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Predigt im Gedenkgottesdienst anlässlich des 100. Geburtstags von Willi Graf

"Folgt nicht der Lüge, sondern glaubt an die Wahrheit"

Liebe Schwestern und Brüder!

Auch wenn in der Stadt nun wieder der Werktag eingekehrt ist, so dauert im Festkalender der Kirche die Weihnachtszeit noch an. Die biblischen Lesungen, die wir gerade gehört haben, gehören noch in diese Weihnachtszeit hinein. Und doch wird in ihnen das deutlich, was sich schon sehr früh andeutet: Die Weihnachtsbotschaft ist trotz aller heimeligen Atmosphäre, trotz allen Verniedlichungen und allem Kitsch keine harmlose Botschaft: Wenn es nämlich stimmt, dass es Gott gibt, den Schöpfer des Himmels und der Erde, und wenn dieser nicht bloß in erhabener Ferne bleibt, sondern selbst Mensch wird und uns dies alles auch wissen lässt, dann kann das nicht ohne Folgen bleiben. Denn dann fordert er uns Menschen heraus, dass wir uns entscheiden: dies anzunehmen oder abzulehnen, der Botschaft zu glauben oder nicht zu glauben.

Schon in den Heiligengedenktagen der Weihnachtswoche wird das deutlich: Denken wir an den Heiligen des zweiten Weihnachtstages, Stephanus, der für sein Bekenntnis stirbt. Denken wir an das Fest der Unschuldigen Kinder am 28. Dezember, das daran erinnert, dass der Machthaber Herodes aus Angst davor, dass der neugeborene König der Juden ihm seine Macht streitig machen könnte, alle neugeborenen Jungen bis zum Alter von zwei Jahren töten lässt (Mt 2,16). Was dort beginnt, wird sich in der Geschichte des Glaubens immer neu wiederholen: Diktatoren und Despoten fühlen sich von der Christusbotschaft bedroht und versuchen deren Boten auszuschalten. Und am 29. Dezember gedenkt die Kirche des hl. Thomas Becket, Kanzler von König Heinrich II. in England, der im zwölften Jahrhundert für die Freiheit des Gewissens und der Kirche in den Tod ging.

Aber die Ablehnung beginnt ja schon viel früher: Vom allerersten Opfer für Christus spricht das Evangelium des heutigen Tages: Es ist Johannes der Täufer, der Vorläufer Jesu. Was die Priester und Leviten mit ihm anstellen, ist ein regelrechtes Verhör. Am Ende kostet ihn seine aufrechte Haltung das Leben. Dabei sind es nicht nur die großen, die herausragenden Gestalten, deren Zeugnis gefordert ist, auch die normalen Gläubigen werden nicht davor bewahrt, sich positionieren zu müssen. Davon sprach die Lesung aus dem 1. Johannesbrief. Es gilt zu unterscheiden zwischen Wahrheit und Lüge. Es wird Anfechtungen und Bestreitungen des Glaubens geben von den ersten Christengenerationen an. Davor bleibt niemand verschont. Die Schriften des Neuen Testaments sind hier ganz nüchtern. Sie lullen nicht ein, gaukeln keine heile Welt an der Krippe vor, sondern beschreiben offen, womit zu rechnen ist, wenn man der Weihnachtsbotschaft glaubt.

Eine Quelle, aus der man schöpfen kann

Aber den Lesern und Hörern des Neuen Testaments wird nicht nur aufgezeigt, was ihnen bevorstehen kann. Der 1. Johannesbrief macht den Gläubigen auch Mut, spricht nicht nur von den Auseinandersetzungen und Gefahren, in die sie geraten können, sondern spricht auch von der Quelle, aus der sie schöpfen können, anders gesagt: von der Kraft, auf die sie vertrauen können. Er nennt sie die „Salbung“. Damit erinnert er an das Sakrament der Taufe, zu dem seit ältester Zeit nicht nur das Übergießen mit Wasser gehört, sondern auch die Salbung mit Chrisamöl. Sie ist das wirkmächtige Zeichen der Verbindung mit dem, der der Gesalbte schlechthin ist: der Messias, Christus. Ihn und seine Botschaft zu kennen, sich ihm zugehörig zu wissen, ihn an der Seite zu wissen, das gibt die Klarheit unterscheiden zu können zwischen Lüge und Wahrheit, und das gibt die Kraft für die Wahrheit einzutreten. Deshalb lautet der ebenso schlichte wie eindringliche Appell des 1. Johannesbriefs: „Bleibt in ihm, Jesus, dem Sohn und Gesalbten, wie es euch seine Salbung gelehrt hat.“ (1 Joh 2,27) Das heißt auch: Bleibt bei seiner Botschaft und bleibt in der Gemeinschaft der Kirche, die sein Leib ist!

