Schrift-Lesungen: 1 Kön 8,22-23.27-30/ Eph ,19-22/ Mt 16,13-19
Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,
liebe Ordensbrüder und Ordensdamen des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
Während der diesjährigen Fastenzeit war ich mit den Dechanten unseres Bistums und den Leitungsverantwortlichen des Bischöflichen Generalvikariates eine gute Woche lang in der Türkei unterwegs auf den Spuren des heiligen Paulus und der Frühen Kirche. Dabei haben wir auch den Ort Alahan im Hochland zwischen Tarsus und dem antiken Ikonion auf etwa 1.200 Meter Höhe besucht. Dieser Ort war in byzantinischer Zeit eine Stätte, an der Pilger Station machten auf dem Weg ins Heilige Land. Heute findet sich dort ein eindrucksvolles Ruinengelände, das sich über eine 200 Meter lange Fläche erstreckt, mit zwei Kirchen und einem Baptisterium.
Als wir mit der Gruppe die noch fast vollständig erhaltene Klosterkirche betraten, waren wir fasziniert von der Klarheit der romanischen Formen, der Stimmigkeit der Proportionen und dem Spiel der Farben, mit dem warmen Gelb der Steine und dem Blau des Himmels. Obwohl er eine Ruine ist, atmet der Bau noch viel von seiner ursprünglichen Schönheit und Größe. Unwillkürlich überkam uns ehrfürchtiges Staunen und wir wurden still. In dieses Staunen mischte sich aber mit der Zeit auch eine gewisse Trauer. Es war nicht der einzige Ort auf unserer Reise, bei dem es uns so erging. Denn es wurde uns bewusst, wie sehr dieser Ort einmal von gläubigem Leben erfüllt gewesen muss, heute aber nur noch den Anblick einer verlassenen Stätte bietet.
Unsere stille Trauer rührte wohl auch daher, weil wir daran erinnert wurden: kein Ort und kein Gebäude unseres Glaubens hat eine Ewigkeitsgarantie. Auch wenn der Herr dem Simon Petrus verspricht, dass er auf ihn die Kirche bauen wird, die die Mächte der Unterwelt nicht werden überwältigen können (Mt 16,18), so ist dies zwar eine Zusage für die Kirche als ganze, aber keine Zusage für jeden Kirchenbau dieser Welt, auch nicht für jede Ortskirche.
Nun könnten wir uns im Blick auf unseren Dom damit trösten, dass die Ursprünge dieses Domes erstens weiter zurückreichen als die Kirchenanlage von Alahan und der Dom nun schon rund 1.700 Jahre alle Wechselfälle der Geschichte überdauert hat. Nur deshalb können wir ja auch heute das Domweihfest begehen. Doch wenn wir ehrlich sind, ist das nur ein begrenzter Trost. Kann es sein, dass auch unserem schönen Dom einmal das Schicksal von Alahan blüht? Der Gedanke daran stimmt traurig und ist für uns eigentlich unvorstellbar.
Dennoch sind solche Gedanken nicht völlig abwegig. An nicht wenigen Stellen im kirchlichen Leben unseres Landes sind deutliche Zeichen des Niedergangs zu erkennen: Manche Einrichtungen und Gebäude können nicht mehr gehalten werden. Im Bistum Essen konnte ich schon eine Kirche besichtigen, die aufgegeben wurde und nun von einem Zaun umgeben ist wegen ihrer Baufälligkeit. Von Hecken umwuchert liegt sie da wie im Dornröschenschlaf …
Der jüngst vorgestellte Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung bestätigt diese Beobachtungen auf seine Weise. In 13 Ländern hat man 14.000 Menschen nach ihrer Religiosität befragt. Für Deutschland sieht der Befund so aus, dass die alten Bundesländer zwar nach wie vor durch eine Kultur der konfessionell-religiösen Anbindung gekennzeichnet sind. Das Religiöse verliert aber weiter an Bedeutung. Eine relativ hohe religiöse Vitalität sieht die Umfrage unter den Muslimen. Das wird von vielen Deutschen als bedrohlich empfunden.
Dennoch, so hält der Religionsmonitor fest, „führt das Bedrohungsgefühl kaum zu einer Intensivierung der christlichen Praxis. Es ist anzunehmen, dass die christliche Identität und Glaubenspraxis bereits so verblasst sind [!], dass sich Formen einer Selbstbehauptung dieser Identität nicht in einer verstärkten religiösen Aktivität niederschlagen, sondern mehr in einer Wertschätzung der kulturellen Bedeutung des Christentums zum Ausdruck kommen.“ Positiv bewerten die Wissenschaftler, dass die Selbstbehauptung nicht zur Abgrenzung und zur Abwehr alles Fremden führt, vielmehr dominiere trotz der Bedrohungsgefühle eine Haltung der Offenheit und Aufgeschlossenheit (Religionsmonitor. Religiosität und Zusammenhalt in Deutschland, S. 54.56 ).
