Das Leben bewusst und konsequent von Gott her denken: Dazu hat der Trierer Bischof Dr. Stephan Ackermann an Heiligabend (24. Dezember) aufgerufen. „Gott ist in diese Welt gekommen auf eine ganz neue Weise und konkret wie nie zuvor. Gott bricht mit seiner Gegenwart ein in unsere Zeit, und er nimmt diese Gegenwart nie wieder zurück. Gott ist gekommen, um zu bleiben.“
Vor einigen Wochen starteten Christinnen an der Ahr eine ungewöhnliche Aktion: Über die Medien riefen sie dazu auf, Krippen zu spenden. Denn im Zugehen auf Advent und Weihnachten sei vielen Menschen im Flutgebiet an der Ahr bewusst geworden, dass durch die Katastrophe im Sommer auch die Familienkrippe zerstört wurde oder unwiederbringlich verloren gegangen ist.
So starteten die Frauen die Initiative „Herbergssuche anders“, um Menschen im Flutgebiet eine Krippe zu schenken und so die Botschaft von Weihnachten lebendig werden zu lassen. Die Spender sollten die Krippe in einen Karton packen und diesen mit einem gut sichtbaren Foto des Inhalts versehen, damit Interessierte sich anhand des Fotos eine Krippe aussuchen konnten.
Als ich davon hörte, hat mich die Idee beeindruckt. Denn es ist klar, dass es nicht nur darum ging, irgendwelche „Ersatzkrippen“ zu beschaffen, sondern Krippen weiterzuschenken, die selbst schon eine Geschichte hatten und nun in Häusern im Gebiet der Ahr eine neue Bleibe finden konnten. Deshalb: „Herbergssuche anders“.
Wie schön, dass sich genügend Spender wie auch Empfänger für diese Aktion fanden.
Ich fand die Idee auch mutig. Schließlich verbinden sich mit Krippen auch Geschmacksfragen. Mehr noch: Krippen können das Zeugnis einer Familientradition sein oder Ausdruck der eigenen Glaubensgeschichte. Dann bekommen sie eine sehr persönliche Bedeutung. Und dann stellt eine Krippe ein Heiligtum ganz eigener Art dar, mag sie nach künstlerischen Maßstäben nicht besonders wertvoll sein.
Wer noch die alte Tradition des „Krippchen-Guckens“ nicht nur in Kirchen, sondern auch bei Verwandten und Bekannten kennt, der weiß, dass dazu eine gewisse Sensibilität und Diskretion gehört. Denn die Krippen stellen nicht nur die sachliche Botschaft von Weihnachten dar, sondern sie sagen auch viel über ihre Besitzer und deren Glauben.
Natürlich, das Aufstellen einer Krippe kann auch nur noch eine rein äußerliche Tradition bedeuten oder einfach Nostalgie: Sehnsucht nach der guten alten Zeit …
Von ihrem eigentlichen Sinn her wollen Krippen die Weihnachtsbotschaft möglichst anschaulich werden lassen. Das jedenfalls war die Absicht des hl. Franz von Assisi, der vor nun fast 800 Jahren (1223) als erster eine Art von lebendiger Krippe mit Ochs und Esel eingerichtet hat und damit zum Begründer der Krippentraditionen wurde.
Liebe Schwestern und Brüder, wer bewusst eine Krippe anschaut oder wer sich vor seinem inneren Auge das Geschehen von Bethlehem vorstellt, der schaut übrigens nicht nur zurück auf ein Damals, „als Quirinus Statthalter von Syrien war“, sondern der schaut ebenso auf unser Heute und das Morgen.
Wie oft ist in den Gebeten und Liedern der weihnachtlichen Zeit vom Heute die Rede! Es will sagen: Gott ist in diese Welt gekommen auf eine ganz neue Weise und konkret wie nie zuvor. Gott bricht mit seiner Gegenwart ein in unsere Zeit, und er nimmt diese Gegenwart nie wieder zurück. Gott ist gekommen, um zu bleiben. Seine Gegenwart steht uns jederzeit offen. Sie veraltet nicht. Sie ist immer heute.
Ist das nicht eine wichtige und frohe Botschaft gerade auch für unsere aktuelle Situation, in der es vielen Menschen schwer fällt, an die Gegenwart Gottes im Hier und Heute zu glauben. Viel zu viel scheint dagegen zu sprechen angesichts all der kleinen und großen Katastrophen, die uns Tag für Tag umtreiben und oft genug unser Lebensgefühl beherrschen.
Gerade dann kann uns ein Blick auf die Krippe helfen: In ihr ist das Kind in aller Regel der kleinste Punkt. Obwohl es der eigentliche Hoffnungspunkt des Ganzen ist, ist es klein und unscheinbar wie ein Samenkorn. So klein und unscheinbar, dass auch die meisten Menschen vor 2.000 Jahren nicht glauben mochten, dass in ihm tatsächlich „der Retter“, „der Herr“ (Lk 2,11) geboren war. Zu irritierend war die Tatsache, dass Gott so anders kommt als wir Menschen uns das gemeinhin vorstellen. Und doch: Gerade das winzige Samenkorn-Kind wird eine unbändige Kraft entfalten und die Welt für immer verändern.
Und schließlich: Der Blick auf die Krippe, der Blick auf das Geschehen von Bethlehem ist nicht nur ein Blick auf das Damals und nicht nur ein Blick auf das Heute, sondern auch ein Ausblick auf das Morgen, d. h. auf die Zukunft, die Gott uns eröffnet:
Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens, so singen die Engel. Wo Himmel und Erde zusammenkommen, wo Gott und Menschen zusammenfinden, da finden auch die Menschen selbst zueinander: Die Nahen und die Fernen, die Einfachen und die Gelehrten – Hirten, Sterndeuter, Könige …
Und das ist noch nicht alles: Denn unsere Krippen zeigen oft nicht nur Menschen in Gemeinschaft, sondern sie zeigen Menschen friedvoll eingebettet in die Natur: Ausdruck der versöhnten Schöpfung.
Manch üppige Krippenlandschaft mag uns romantisch verspielt vorkommen, aber man kann darin auch eine Verheißung und einen Auftrag sehen: Denn da, wo wir Gott Raum geben unter uns, ordnen sich die Dinge neu: unsere Beziehungen zu uns selbst, zu den Mitmenschen, zu unserer Mitwelt insgesamt.
Wie oft sprechen wir davon, dass sich die Dinge in unserer Welt endlich neu ordnen müssen: in der Politik, in der Gesellschaft, in der Kirche … Welche Orientierung und Kraft stünde uns zur Verfügung, wenn wir unser Leben nur bewusster und konsequenter von Gott her denken würden – dem Gott, den wir an Weihnachten feiern.
So ist und bleibt Weihnachten im Tiefsten ein Loblied auf das Leben. Kein leichtfüßiges Lied. Krippe und Stall sind kein plüschiges Zuhause. Weihnachten ist von seiner Botschaft her wahrhaftig kein naives Fest. Im Gegenteil: Weihnachten rechnet mit den harten Realitäten des menschlichen Lebens. Aber weil Gott in diese Realitäten eingetreten ist, erhalten sie eine neue Würde und einen neuen Glanz.
Liebe Mitchristen, ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, dass die Feier der weihnachtlichen Tage in Ihnen diese Gewissheit bestärkt – allen Widrigkeiten unserer Zeit zum Trotz!
Amen.