Thorsten Latzel
Der Friede Gottes und die Liebe Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
„Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe,
spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides,
dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“ (Jer 29,11)
Liebe Gemeinde,
die Flut hat Menschen getötet, Häuser weggerissen, Lebenspläne zerstört. Und sie hat bei vielen Betroffenen tiefe Spuren hinterlassen. Eine Frau drückte es so aus:
„Für mich gibt es ein Leben vor der Flut und eines danach.
Irgendwann wurde mir klar: Das Verlorene lässt sich nicht
wiederbringen. Niemals. Das ist wie eine Heimat, die ich verloren
habe.
Die Frage ist für mich und für viele andere: Was gibt mir die Kraft,
nach vorne zu leben und wieder neu anzufangen?“
Die Kraft, nach vorne zu leben – wenn die alte Heimat verloren ging. Das meint Hoffnung. Sie gilt es neu zu lernen, gerade in Zeiten, wenn einem das eigene Leben fremd geworden ist, Liebes und Vertrautes verloren ging.
Vier Anläufe zum Hoffen – in Anlehnung an den Trostbrief, den Jeremia damals an die Exilierten in Babylon geschrieben hat.
Stephan Ackermann
Angesichts der unvorstellbaren Zerstörung hatten viele Menschen den Eindruck: „Meine Heimat ist nicht mehr meine Heimat.“
Da ich selbst sieben Jahre in unmittelbarer Nähe zum Ahrtal gelebt habe, weiß ich um die Dankbarkeit und den Stolz, die die Menschen in dieser Region für ihre schöne Heimat empfinden. Als ich damals nach Lantershofen kam, hat mir ein Mann aus dem Ahrtal gesagt: „Hier kommen Sie in eine begnadete Gegend!“
Kann man das nach der schrecklichen Flut des vergangenen
Jahres noch sagen? Oder ist diese Überzeugung mit den
Wassermassen weggespült worden?
Die Antworten werden unterschiedlich ausfallen: Menschen haben das Tal traumatisiert, resigniert, unter Abschiedsschmerz verlassen.
Aber für diejenigen, die hiergeblieben sind, für diejenigen, die zurückkehren konnten und die, die sich nach der Rückkehr sehnen, ist klar:
Das ist meine Heimat, begnadet, gesegnet – trotz allem.
So bekommt auch das Verheißungswort, das der Prophet Jeremia im Auftrag Gottes spricht, hier an der Ahr einen besonderen Klang: Ich will euch aufsuchen und will mein gnädiges Wort an
euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe.
Nach der Katastrophe der Deportation und des Exils durften die Vertriebenen in alttestamentlicher Zeit wieder in ihre Heimat zurückkehren.
Der Ort, an den sie zurückkehrten, war nicht mehr derselbe, aber er wurde ihnen neu zur Heimat.
Thorsten Latzel
Die Flut im letzten Jahr hatte keinen Sinn.
Sie hat wahllos Leben, Häuser, Autos zerstört.
Ich kann in der Katastrophe keinen höheren Gedanken erkennen: weder pädagogisch belehrend, noch gar im Sinne eines Gerichts. Für mich waren das Chaosmächte. Es war schlicht sinnlose
Zerstörung.
Etwas anderes ist die Frage, wie ich mit dieser Erfahrung umgehe, welchen Sinn sie später in meinem Leben bekommen kann.
„Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe,
spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides.“
Das ist der tiefste Grund meiner persönlichen Hoffnung:
- Dass Gott es gut mit uns meint.
- Und dass Gott auch das Sinnlose und Schlechte uns zu Gute wenden wird.
Ich weiß nicht, wie das geschieht.
Aber ich vertraue darauf, dass Gottes Friedens- und Heilsgedanken am Ende stärker sein werden als alles Leid.
Gott denkt an uns. Gerade auch in Zeiten der Not.
Und Gott wird dem Leiden nicht das letzte Wort lassen.
Auch das ist mir in manchen Rückmeldungen begegnet.
Etwa beim Wiederaufbau der zerstörten ev. Kirche in Unterburg.
