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Für alle - für viele - für uns ...

Predigt von Bischof Stephan Ackermann am Fronleichnamsfest, 7. Juni 2012 im Trierer Dom

Schriftlesungen: Ex 24,3-8/ Hebr 9,11-15/ Mk 14,12-16.22-26


Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,
liebe Angehörige der Pfarrei Liebfrauen,
vor allem liebe Kommunionkinder,
liebe Schwestern und Brüder aus unseren Ordensgemeinschaften,
liebe Gemeinschaft des Priesterseminars,
Schwestern und Brüder im Glauben!

Genau genommen bietet uns das Evangelium des heutigen Hochfestes in weiten Teilen eine Doppelung zu dem, was wir in jeder Messfeier hören und was aus ihr nicht wegzudenken ist: den sogenannten Einsetzungsbericht im Hochgebet. Er ist die innerste Mitte jeder Heiligen Messe. Diese Mitte ist Gebet und Erzählung zugleich: In ihr wird in Kurzform erzählt, wie das war an jenem Abend, als Jesus Brot nahm und Wein, sie als seinen Leib und sein Blut an die Jünger austeilte und damit die Eucharistie eingesetzt hat. Das Hochgebet ist Erzählung, die aber nicht von Vergangenem erzählt, auch wenn sich natürlich der Tod Jesu in Jerusalem in einer konkreten geschichtlichen Situation ereignete. Dennoch ist er nicht einfach Vergangenheit. Die Liebe, die Jesus seinen Freunden erweist, gilt bis heute. Sie gilt ein für allemal (vgl. Hebr 7,27; 10,10). Sie gilt auch uns. Indem wir dem Auftrag des Herrn nachkommen, der lautet: Tut dies zu meinem Gedächtnis (1 Kor 11,23-25), und uns an das Geschehen im Abendmahlssaal erinnern, kommen wir mit der Wirklichkeit der Liebe Jesu Christi in Berührung. Die Worte des Hochgebetes öffnen gewissermaßen den Raum seiner Liebe, damit wir in ihn eintreten. Denn dort erwartet der Herr uns, um uns seine Gemeinschaft zu schenken.

Für alle – für viele?

Wir hören die Worte des Einsetzungsberichts heute also zweimal. Wer sie ganz aufmerksam verfolgt, der wird allerdings feststellen, dass sie nicht Wort für Wort übereinstimmen. Ich möchte aber unsere Aufmerksamkeit nur auf ein Detail lenken, dass in den letzten Jahren für Gespächsstoff zwischen Rom und den Bischöfen, aber auch unter den Fachleuten gesorgt hat. Ich meine die Worte, die Jesus über den Kelch spricht. Im Hochgebet werden wir nachher beten: Nehmet und trinket alle daraus. Das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Beim Evangelisten Markus sagt Jesus: Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird (Mk 14,24). Für unser Verständnis besteht zwischen den beiden Formulierungen ein nicht unerheblicher Unterschied. Viele ist nicht gleichbedeutend mit alle. Welche der beiden Formulierungen ist nun die richtige? Was hat Jesus wirklich gesagt?

Schauen wir zusätzlich noch in die lateinische Ausgabe unseres Messbuchs, die ja in der katholischen Kirche immer die maßgebliche ist, dann entdecken wir, dass die lateinische Fassung dem Text des Evangelisten näher ist als unsere deutsche Übersetzung. Dort spricht Jesus vom Kelch seines Blutes, qui pro vobis et pro multis effundetur. Papst Benedikt hat deshalb entschieden, dass in der Neuausgabe des deutschen Messbuchs, das voraussichtlich in zwei Jahren erscheinen wird, die Übersetzung mehr dem Lateinischen angeglichen, also wörtlicher übersetzt wird. Es soll dann heißen für viele statt für alle.

Nur ein kleines Wort?

Man mag sich über die Diskussion um die Änderung eines einzigen kleines Wortes wundern. Doch bedenken wir, dass es sich bei dieser Änderung nicht um eine Nebensächlichkeit handelt. Schließlich geht es hier um das Herzstück der Eucharistiefeier, sagen wir es noch deutlicher: Es geht um den heiligsten Text unserer Liturgie. Wir Bischöfe legen immer wieder Wert darauf, dass die amtlich-offiziellen Gebetsworte der Kirche nicht leichtfertig oder gar eigenmächtig geändert werden. Denn gerade sie sind konkreter Ausdruck unserer Einheit: mit dem Ursprung der Kirche, mit der Gemeinschaft des Glaubens durch die Zeiten hindurch und der betenden Kirche weltweit. Es gehört doch zu den Schätzen des Katholischseins, dass wir uns, wo immer wir auf dem Globus eine Messe mitfeiern, zuhause wissen dürfen. Selbst wenn ich die Sprache nicht verstehe, so weiß ich doch, was gebetet wird.

Dass die vom Papst veranlasste Änderung keine Nebensächlichkeit ist, liegt auch daran, dass viele eben nicht alle sind. So wurden kritische Stimmen laut, die in dieser päpstlichen Entscheidung eine weitere Bestätigung dafür sahen, dass die Kirche sich unter Papst Benedikt mehr und mehr aus der Welt verabschieden, sich zurückziehen wolle in den kleinen Zirkel der Reinen und Heiligen. Der Wechsel von alle zu viele sei eine Beweis dafür, dass die Kirche nicht mehr Kirche für alle Menschen sein wolle.

