Mit einem live übertragenen Pontifikalamt hat Bischof Dr. Stephan Ackermann am 29. April die Heilig-Rock-Tage 2022 eröffnet. Das Fest der Diözese Trier findet vom 29. April bis 8. Mai unter dem Leitwort „Mache dich auf“ statt.
Wir dokumentieren die Predigt im Wortlaut:
Schon immer klang die 1. Lesung vom Heilig-Rock-Fest, die dem Propheten Jesaja entnommen ist, für mich geheimnisvoll und erschreckend zugleich: Das Bild von Gott als Keltertreter, der die Rotweintrauben zerstampft, sodass der rote Most auf sein Gewand spritzt und es blutrot färbt. Als Hörer versteht man unmittelbar, dass es hier nicht um ein fröhliches Erntebild geht, sondern dieser Keltertreter ist erfüllt von Zorn und Wut, und was er da zerstampft, sind eigentlich nicht Trauben, sondern Völker, d. h. Menschen.
Ganz offen spricht Gott selbst von einem Tag der Vergeltung. Insofern stampft er nicht in sinnloser Wut in dem Bottich, sondern er tut es – wie er selbst sagt, um Gerechtigkeit zu schaffen (Jes 63,1). Offensichtlich hat er es satt, dem ungerechten Treiben unter den Völkern zuzusehen. Er hofft, dass jemand die Ungerechtigkeit genauso bedrängend empfindet wie er und ihm beispringt, um Gerechtigkeit zu schaffen, aber zu seiner Bestürzung findet er keinen, der ihm beisteht (Jes 63,5).
Liebe Schwestern und Brüder, ehrlich gestanden habe ich diese Lesung in den früheren Jahren immer mit einem gewissen Unbehagen gehört. In diesem Jahr ist das etwas anders. Die Lesung scheint aktueller als vor Jahren. Denn von wie vielen Gräueltaten und menschenverachtenden Massakern mussten wir seit dem 24. Februar, dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine schon hören. Und wie oft schon haben wir in den Fürbitten und in Kreuzwegandachten in der Fastenzeit darum gebetet, dass die ungerechte Aggression aufhören möge und ein ernst gemeinter Dialog möglich wird, damit die Waffen endlich schweigen. All das scheint völlig wirkungslos verhallt zu sein. Immer neue Schreckensnachrichten kommen hinzu. Da packt einen Verzweiflung und Wut.
Und insofern ist wieder einmal die Frage naheliegend, wo denn in all dem eigentlich Gott ist, wie er zu dieser Gewalt und zu diesem Grauen steht, und ob er nicht eingreifen kann oder will, wenn so viele unschuldige Menschen leiden und ein ganzes Land ruiniert wird.
Die Lesung aus dem Propheten Jesaja gibt auf ihre Weise darauf eine Antwort, sie lässt uns gewissermaßen Einblick nehmen in die „Gefühlswelt“ Gottes. Und die ist eindeutig: Da, wo Ungerechtigkeit geschieht, wo Menschen unterdrückt werden, wo sie keine Hilfe finden, packt Gott der Zorn. Denn wenn jemand ein unbestechliches Gerechtigkeitsempfinden hat, dann doch Gott!
Insofern ist die Lesung, die aufs erste Hören hart und erschreckend klingt, im Tiefsten eine gute Nachricht: Gott ist gerecht. Er leidet unter Ungerechtigkeiten und akzeptiert sie nicht!
Er ist ja der Schöpfer des Lebens: Er hat uns Menschen die Erde gegeben und weiß, dass sie genug Nahrung und Lebensgrundlagen für alle enthält, wenn wir nur sorgsam und friedlich damit umgehen. Er ist der, der dem Volk Israel stellvertretend für alle Völker die Zehn Gebote gegeben hat als Weisungen für ein gelingendes Zusammenleben. Wie anders sähe die Welt aus, wenn sich die Menschen, wenn wir uns nur schon an die Zehn Gebote halten würden!
Wie sehr Gott Gerechtigkeit liebt und Ungerechtigkeit und Gewalt verabscheut, finden wir plastisch auch einer anderen Stelle des Alten Testaments geschildert, die uns noch vertrauter ist. Ich meine die Erzählung von der Sintflut im Buch Genesis: Dort wird berichtet, wie Gott sich entsetzt über den rohen Umgang der Menschen miteinander und über die Gewalt, die auf der Erde Einzug gehalten hat. Nach dem Erzähler sieht Gott keinen anderen Ausweg, als die Erde zu fluten und einen Neuanfang zu setzen (Gen 6,11ff). Die ersten dieser neuen Menschheit sind Noah und seine Familie. Sie werden gerettet.
