Schriftlesungen: Dtn 8.2-3.14b-16a/ 1 Kor 10,16-17/ Joh 6,51-58
Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,
liebe Schwestern und Brüder in der Gemeinschaft des Glaubens,
liebe Kinder!
Lassen Sie uns in diesem Jahr ein wenig das sog. Tagesgebet des Fronleichnamstages meditieren. Wir haben es zu Beginn der Messe gebetet. Es ist das klassische Gebet auch in Andachten, in denen das Allerheiligste angebetet wird. Es soll uns helfen, den inneren Gehalt des heutigen Festes tiefer zu verstehen. Hören wir noch einmal den altertümlich klingenden Wortlaut: Herr Jesus Christus, im wunderbaren Sakrament des Altares hast du uns das Gedächtnis deines Leidens und deiner Auferstehung hinterlassen. Gib uns die Gnade, die heiligen Geheimnisse deines Leibes und Blutes so zu verehren, dass uns die Frucht der Erlösung zuteil wird. Wenn wir dieses Gebet näher anschauen, entdecken wir, dass es gegliedert ist durch drei große Motive. Sie finden sich in den drei Grundworten Gedenken - Verehren – Zuteil werden.
Wenden wir uns dem ersten Wort zu: Gedenken und Gedächtnis. Ja, die Feier der Eucharistie ist wesentlich Gedächtnis. In der Mitte der Hl. Messe steht das Gedenken an jene Nacht, in der Jesus verraten wurde; an jene Nacht, in der er vorher mit den Zwölf Mahlgemeinschaft gehalten hat, ihnen das Brot gab und den Kelch mit den Wort: »Mein Leib – hingegeben für euch. Mein Blut – vergossen für euch.« In der Mitte der Eucharistie steht der Einsetzungsbericht, der beides zugleich ist: Gebet und gedenkendes Erzählen. Eines aber unterscheidet diese Erzählung wesentlich von allem anderen, was wir Menschen uns erzählen. Diese Erzählung spricht nicht von Vergangenem, sondern von Gegenwart. Das Gedächtnis ist lebendiges Gedächtnis, ist kein nostalgischer Blick in die Vergangenheit. Bei der Messe blättern wir nicht im Fotoalbum der Kirche und schauen auf Vergangenes. Nein, was damals geschah, gilt auch heute.
Wenn man schon den Vergleich mit dem Fotoalbum ziehen will, dann ist es am ehesten so, als ob etwa ein Ehepaar auf seine Hochzeitsbilder schaut: Die Feier von damals, sie ist Vergangenheit, ist Geschichte, aber ihr innerster Gehalt: das Jawort, das man sich gab, das gilt immer noch, das ist wirklich, ist lebendig. Ähnliches mag z. B. auch für Bilder gelten, auf denen Freunde abgebildet sind: die gemeinsamen Erlebnisse liegen zurück, die Moden, die Frisuren haben sich verändert, aber die Beziehungen haben sich bewährt, sie bestehen fort. Die Vergleiche lassen uns ahnen, von welcher Art das Gedächtnis ist, das wir am Altar begehen. Abendmahl und Kreuzigung Jesu liegen zweitausend Jahre zurück, aber ihr innerster Kern gilt bis heute, ist aktuell: Jesu Hingabe für uns Menschen, in der er bis zum Äußersten gegangen ist, gilt heute wie damals. Der Herr liebt auch uns. Er gibt sich für uns hin. Diese Hingabe wird in jeder Eucharistiefeier neu Gegenwart, richtiger noch: Sie ist Gegenwart, ist Wirklichkeit, die offensteht, damit wir immer wieder neu uns ihr nähern, in sie eintreten, uns von ihr umfangen lassen.