Es gilt: Jesus Christus ist für alle gestorben

Um diese Fragen aufzugreifen und zu beantworten, hat der Papst Mitte April einen Brief an die deutschen Bischöfe geschickt. Darin hat er unmissverständlich klar gemacht, dass mit der wortgetreueren Übersetzung kein theologischer Richtungswechsel verbunden ist. Dass Jesus für alle Menschen gestorben ist, »gehört zu den grundlegenden Gewissheiten des Glaubens«, so der Papst. Jesu Liebe ist unbegrenzt. Sie gilt allen Menschen. So hat es schon der Apostel Paulus immer wieder betont: Gott hat seinen Sohn für alle hingegeben (Röm 8,32); er, Christus, ist der eine, der für alle gestorben ist (2 Kor 5,14).

Insofern bleibt die Übersetzung für euch und für alle in ihrer theologischen Aussage richtig. Zugleich aber ist sie schon Interpretation. Demgegenüber möchte sich der Papst möglichst eng an die Formulierung anlehnen, die Jesus selbst benutzt hat. Jesus sprach von vielen. Höchstwahrscheinlich hat er dies getan, weil er sich selbst damit an Worte des Propheten Jesaja anlehnen wollte, die sich im sogenannten Lied vom leidenden Gottesknecht finden. Wir kennen dieses Lied. Wir hören es jedes Jahr als Lesung in der Karfreitagsliturgie: Es besingt den, der die Sünden von vielen auf sich nahm und sie dadurch gerecht macht (vgl. Jes 53,11f). Als Christen erkennen wir in diesen Versen ein unvergleichliches Spiegelbild für Jesus und das, was er getan und erlitten hat: Er ist wirklich der eine, der sein Leben gab als Lösegeld für viele (Mk 10,45). Es geht also um die Treue zum Wort Jesu, der seinerseits dem Wort des alttestamentlichen Propheten treu ist.

Die Botschaft von der Hingabe erreicht ungezählte …

Doch das ist für den Papst nicht das einzige Argument für die Korrektur der Übersetzung. Noch etwas kommt hinzu: So wahr es nämlich ist, dass die Kreuzeshingabe Jesu Christi allen Menschen gilt, so wahr ist es doch auch, dass innerhalb der konkreten Geschichte dieser Welt, die Botschaft nicht zu allen Menschen dringt. Das gilt erst recht für die Hingabe Jesu, wie wir sie in der Feier der Eucharistie erleben dürfen: Ja, es sind durchaus viele, es sind sogar ungezählte, die Jesu Leib empfangen und aus dem Kelch mit dem Blut des neuen und ewigen Bundes trinken, aber es sind eben nicht alle.

Für viele heißt auch: für euch

Am heutigen Fest dürfen wir uns wieder darüber freuen, dass wir zu den Vielen gehören, die an den Tisch Jesu Christi geladen sind. Mehr noch: Wir dürfen uns von Jesus sogar persönlich angesprochen wissen. Das ist Grund zu besonderer Freude und Dankbarkeit. Denn der Herr spricht nicht nur allgemein von vielen. Er sagt auch: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Das ist mein Blut, das für euch vergossen wird (vgl. Lk 22,19-20). Was für ein Geschenk!

Für alle: auch unsere Verantwortung

Nicht selten spüren wir allerdings in dieser Freude auch einen Schmerz. Er besteht darin, dass wir als Glaubende zwar viele sind, aber viel mehr sein könnten. Denken wir nur an die, die wie wir auf den Namen Jesu getauft, in seine Nähe gerufen, ja zum Empfang der Kommunion geführt worden sind, aber diese Nähe nicht pflegen. Natürlich, jeder Glaubende trägt für seinen Glauben selbst die Verantwortung. Und dann ist da auch noch das Geheimnis des Herrn: Er weiß, wie und auf welche Weise er – trotz allem – die Herzen aller Menschen erreicht. Dennoch spüren wir, dass auch wir Mitverantwortung dafür tragen, dass möglichst viele zu Jesus finden. Von dieser Verantwortung können wir uns nicht einfach freisprechen.

Viele – immer weniger… ?

Deshalb, liebe Schwestern und Brüder, lade ich dazu ein, dass wir uns heute morgen dankbar und bewusst zugleich unserem christlichen Auftrag stellen. Wir wollen nicht mit denen hadern, die Fronleichnam und den morgigen Brückentag bloß als freie Tage nutzen ... Wir wollen nicht darüber klagen, dass aus den Vielen in unserem Land scheinbar immer weniger werden. Wir viele, die wir hier im Dom zusammen sind, wollen Fronleichnam feiern für alle. Wir wollen nicht nur als wir selbst hier sein und nicht nur für uns selbst, sondern stellvertretend für alle, für die Jesus Christus gestorben ist. In dieser Haltung der Stellvertretung, das heißt in der Offenheit auf die anderen hin wollen wir die Botschaft der Bibel hören und annehmen. In dieser Haltung wollen wir die Kommunion, die Gabe der Liebe Gottes empfangen und sie durch die Straßen unserer Stadt tragen. Wenn wir es in dieser Haltung tun, dann entsprechen wir damit nicht nur der innersten Haltung Jesu, sondern dann helfen wir mit, dass die Zahl der Vielen offen ist hin auf alle. Amen.

Weiteres:

Für alle - für viele - für uns ...

in der Predigt