Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
Genau 50 Jahre ist es her, dass sich die Bischöfe der ganzen Welt zum Zweiten Vatikanischen Konzil versammelten. Von 1962-1965 trafen sich die Bischöfe zu mehreren Sitzungsperioden in Rom. Insgesamt verabschiedeten sie 16 Dokumente, die bis heute richtungweisend sind. Deshalb ist in den letzten drei Jahren immer wieder an das Konzil erinnert worden. Da das Konzil am 8. Dezember 1965 schloss, trägt das laufende Jahr 2015 in besonderer Weise den Charakter des Jubiläums.
Das Jubiläum schien uns ein Ereignis zu sein, dass auch in unsere diesjährigen Heilig-Rock-Tage Eingang finden sollte, zumal Papst Johannes XXIII. in seinem Grußwort zur Heilig-Rock-Wallfahrt 1959 ausdrücklich darum bat, das Konzil, das erst wenige Wochen zuvor angekündigt worden war, in die Gebetsanliegen der Wallfahrt mit aufzunehmen. Und manches, was die spätere Liturgiereform umsetzen sollte, war schon bei der Trierer Wallfahrt spürbar: So etwa das Bild vom Volk Gottes, das sich als lebendig mitfeiernde Gemeinde um den Altar versammelt. Es wurde sogar der Satz geprägt: „Das Konzil beginnt in Trier“ (T. Schnitzler).
So wird es nicht nur morgen und übermorgen besondere Veranstaltungen zum Konzilsjubiläum geben; auch für das Leitwort der Heilig-Rock-Tage haben wir uns vom Konzil inspirieren lassen. Lumen gentium – Licht der Völker: So lauten bekanntlich die ersten beiden Worte des Konzilsdokuments über die Kirche. Aber obwohl das Dokument mit diesen Worten beginnt, war den Konzilsvätern sehr wohl bewusst, dass nicht etwa die Kirche, sondern Jesus Christus dieses „Licht der Völker“ ist. So sagt es ausdrücklich der erste Satz des Textes. Wir wollen also in den kommenden Tagen mit unseren Gottesdiensten, in unseren Begegnungen und Veranstaltungen das Licht, das Christus ist, auf den Leuchter stellen!
Wenn ich mich frage, welche Verbindung es zwischen Christus als dem Licht der Welt (Joh 8,12) und dem Symbol des Heiligen Rockes gibt, dann muss ich unmittelbar an die Stelle im Evangelium denken, die wir soeben gehört haben: Die Erzählung von der Verklärung Jesu. Matthäus spricht nicht bloß von einem allgemeinen Leuchten, sondern sagt ausdrücklich, dass das Gesicht Jesu leuchtete wie die Sonne und seine Kleider blendend weiß wurden wie das Licht (Mt 17,2). Klar ist für den Evangelisten aber auch, dass dieses Leuchten, diese Verwandlung Jesu nicht einfach aus ihm selbst kommt. Es ist Gott, der Vater, der in Gestalt einer leuchtenden Wolke erscheint und der Jesus ins rechte Licht setzt als den, der er wirklich ist: Gottes geliebter Sohn.
Was den drei Aposteln auf dem Berg Tabor nur für kurze Zeit aufleuchtet, wird ihnen nach Ostern zur Gewissheit: Tatsächlich, Christus ist das Licht der Welt. Aber nicht nur er ist durch seine Auferstehung in ein neues Licht getaucht. Er selbst taucht alles in ein neues Licht. Wie tut er dies? Durch seine Botschaft, sein Leben, sein Sterben und seine Auferstehung. Das Leben, das an so vielen Stellen dunkel und nicht durchschaubar ist, erscheint von der Botschaft Jesu her in einem neuen Licht, ja überhaupt erst wirklich im Licht. So viele Sinnlosigkeiten, denen wir Menschen begegnen, erhalten von Christus her einen ungeahnten Sinn.
Das ist die Ostererfahrung der Emmaus-Jünger: Was ihnen als pures Unglück und sinnlos schien, erhält von Jesus her überraschend Sinn, so dass man sogar sagen kann: „Musste nicht all das geschehen …?“ (Lk 24,26) Und sie, die doch Angst hatten vor dem Dunkeln und deshalb den Unbekannten bitten, bei ihnen zu bleiben („der Tag hat sich schon geneigt“), spüren nun ein inneres Licht, das ihnen sogar den Mut gibt, noch in derselben Stunde wieder aufzubrechen und durch die Dunkelheit nach Jerusalem zurückzugehen. Mit dem Licht, das ihnen von Christus her geschenkt worden ist, kann ihnen die Dunkelheit nichts mehr anhaben. Ja, dieses Licht trotzt der Dunkelheit, ist stärker als sie.
