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Der innerste Antrieb ist Liebe

Predigt von Bischof Stephan Ackermann in der Gründonnerstagsliturgie am 2. April 2015 im Trierer Dom

Immer wieder kann man hören, dass Religion in besonderer Weise eine Quelle von Gewalt sei. Die grauenhaften Bilder von den vermummten IS-Kämpfern, die im Namen Allahs unschuldige Menschen verschleppen, foltern und hinrichten, weil sie einen islamischen Gottesstaat errichten wollen, scheinen dieser Ansicht nur allzu sehr Recht zu geben. Religionsgelehrte und Theologen - auch aus der muslimischen Welt - halten dagegen, dass Mord und Gewalt aus religiösen Motiven ein Missbrauch des Namens Gottes sei. Für den christlichen Glauben scheint uns dies selbstverständlich, steht doch in der Mitte der Botschaft Jesu sein Aufruf zu Gewaltfreiheit und Liebe.

Aber wir wissen und geben es auch zu, dass dies trotz der eindeutigen Worte Jesu in der Glaubensgeschichte des Christentums nicht immer so praktiziert worden ist. Lange genug glaubte man, die Wahrheit Gottes – wenn nötig, auch mit Gewalt – verteidigen zu müssen. Heute aber sieht die Einschätzung anders aus. Wir haben unsere Lektionen gelernt, so sagen wir. Wie passt es aber dann dazu, dass wir dennoch Jahr für Jahr am Gründonnerstagabend als erste Lesung den gewalttätigen und bluttriefenden Abschnitt aus dem Buch Exodus hören? Gott geht durch Ägypten und erschlägt jeden Erstgeborenen bei Mensch und Vieh und verschont nur diejenigen, an deren Türpfosten Lammblut klebt … Ist das nicht ein Gottesbild, das wir überwunden zu haben glauben? Und wenn der Abschnitt schon zur Geschichte des Alten Testaments gehört und nicht einfach ausgetilgt werden soll, so müsste er doch nicht gerade an den heiligsten Tagen des Kirchenjahres vorgetragen werden, so könnte man denken. Wenn wir es aber trotzdem tun, ist das dann nicht doch insgeheim der Beweis dafür, dass auch im biblisch-christlichen Glauben bis heute ein Gewaltpotenzial schlummert, von dem man sich nicht verabschieden will?

Die Frage ist nicht unberechtigt. Dennoch sollten wir vor einem vorschnellen Urteil zwei Dinge bedenken: (1.) Da ist zunächst die Weise, wie die Bibel erzählt: Auch wenn die gesamte erste Lesung gestaltet ist als eine direkte Rede Gottes, der in Ich-Form zu seinem Volk spricht, so ist die Bibel doch zuerst und vor allem ein Buch, in dem Generationen von glaubenden Menschen berichten, was sie erfahren haben. Bei der Erzählung vom Pascha ist es die Erfahrung einer wundersamen Befreiung aus der Situation von Unterdrückung und Knechtschaft. Wahrscheinlich konnten die Israeliten sich zunächst gar keinen richtigen Reim darauf machen, wie es zu dem Zug in die Freiheit kam: Da waren die Katastrophen und Plagen, von denen Ägypten heimgesucht wurden; da war das geheimnisvolle Sterben von Menschen und Tieren; da war die wundersame Rettung durch das Wasser des Roten Meeres hindurch. Israel weiß, dass es nicht die eigenen Kräfte waren, die diesen Ausbruch in die Freiheit möglich gemacht haben. Die Israeliten sind nicht als Gotteskrieger gegen Ägypten angetreten. Sie haben nur all ihren Mut zusammengenommen zur Flucht. Wie sollte man sich dann aber die Errettung anders erklären, dass ihnen eine göttliche Macht zu Hilfe gekommen war, die Macht des Gottes, zu dem sie sich bekannten. Er musste es gewesen sein, der ihnen machtvoll den Weg in die Freiheit gebahnt hatte. Er hatte sich realer und mächtiger erwiesen als die Götter Ägyptens.

Liebe Schwestern und Brüder, die Geschichte des Alten Testaments zeigt uns allerdings, dass Israel sich in der Folge nicht der Gewalt enthalten hat: Gewalt in kriegerischen Auseinandersetzungen mit Feinden oder zur Eroberung von Feindesland ist auch für Israel üblich, selbst wenn es bei seinen militärischen Siegen die Hilfe Gottes mit am Werk sieht. Verfolgen wir die Entwicklung des Alten Testaments weiter, dann sehen wir, dass sich das Gottesbild erweitert: Gott bleibt der Einzige und Allmächtige. Er bleibt der, der Gewalt über Himmel und Erde hat, aber er wird auch als der entdeckt, dem Barmherzigkeit lieber ist als Schlachtopfer und der um die Menschen wirbt (vgl. Hos 2,16; 11,4-9). Der Prophet Elia, der so kompromisslos und gewalttätig zugleich für den Jahwe-Glauben eingetreten ist, muss lernen, dass Gott sich ihm nicht – wie erwartet – in Sturm, Feuer und Erdbeben zeigt, sondern im sanften Säuseln des Windes (vgl. 1 Kön 19,8-13). Wenn man dem weiteren Gang der Heilsgeschichte folgt, gewinnt man den Eindruck, dass Gott diesen Weg fortsetzt: Äußere Zeichen der Macht und der Gewalt treten in seinem Erscheinen in den Hintergrund. Gott „nimmt sich in seinem Auftreten immer mehr zurück“: Denken wir an den geheimnisvollen Knecht beim Propheten Jesaja: Er ist der Bevollmächtigte Gottes. Er wird das Recht bringen und Erfolg haben, aber er wird es nicht mit Gewalt durchsetzen, sondern indem er die Schuld aller auf sich nimmt (Jes 52,13ff). Wir werden es morgen in der Karfreitagsliturgie wieder hören.