„Uns haben so viele Menschen geholfen. Davon möchten wir
etwas zurückgeben. Deswegen haben wir alle Bänke aus unserer
Kirche rausgeräumt und machen sie jetzt zu einem Pilgerstation
für alle Wanderer-/innen, die hier vorbeikommen.“
Stephan Ackermann
Was, liebe Schwestern und Brüder, ist der Unterschied zwischen Durchhalteparolen und Worten, die wirklich ermutigen und
stärken?
Durchhalteparolen scheren sich in der Regel wenig um die Realitäten und nehmen auf die Gefühle von Menschen keine Rücksicht.
Mut machen dagegen Worte, die geerdet und kraftvoll zugleich sind.
Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben, sagt Gott den
Verbannten in Babylon.
Das ist für mich keine Durchhalteparole, sondern ein Wort der Ermutigung.
Denn die Hoffnung, die aus dem Glauben kommt, ist kein naiver Optimismus.
Die Hoffnung, die aus dem Glauben kommt, weiß um die Dunkelheiten und Abgründe des menschlichen Lebens.
Die Hoffnung, die aus dem Glauben kommt, ist eine Hoffnung, die vielen Anfechtungen ausgesetzt ist und doch immer wieder neu gewonnen werden kann, weil Dinge sich überraschend zum
Guten wenden.
Die christliche Hoffnung ist eine Hoffnung, die das Unglück nicht beschönigt, sondern beim Namen nennt. Denn sie glaubt daran, dass Unglück nicht dasselbe ist wie Unheil.
Gott kann selbst aus Unglück Heil schaffen, so bezeugt es uns die Bibel.
Dass Menschen hier im Ahrtal dies erfahren, darum bitten wir.
Thorsten Latzel
Für viele Menschen war von Gott in der Zeit der Flut herzlich wenig zu spüren. Als die Wasser stiegen und stiegen und die Schlammwalze alles mitgerissen hat.
Da war Gott vielen einfach verborgen.
Allenfalls gegenwärtig als mitleidender Gott.
Symbolisch war für mich dafür ein dreckverschmiertes Kreuz, das eine Frau nach dem Hochwasser aus ihrem Keller geholt hat.
Christus im Schlamm.
Doch die Zusage Gottes ist, dass er nicht ewig verborgen bleibt.
Gott will sich von uns finden lassen.
Und Gott tut dies, indem er uns findet.
Etwa in der Hilfe anderer Menschen. Das haben Betroffene so immer wieder geschildert:
„Plötzlich waren da wildfremde Leute,
die uns Essen brachten, den Schlamm wegschippten, oft bis zur
eigenen Erschöpfung geholfen haben. Das hat mir den Glauben an
Gott und die Menschen wiedergegeben.“
Gott wird uns finden, auch wenn wir uns selbst verloren haben.
Und Gott wird sich finden lassen, auch wenn uns unser Glaube
abhandengekommen ist.
Das verspricht Gott, allem Leiden zum Trotz.
Stephan Ackermann
Liebe Schwestern und Brüder, lassen Sie mich ein persönliches Wort an den Schluss stellen.
Sicher spreche ich damit auch im Sinne von Präses Latzel.
Was kann, was darf man hier im Ahrtal sagen als jemand, der nicht unmittelbar von der schrecklichen Flutkatastrophe betroffen ist?
Das habe ich mich im zurückliegenden Jahr mehr als einmal gefragt.
Die allermeisten derjenigen, die seit dem 15. Juli 2021 von außen hierhergekommen sind, um in irgendeiner Weise ihre Solidarität zu zeigen, sind trotz aller inneren Anteilnahme nicht in der
Situation derjenigen, die hier vor Ort leben.
Sie, wir kehren heim in intakte Häuser und Umgebungen.
Ist es da nicht besser zu schweigen als zu reden?
Ja, manches Mal ist es besser zu schweigen – wie wir es zwischendurch auch in diesem Gottesdienst getan haben.
Und trotzdem muss man reden, muss versuchen, Worte zu finden für das Unaussprechliche.
Der biblische Glaube versucht dies immer wieder.
Er will uns helfen, unseren Horizont zu weiten, damit wir nicht eingeschlossen bleiben in den engen Kreis unseres Lebens, sondern Hoffnung schöpfen aus dem langen Atem Gottes.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem
Herrn. Amen.