Damit sind wir beim zweiten Grundwort: dem Verehren. Am Fronleichnamstag verehren wir die Geheimnisse des Leibes und Blutes Christi in ganz besonders ausdrücklicher Weise: durch den üppigen Schmuck, durch Gebet und Gesang, durch das Erheben des Allerheiligsten, nicht nur für einen Moment wie sonst, sondern durch die Zeigung in der Monstranz und die feierliche Prozession. Mehr als sonst feiern wir Jesus Christus in der Gestalt der Eucharistie, nehmen uns auch bewusst mehr Zeit. Aus vielen biographischen Zeugnissen katholischer Christen wissen wir, dass es gerade der Fronleichnamstag mit seiner Form der Gottesverehrung war, der sie von Kindesbeinen an tiefer und nachhaltiger geprägt hat als vieles andere. Wir wollen deshalb die sinnenfrohe Liturgie des Fronleichnamsfestes wahrhaftig nicht missen, und es freut mich, dass in den letzten Jahren in Gemeinden, in denen sich Prozessionen verloren hatten, diese – man möchte sagen: gegen den Trend - wiederbelebt worden sind.
Doch wenn das Tagesgebet von Fronleichnam um die Gnade bittet, die Eucharistie in der rechten Weise zu verehren, so ist damit nicht bloß eine korrekte und festliche Liturgie gemeint. Nein, es geht um Tieferes: Christus ehren wir nicht nur durch den Kult, sondern auch und ganz besonders durch unser Leben. Die richtige, ja die letztgültige Verehrung der Eucharistie geschieht dadurch, dass wir uns mit unserem Leben dem angleichen, was die Eucharistie bezeichnet. Wahre Verehrung der Eucharistie heißt, mit meiner ganzen Existenz Antwort zu geben, Antwort zu leben auf die Liebe Gottes, die mir aus der Eucharistie entgegenkommt. Wahre Verehrung der Eucharistie heißt, mich in meinem Denken und Handeln prägen zu lassen vom Denken und Handeln Jesu Christi, so wie es uns im Evangelium begegnet. Wenn wir ihm ähnlich werden, wenn wir nicht nur Christen heißen, sondern es auch sind, dann, erst dann machen wir dem Herrn wirklich alle Ehre.
Dann wird uns auch die Frucht der Erlösung zuteil. Teilhabe - das ist das dritte Grundmotiv des Gebetes. Worin aber, liebe Schwestern und Brüder, besteht eigentlich die »Frucht der Erlösung«? Wo finden wir sie? Am konkretesten und naheliegendsten sicher in dem Sakrament selbst, das nach der Wandlung vor uns auf dem Altar liegt. Es ist die Frucht der Samenkörner, die in die Erde gestreut wurden und zur Ernte kamen. Vor allem aber ist es die Frucht des Weizenkorns Jesus Christus, dessen Leben und Sterben unvergängliche Frucht getragen hat.
Doch das Gebet geht über dieses naheliegende Verständnis noch hinaus: Das wird in der lateinischen Fassung, die ja durchaus auch immer noch verwendet wird, hörbar. Dort lautet die Bitte, ut redemptionis ... fructum in nobis iugiter sentiamus. Wörtlich übersetzt heißt dies, dass wir in uns immer lebendig die Frucht der Erlösung spüren. Die Frucht der Erlösung ist also keine Frucht, die uns bloß äußerlich zuteil wird, sondern Frucht, die in uns lebendig sein will, die in uns neuer Same werden will. Wir spüren diese Frucht, wenn wir die Freiheit des neuen, des österlichen Lebens spüren, das uns Jesu erworben hat. Frucht der Erlösung heißt: Befreitsein und immer neu Befreitwerden aus der Angst und Selbstbefangenheit des alten Menschen. Die »Erstlingsfrucht« der Erlösung, so sagt Paulus, ist der Geist der Freiheit und des neuen Lebens in Christus (vgl. Röm 8,23/ 2 Kor 3,17).
Es ist das Wunderbare unseres Glaubens, dass der Herr uns diese Frucht nicht nur einmal und anbietet und dann nie wieder. Dann wäre die Erstkommunion zugleich die »Letztkommuni-on«. Nein, Christus reicht uns diese Frucht in jeder Eucharistie neu, sooft wir seiner gedenken. Wenn wir bereit sind, seine Eucharistie in der rechten Weise – spirituell und existenziell - zu verehren, das heißt von Herzen aufzunehmen, dann befreit sie uns zu Neuanfängen – selbst dann, wenn wir es uns und anderen schon nicht mehr zutrauen. Sie aber kann es. Denn sie enthält die ganze Kraft der Erlösung. Amen.