Dennoch muss der Befund nachdenklich stimmen, dass wir Christen von der Vitalität einer anderen Religion nicht zu einer größeren Lebendigkeit unseres Glaubens herausgefordert werden, sondern stattdessen lediglich an der Wertschätzung der „kulturellen Bedeutung“ des Christentums festhalten. Dabei ist es doch so, dass die kulturellen Äußerungen des Christentums sekundär sind. Das Primäre, die glühende Mitte unserer Religion ist die Beziehung zu Jesus Christus. Von dort aus drängt der Glaube dann in der Tat dazu, seine Wirkung in allen Bereichen des Lebens zu entfalten: dem Bereich der persönlichen Frömmigkeit und Lebensführung, dem Bereich des Gesellschaftlich-Sozialen, der Bildung, der Kultur… Es ist wie mit einem Stein, den man ins Wasser wirft und der vom Zentrum aus seine Kreise zieht.
Eine erneuerte Kraft des Christlichen werden wir nicht durch eine bleibende Wertschätzung der kulturellen Bedeutung des Christentums gewinnen, sondern nur von der Mitte her, die das heutige Evangelium beschreibt in dem Dialog zwischen Jesus und seinen Jüngern: „Für wen haltet ihr mich? … Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ (Mt 16,15f)
Liebe Schwestern und Brüder, nun könnten Sie sagen: Warum predigt der Bischof das ausgerechnet uns? Wir sind heute am 1. Mai zur Mitfeier des Gottesdienstes hier. Wir stellen uns bewusst und erkennbar zum Glauben an Jesus Christus. Wir pflegen ein Gebetsleben als Priester, als Priesterkandidaten, als Ordensleute, als kirchliche Mitarbeiter, als Mitglieder des Ritterordens vom Heiligen Grab, als aktive Christen …
Sie haben Recht: Der großen Mehrzahl derjenigen, die heute Morgen hier sind, ist das, was ich gesagt habe, selbstverständlich. Was also ist dann unsere Aufgabe? Ich glaube, dass unsere Aufgabe darin besteht, sich nicht von der Traurigkeit überwältigen zu lassen, von der ich zu Beginn erzählt habe. Ja, Traurigkeit und Unsicherheit können einen angesichts der kirchlichen Situation überfallen. Doch sie sind eine Versuchung, der wir nicht nachgeben dürfen. Hier gilt das Wort, das Salomo in seinem Tempelweihegebet zu Gott sagt: „Siehe, selbst der Himmel und die Himmel der Himmel fassen dich nicht, wie viel weniger dieses Haus, das ich gebaut habe“ (1 Kön 8,27), und, so dürften wir hinzufügen: „wie viel weniger das kleine ‚Haus‘ meines Verstandes, der deine Wege zu verstehen sucht.“ Also, die Aufgabe heißt, der Versuchung nicht nachgeben und sich immer wieder erinnern, dass Gott größer ist als alles, auch als unser kleiner Verstand und unser kleines Herz (vgl. 1 Joh 3,20). Und: Ist Gott nicht der, der davon spricht, dass die Kirche seine Kirche ist?: „Petrus, auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“, sagt der Herr.
Liebe Schwestern und Brüder, in den letzten Jahren hat mir immer wieder ein Wort des von den Nazis ermordeten Jesuitenpaters Alfred Delp geholfen, und ich habe es auch schon öfter weitergegeben. Pater Delp sagt in einer Auslegung der Pfingstsequenz, also des Gebetes, das in besonders intensiver Weise um das Kommen des Geistes Gottes bittet: „Gott hat viele seiner Verheißungen an das Vertrauen gebunden, das Menschen ihm entgegenbringen. … Man muss sich in jedem Fall in die Verfassung bringen, dass die Dinge nicht daran scheitern, dass wir sie Gott nicht zugetraut haben.“
Wenn wir uns um eine solch gläubige und hoffnungsvolle Geistesverfassung bemühen, dann wird der Dom nicht bloß als Gebäude Bestand haben, sondern er wird auch von einer Lebendigkeit erfüllt sein, die dazu berechtigt, immer wieder voller Dankbarkeit das Domweihfest zu begehen. Amen.