Dann aber klingt es fast so, als ob Gott die radikale Maßnahme reut. Denn unmittelbar nach der Flut schließt Gott mit Noah einen Bund, in dem er verspricht, dass er niemals wieder zu einer solch radikalen Maßnahme greifen wird (Gen 8,21f; 9,9-16).
Dieses Versprechen hält Gott durch bis in die letzte Konsequenz: Am „Ende der Zeit“ wird er selbst Mensch in Jesus Christus. Seitdem hat der Keltertreter aus Jesaja das Gesicht Jesu Christi. Gott steht nach wie vor auf der Seite der Gerechtigkeit, aber er zerstampft nicht in seiner Allmacht die Ungerechten. Er ist nicht mehr nur der, der die Trauben tritt, sondern er wird in Christus selbst zum Getretenen, wird selbst zur Traube, die ausgepresst wird.
Als unsere Vorfahren im Jahr 1512 bei der ersten öffentlichen Zeigung des Heiligen Rockes die Jesaja-Lesung für die Messfeier ausgewählt haben, haben sie beim Bild vom Keltertreter immer schon an Christus gedacht. Sie kannten es aus der Theologie und aus der Kunst. Und so findet sich auch nicht zufällig unweit von hier, in Ediger-Eller an einer Kanzel das eindrucksvolle Bild vom Christus in der Kelter. Es stammt aus der Zeit um 1600 und zeigt Christus, der an der Kelterschraube steht und vom Pressbalken des Kreuzes niedergedrückt wird. Der Most, der aus der Kelter ausfließt, ist das Blut, das Christus für die Menschheit vergossen hat.
Schwestern und Brüder! Das ist das Geheimnis von Ostern: Gott ist nicht nur der, der zwischen Recht und Unrecht unterscheidet, er ist nicht nur der, der Recht spricht, sondern er ist auch derjenige, der Recht und Gerechtigkeit schafft und einen neuen Anfang möglich macht. Dies tut er nicht dadurch, dass er bloß mit seiner Macht die Gewalt bekämpft, sondern indem er zulässt, dass sich das Böse an Jesus austobt und dadurch totläuft. Am Ende siegt – gegen jeden Augenschein – die Macht der göttlichen Liebe. Deshalb hat Paulus recht, wenn er sagt: „Das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen und das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen“ (vgl. 1 Kor 1,25).
Denken wir noch einmal an den aktuellen Krieg in der Ukraine: Es ist völlig gerechtfertigt, sich gegen den Angreifer zu verteidigen, auch mit den nötigen Mitteln der Gewalt. Denn es geht darum, soweit möglich, Menschenleben zu schützen. Und es ist auch richtig, den Angegriffenen tatkräftig zu helfen. Aber schon jetzt ist klar, dass selbst dann, wenn die Waffen schweigen, der Weg zu Dialog und Frieden unendlich weit sein wird. Was hat sich schon in den letzten beiden Monaten an Trauer, an Wut und Hass aufgestaut. Alle, die an diesem Krieg beteiligt waren und ihn überlebt haben, werden daran jahrzehntelang zu tragen haben.
Liebe Schwestern und Brüder, die prophetische Bildrede von Gott, dem Keltertreter bleibt aktuell: Gott steht auf der Seite der Gerechtigkeit. Er ist kein unbeteiligter Zuschauer des Weltgeschehens. Aber zu diesem Bild tritt das Bild von Christus in der Kelter: Bei ihm verbindet sich der Einsatz für die Gerechtigkeit mit seiner Liebe. Der Keltertreter wird selber zum Getretenen. So ist er zum Erlöser geworden und eröffnet uns Menschen den Weg zu Lösungen, für die wir alleine die Kraft nicht hätten.
Sind diese Gedanken zu ernst für die Eröffnung unseres diesjährigen Bistumsfestes? Ich meine nicht. Denn wir wollen in diesen Tagen ja nicht ein harmloses Fest feiern. Wir wollen kein Fest feiern, das uns bloß für ein paar Stunden von den Realitäten unseres Lebens ablenkt, sondern wir wollen ein Fest feiern, das den Realitäten standhält! Von dieser Art sind die Feste unseres Glaubens. Von dieser Art ist Ostern. Von dieser Art ist das Fest der Tunika Christi.
Feiern wir die Heilig-Rock-Tage in diesem Sinn!