evangelist überliefert, durchaus als Worte verstehen, in die alle Menschen eingeschlossen sind. Die Peiniger in der Passion stehen exemplarisch für alle.

So gilt das Wort des Gekreuzigten etwa auch dem Petrus, der seinen Herrn aus Angst verleugnet. Im Augenblick seines Tuns hat er das ganze Ausmaß der Tat, die durch die Geschichte hindurch hallen wird, sicher nicht überblickt. Und was tut Jesus? Er legt seinen Jünger nicht auf diese Untreue fest, sondern er steht zu Petrus, den er einmal erwählt hat. Nach Ostern bekommt Simon Petrus eine neue, ja sogar noch größere Chance: Nachdem er seine Liebe zum Herrn erneuert hat, vertraut dieser ihm seine Kirche an (Joh 21,15-19).

Erlösung konkret: Leben in einem neuen Raum

Das ist Erlösung konkret: Leben aus dem Versprechen und dem Verzeihen Jesu Christi, leben in dem neuen Raum, den Jesus durch sein Sterben und seine Auferstehung eröffnet hat. Wer daran glaubt, dass der Herr mit uns umgeht wie mit den Soldaten unter dem Kreuz, wie mit Petrus; wer das im Glauben annehmen kann und aus diesem Bewusstsein lebt, ist ein erlöster Mensch. Denn er darf aus der Gewissheit leben, dass alle mangelnde Verlässlichkeit und alle Untreue, alle mangelnde Vergebungsbereitschaft und alle Unversöhnlichkeit, die wir bei uns selbst und bei anderen erleben, unterfangen ist von einem Versprechen und Verzeihen, die größer sind und verlässlicher als all das, was wir Menschen uns geben können.

Erlöst sein: fähig sein, das Beste zu tun

Dass ein solch erlöstes Lebensgefühl nicht ohne Folgen bleiben kann, versteht sich von selbst: Ich kann nicht Jesu treues Versprechen und sein Verzeihen für mich in Anspruch nehmen, ohne mich selbst von diesem Tun prägen zu lassen. So fordert Jesus von seinen Jüngern tatsächlich »das Höchste im Menschen«: Ihr Ja soll ein Ja sein (Mt 5,37), kein halbherziges Versprechen. Und verzeihen sollen sie nicht nur siebenmal sondern siebenundsiebzigmal (Mt 18,21f). Doch der, der selbst Mensch geworden ist, weiß: Bloße moralische Forderung endet in Verbissenheit oder in Depression. Nein, zum Besten werden wir erst dadurch fähig, dass der Herr selbst es uns durch sein eigenes Tun schenkt, damit wir den Mut und die Kraft finden, es ihm nachzutun. Der große Kirchenlehrer Augustinus hat diesen Vorgang in das schöne Gebetswort gefasst: »Da quod iubes et jube quod vis« – »Gib, was du befiehlst, und dann befiehl, was du willst.« Dieses Augustinus-Wort könnte auch unsere Bitte sein, wenn wir nachher zur Kreuzverehrung auf den Gekreuzigten zugehen, der wahrhaft unser Heiland und Erlöser ist. Amen

Weiteres:

Erlösung konkret: Leben aus dem Versprechen und Verzeihen Jesu

in der Predigt