Wenn wir heute auf das Lebenszeugnis von Willi Graf schauen, dann kommt es uns vor wie ein lebendiger Kommentar, eine Auslegung zu den biblischen Lesungen des 2. Januars, seines Geburtstags: Wesentliche Grundlage, ja Fundament für seine Erkenntnis der verbrecherischen, menschenverachtenden Ideologie des Naziregimes war sein christlicher Glaube. Hinzu kam die Beschäftigung mit Literatur, die geistige Auseinandersetzung und natürlich auch die Gemeinschaft und der Austausch mit Gleichgesinnten, grundgelegt in der katholischen Jugendbewegung, dann insbesondere mit den Mitgliedern der Weißen Rose.

Ein waches Gespür für die Würde des Menschen

Was mich an Willi Graf und seinen Mitstreitern besonders beeindruckt, ist die Hellsichtigkeit und Entschiedenheit, mit der diese jungen Leute die Verlogenheit der Nazi-Machthaber entlarvt und sich dagegengestellt haben. Was andere, ältere, studierte und durchaus informierte Mitbürger und Verantwortungsträger nicht geschafft haben, das haben sie geschafft: Die verlogene Grausamkeit der Nazidiktatur aufzudecken, sie als das zu benennen, was sie war, und dagegen aufzustehen. Grundlage dazu boten die christliche Botschaft, ein waches Gespür für die Würde des Menschen und gesunder Menschenverstand, der eins und eins zusammenzählen kann.

Mögen sich Diktatur und Despotentum auch kaschieren und den Mantel angeblicher Werte umhängen, um Menschen zu verwirren und zu täuschen, so lässt sich mit Glaube und Vernunft die Maskerade durchschauen. Das zeigen das Beispiel von Willi Graf und der Weißen Rose. Deshalb ist dieses Beispiel, dieses Zeugnis inspirierend und wichtig auch für heute: Glaube, Verstand und Mut sind die Kräfte, die davor bewahren, falschen Heilsversprechen auf den Leim zu gehen. Der 1. Johannesbrief spricht vom „Antichristen“. Das sind alle diejenigen, die sich als Messiasse, als Heilsbringer für die Menschheit ausgeben, in Wahrheit aber Unheil über die Menschheit bringen.

Orientierungspunkt für kommende Generationen

Liebe Schwestern und Brüder, in den vergangenen Tagen wurde bekannt, dass das Erzbistum München und Freising eine Voruntersuchung für ein Seligsprechungsverfahren von Willi Graf auf den Weg bringen will. Ich finde dies eine gute Initiative. Denn ein solches Verfahren und eine Seligsprechung selbst, sind ja eine Weise der Kirche, Menschen mit ihrem Lebenszeugnis in besonderer Weise auf „den Leuchter zu stellen“ (Mt 5,16) und damit einen Orientierungspunkt für gegenwärtige und künftige Generationen zu geben.

Eine Seligsprechung ist aber nicht bloß eine Art von kirchlicher Herzeigung von vorbildhaften Personen, sondern immer auch ein Bekenntnis der bleibenden Verbundenheit in der Gemeinschaft des Glaubens. Die Schwestern und Brüder, die uns im Glauben vorangegangen sind, bleiben über den Tod hinaus an unserer Seite. Willi Graf war davon überzeugt, wenn er seiner Schwester Anneliese in seinem Abschiedsbrief schreibt: „Ich werde bei Dir sein, auch wenn ich nicht mehr im Leben an Deiner Seite stehen kann … [Und:] Für uns ist der Tod nicht das Ende, sondern der Anfang des wahren Lebens.“ (12.10.1943)

Danken wir an diesem Abend für das Zeugnis des Lebens und des Glaubens von Willi Graf und bitten wir Gott, dass er seiner Kirche und der Welt immer wieder solche Zeugen schenkt. Amen.

Weiteres:

Gedenkgottesdienst Willi Graf

in der Predigt