Kein Wunder, dass die frühen Christen die Bekehrung zu Christus und vor allem die Taufe als Erleuchtung verstanden haben (2 Kor 4,6/ Eph 5,13). Sie sahen ihr ganzes Leben in ein völlig neues Licht getaucht. Das wurde nicht zuletzt in den weißen Taufgewändern, mit denen sie bekleidet wurden, zum Ausdruck gebracht. Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus als Gewand angelegt, sagt Paulus (Gal 3,27). Es ist der Christus, dessen eigenes Kleid bei der Verklärung weiß wurde wie das Licht. Aber, was bei Christus gilt, das gilt umso mehr für die, die auf seinen Namen getauft sind: Wenn schon er „Licht vom Licht“ ist, dann gilt dies erst recht für die Christen: Sie sind nicht rein und strahlend aus sich selbst heraus, sondern nur von Christus her. Je näher sie ihm sind, je ernsthafter sie Christen sein wollen, umso mehr spüren sie, dass es notwendig wäre, sich zu reinigen, d.h. von all dem freizumachen, was einerseits den Blick auf das Licht des Evangeliums verstellt und andererseits ihr Zeugnis verdunkelt.
Aber der Weg führt nicht über menschliche „Lösungsmittel“. Wir haben es in der ersten Lesung aus der Offenbarung gehört. So widersprüchlich es klingen mag: Die Heiligen haben ihre Gewänder gewaschen, doch sie sind weiß geworden durch das Blut des Lammes (Offb 7,14). Das heißt: Diese Menschen, selbst sie, die Heiligen, sind keine „Strahlemänner“ aus eigener Kraft, sondern ihre Klarheit und ihre Strahlkraft ist Frucht der hingebungsvollen Liebe Jesu Christi. Ihr wahres Verdienst besteht darin, dass sie dieser Liebe so geglaubt und sie so für ihr Leben so angenommen haben, dass sie sich verändernd, ja reinigend auf ihr Leben auswirken konnte.
Liebe Schwestern und Brüder, welche Konsequenzen sollen wir daraus für uns ziehen? Ich meine, dass es zunächst und vor allem nur um eine einzige Konsequenz geht, die ebenso einfach wie umfassend ist: Dass nämlich auch wir die Botschaft und Person Jesu als das Licht für die Völker begreifen, und zwar nicht nur in dem Sinn, dass wir einer dogmatischen Aussage glauben, sondern diese Einsicht existenziell für unser Leben annehmen. Wer Christus trifft und ihn annimmt, dessen Leben verdunkelt sich nicht, sondern hellt auf.
Noch einmal anders gesagt: Wir wollen Christsein nicht als eine Last zu begreifen, sondern als Geschenk. Tun wir das? Ist das unsere Erfahrung? Können Menschen, die uns begegnen, das spüren? Oder vermitteln wir häufiger den Eindruck, dass Christsein vor allem ein Problem ist, das es zu lösen gilt, damit es irgendwann ans Leuchten kommt? Aber gerade dann wirken wir wie Menschen, die angestrengt und mit aller Kraft versuchen, ein Kleidungsstück von allen möglichen Flecken zu reinigen, ohne damit jemals an ein Ende zu kommen.
Gerade Ostern und die ganz und gar überraschende Erfahrung der Auferstehung stehen doch in besonderer Weise für den Geschenkcharakter des Glaubens. Ich würde mir wünschen, dass dieser Geschenkcharakter in unserem Christsein wieder stärker zum Leuchten kommt. Dabei denke ich übrigens nicht nur an unser individuelles Leben, sondern auch an die Arbeit unserer Diözesansynode. Die Synodalen, die unter uns sind, bitte ich, mitzuhelfen, dass noch vor allen Problemen, denen sich der Glaube und die Kirche in unserer Zeit gegenübersehen, in der Synode spürbar wird, dass der Glaube ein Geschenk ist, und dass einem Menschen im Leben nichts Besseres passieren kann als Jesus Christus zu begegnen und damit ein Licht zu erhalten, das alle Dunkelheiten nicht auslöschen können (vgl. Schlussdokument von Aparecida 2007, Nr. 29). Die Nicht-Synodalen unter uns bitte ich, durch ihr Gebet mitzuhelfen, dass es der Synode gelingt, dieses Zeugnis zu geben.
Liebe Schwestern und Brüder! In den ersten Jahrhunderten hat man die Kirche oft verglichen mit dem Mond: Er gibt Licht in der Dunkelheit, aber dieses Licht kommt nicht von ihm selbst her, sondern ganz von der Sonne. So sei es auch mit dem Licht, dass die Kirche und die Christen in die Welt bringen: Es ist das Licht des Evangeliums, das sie von Christus empfangen haben. Aufgeklärte Menschen haben dann später gefragt, ob man dieses Bild denn nach der Landung auf dem Mond immer noch verwenden könne, wenn man doch nun wisse, dass der Mond kein strahlender Himmelskörper, sondern nur ein staubiger Klumpen aus Sand und Gestein ist. Trotzdem ist es aber der Mond, so hat ein weiser Mensch geantwortet, der die Nacht erhellt.
Ich glaube, es ist dieses gelassene Selbstbewusstsein, dass aus diesem Beispiel spricht, das wir als Kirche in dieser Zeit brauchen. Dann wird Christus als das Licht der Völker sichtbar und wir – wie es das Konzil gewollt hat – als sein „Zeichen und Werkzeug“ dafür. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Amen.