Weihnachten ist für Bischof Dr. Stephan Ackermann „eine große Vertrauensübung für das Leben“. Das hat der Trierer Bischof an Heiligabend (24. Dezember) im Trierer Dom gesagt. „Weihnachten lädt uns dazu ein, das Schöne und Gute, das es in unserer Welt gibt, wahrzunehmen und ihm zu glauben, um daraus die Kraft zu ziehen, uns den Schwierigkeiten, den Auseinandersetzungen, den dunklen Seiten unseres Lebens zu stellen.“
Jes 9,1-6/ Tit 2,11-14/ Lk 2,1-14
1. Es klang fast wie eine Entschuldigung, als die Nachrichtenmoderatorin am vergangenen Montag gleich zu Beginn der Sendung darauf hinwies, dass es ungewöhnlich sei, mit einer positiven Nachricht zu beginnen. Es ging um die Weltnaturschutzkonferenz in Montreal. Sie war an diesem Tag zu Ende gegangen und die Teilnehmer wie auch Beobachter waren überrascht, dass die Konferenz Vereinbarungen getroffen hatte, die ambitionierter waren, als sie selbst es erwartet hatten.
Es stimmt: Die ersten und wichtigsten Meldungen in den Nachrichten sind in der Regel schlechte Nachrichten. Wir erleben es besonders seit Beginn der Corona-Pandemie und noch einmal verschärft seit dem 24. Februar dieses Jahres, als genau heute vor zehn Monaten der ungerechte Krieg Russlands gegen die Ukraine begann mit all den schrecklichen Folgen, die dieser Krieg für die Menschen in diesem Land und weltweit hat. Tagtäglich sind wir umgeben von belastenden Nachrichten, und leider ist es so, dass sich die schlechten Nachrichten auch noch besser „verkaufen“ als die guten. In uns Menschen gibt es offensichtlich eine geheimnisvolle Faszination für schlechte Nachrichten.
2. Doch, Gott sei Dank, ist das nicht alles: Wir kennen in uns auch die Sehnsucht nach dem Guten, dem Schönen. Das wird uns besonders in der Adventszeit bewusst: Wir halten Ausschau nach dem Glanz, der sich wohltuend unterscheidet vom Grau des Alltags. Und weil in uns der Drang nach dem Guten und Schönen, an dem wir uns freuen können, stark ist, geben wir uns nicht selten schon zufrieden mit dem Glanz, der oberflächlich, der kitschig bleibt.
Umso schöner und wichtiger ist es, richtig Weihnachten zu feiern. Doch was heißt „richtig Weihnachten feiern“? Es heißt, uns faszinieren zu lassen von der weihnachtlichen Botschaft.
Mag Weihnachten noch so sehr von Äußerlichkeiten und Kommerz überdeckt sein, der innerste Kern der Botschaft ist bis heute nicht verloren gegangen.
Dieser Kern sagt: Gott liebt das Leben (vgl. Weish 11,26). Deshalb hat er die Welt und den Menschen erschaffen. Und deshalb lässt er nicht von dieser Welt. Im Gegenteil: Sie, wir liegen ihm so am Herzen, dass er selbst Mensch wird, um unser Leben mit uns zu teilen.
Die Faszination dieser guten Botschaft spüren wir bis heute. Die Faszination dieser Botschaft empfinden sogar Menschen, die sich selbst nicht als gläubige Christen bezeichnen, aber spüren, dass diese Botschaft die Kraft hat, das Herz jedes Menschen zu berühren. Denn in der Botschaft von Weihnachten wird das Göttliche ganz einfach, ganz menschlich, und das
schlicht Menschliche (die Geburt eines Kindes, die Liebe zweier Menschen zueinander …) bekommt eine göttliche Würde.
3. Der Zweifler in uns mag dagegen einwenden: „Ist das nicht zu schön, um wahr zu sein?“ Und er hätte recht, wären da nicht die harten, unromantischen Realitäten, die untrennbar zur Weihnachtsgeschichte hinzugehören: die mangelnde Unterkunft für die junge Familie, die insgesamt prekäre Situation, die schon bald erzwungene Flucht und – später dann das Unverständnis und die zunehmende Ablehnung, die der erwachsene Jesus erfahren wird.
Die Botschaft von Bethlehem ist nicht harmlos, ist keine softe Botschaft. Sie enthält in sich schon die Botschaft vom Kreuz. Und das Licht von Weihnachten wäre ein trügerisches Licht, wenn es nicht das Licht von Ostern gäbe. Die Advents- und Weihnachtskerzen blieben schöner Schein ohne das Licht der Osterkerze, das durch Verzweiflung und Tod hindurchgegangen ist.
Das Licht leuchtet in der Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht erfasst, sagt der Evangelist Johannes (Joh 1,5). Weil es dieses Licht gibt, können wir der Weihnachtsbotschaft glauben. Sie blendet die schlechten Nachrichten nicht aus. Sie verschweigt nicht Konflikte, Schmerzen und Tod. Sie weiß, was den größten Teil unseres Lebens ausmacht. Deshalb ist die Geschichte von
Bethlehem nicht irgendeine Kalendergeschichte, bei der einem ein bisschen warm wird ums Herz. Nein, die Botschaft von Weihnachten ist wahr, und deshalb ist sie schön und anziehend!
4. Liebe Schwestern und Brüder! Das Weihnachtsfest sagt uns: das Schöne und Gute, das es in dieser Welt gibt, ist nicht bloß ein flüchtiger Schein, sondern ist in Wahrheit der tiefste Kern aller Wirklichkeit. Deshalb sollen wir uns davor hüten, die Wirklichkeit dieser Welt und unseres Lebens zu reduzieren auf die Schwierigkeiten, die Missstände, die Dunkelheiten, die es natürlich gibt. Doch sie bilden nicht das Ganze der Wirklichkeit. Dafür steht die Weihnachtsbotschaft.
Weihnachten ist deshalb so etwas wie eine große Vertrauensübung für das Leben. Weihnachten lädt uns dazu ein, das Schöne und Gute, das es in unserer Welt gibt, wahrzunehmen und ihm zu glauben, um daraus die Kraft zu ziehen, uns den Schwierigkeiten, den Auseinandersetzungen, den dunklen Seiten unseres Lebens zu stellen.
Was könnte zu dieser Vertrauensübung für das Leben helfen?
Liebe Schwestern und Brüder, ich glaube, auf diese Weise dürfen wir ohne schlechtes Gewissen in Weihnachtsfreude schwelgen. Denn dann ist sie nicht bloß eine willkommene Ablenkung vom Alltag, sondern öffnet uns die Augen für den guten, den schönen, den heiligen Kern des Lebens. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!