Und schließlich geschieht das Unausdenkliche: Gott selbst wird Mensch, wird in Jesus von Nazaret einer von uns. Gott sieht uns zum Verwechseln ähnlich. Die Machttaten, die Jesus vollbringt, führen nicht dazu, dass ganz Israel sich bekehrt – im Gegenteil. Die Schar derjenigen, die zum Glauben findet, bleibt klein und angefochten. Am Ende sieht es so aus, als ob der, der im Namen Gottes gekommen ist, von ihm selbst verworfen worden sei. Ein Gekreuzigter kann doch nicht Gott sein!

„Einst am Kreuz verhüllte sich der Gottheit Glanz“, so hat Thomas von Aquin gedichtet. Und es ist kein Zufall, dass sich diese Worte in einem Lied auf die Eucharistie finden (wir werden sie nachher bei der Übertragung des Allerheiligsten singen). Die Eucharistie scheint die Verhüllung Gottes noch einmal zu steigern: Der große Gott in einem kleinen Stück Brot und in einem Schluck Wein. So weit nimmt sich der Allmächtige zurück! Er tut es aus Liebe, denn er weiß, dass nicht die Sprache der Gewalt, sondern nur die Sprache der Liebe die Herzen der Menschen wirklich verwandeln kann.

Liebe Schwestern und Brüder, weil die Spannung zwischen dem Gott, der in Ägypten dreinschlägt und dem fußwaschenden Christus im Johannesevangelium so groß ist, hat man bekanntlich versucht, eine Trennung zwischen dem Gott des Alten und dem Gott des Neuen Testamentes einzuführen: Der Gott des Alten Testaments sei der Richtende und Strafende, der Gott des Neuen Testaments dagegen der Gott der Liebe und des Verzeihens. Aber diese Trennung wird dem Zeugnis der Heiligen Schrift nicht gerecht. Gott lässt sich nicht auseinanderdividieren. Er bleibt der eine Gott der beiden Testamente. Er ist der Allmächtige und Liebende zugleich. Da ist keine Kluft in ihm.

Ich glaube, wir dürfen und müssen die ganze Geschichte Gottes mit der Menschheit als eine große Lerngeschichte verstehen. In ihr wirkt eine staunenerregende göttliche Pädagogik: Sie zeigt, dass der Gott des Mose, des Elija und der Gott Jesu Christi der wahre und einzige Gott ist. Alle anderen Götter sind neben ihm Götzen. Er ist der allmächtige Schöpfer, und er ist der Herr der Geschichte. Er lässt keinen Spott mit sich treiben (Gal 6,7). Zugleich ist er der Gerechte. Er lässt nicht zu, dass das Unrecht triumphiert und die Armen endgültig unter die Räder kommen. Vor ihm haben sich alle zu verantworten.

Worauf aber die Propheten des Alten Testamentes schon hingewiesen haben, dass bricht sich in der Verkündigung Jesu vollends Bahn: Gottes innerste Kraft, sein innerster Antrieb ist die Liebe. Deshalb hat er alles ins Dasein gerufen. Deshalb kümmert er sich um uns. Deshalb liegt ihm jedes Geschöpf am Herzen. Das gilt ganz besonders für den Menschen, den er nach seinem Bild geschaffen hat. Jesus sagt es ganz eindeutig: Gott will nicht, dass einer verloren geht (Joh 17,12; 18,9). Und: Er hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, gar zugrunde richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird (Joh 3,17).

Liebe Schwestern und Brüder, in Gott fallen Allmacht und Liebe ineins. Er ist allmächtig in seiner Liebe. So bringt uns der Gründonnerstagabend mit der ganzen Breite des Gottesbildes in Berührung: Der Gott des Exodus ist auch der Gott des Abendmahlssaals! Die Fußwaschung, die Jesus an den Jüngern vollzieht, ist keine weichliche Geste. Seine Worte über Brot und Wein sind keine Abschiedsromantik. Hinter beidem steht die ganze Macht der Liebe Gottes. Diese Macht ist nicht zu instrumentalisieren für Aktionen der Gewalt. Wir dürfen hoffen, dass wir die gröbsten Formen eines falschen Verständnisses göttlicher Gewalt überwunden haben. Christliche Gotteskrieger bekämen vom Papst keine Rückendeckung! Aber gegen subtilere Formen der Gewalt sind wir auch nicht gefeit. Denn auch Rechthaberei, Dünkel oder bloßes Desinteresse am Geschick von Menschen sind Formen der Gewalt. Die Lerngeschichte Gottes mit uns ist noch längst nicht zu Ende. Bitten wir an diesem Abend darum, dass uns der göttliche Pädagoge weiter in seine Schule der Liebe nimmt und erneuern wir unsere Bereitschaft, ihm darin zu folgen.

Weiteres:

Gründonnerstag 2015

in der Predigt