Schriftlesungen: 1 Joh 3,11-18 / Mt 10,7-13
Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
liebe Familienangehörige unserer Weihekandidaten,
liebe Weihekandidaten selbst!
Wie wäre das, wenn ich Sie von hier aus mit denselben Worten ins Bistum senden könnte, mit denen Jesus seine Jünger gesandt hat in die Dörfer, in die sie gehen sollten: Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe. Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein. Treibt Dämonen aus (Mt 10,7f). Heute Morgen im Dom werden Sie es von mir nicht so vollmundig hören. Deshalb sagen übrigens nicht wenige Menschen heutzutage: »Das ist es ja, daran sieht man, dass in der Kirche die Kraft des Anfangs erlahmt ist. Würden heute noch die Wunder von damals geschehen, dann wäre es viel einfacher zu glauben. Aber die, die heute den Namen Jesu tragen, die Seelsorger und Seelsorgerinnen, sind oft so kraftlose Typen ... Ab und zu mag vielleicht ein Wunder geschehen auf die Fürsprache eines Heiligen. Doch da muss man schon riesiges Glück haben.« Die Kraft des Anfangs, sie ist irgendwie abhanden gekommen ...
Doch: Ist das wirklich so, liebe Schwestern und Brüder? Ist die Kraft des Anfangs erlahmt? Gilt das, was Jesus im Evangelium sagt, heute nicht mehr? Ich meine nein. Das heißt: Das, was Jesus sagt, das gilt bis heute. Kranke zu heilen, ist ein Auftrag, den die Christen von Anfang an für sich gehört und übernommen haben. Christen wandten sich von Anfang an den Kranken, den Hilfsbedürftigen, den Schwachen zu. Christen haben sich durch die Zeiten hindurch engagiert in der Pflege von Kranken und Sterbenden. Christen sind in starkem Maß engagiert im Gesundheitswesen bis heute. Es waren auch Christen, die mitgeholfen haben, Heilmethoden zu entwickeln, an denen Generationen vorher Menschen noch gestorben wären. All das ist christlicher Einsatz, und das gilt bis heute. Freilich, wer tagtäglich spektakuläre Wunder erwartet, der wird enttäuscht. Aber hat Jesus uns denn spektakuläre Wunder versprochen? Steckt das drin in diesem Auftrag »Heilt die Kranken?« Heilung der Kranken geschieht auch mit den Mitteln, die uns geschenkt sind als Menschen. Auch unser Verstand und unser Herz, die sich nicht damit zufrieden geben, dass Menschen erkranken, dass es Leid und Tod gibt. Auch sie sind von Gott geschenkt. Wir sollen Herz und Verstand einsetzen zur Heilung von Kranken. Christen tun dies.
Ähnliches gilt auch, wenn Jesus sagt: Macht die Aussätzigen rein. Dieses Wort Jesu weist uns darauf hin, dass Heilung sehr oft eine Dimension hat, die über das rein Körperliche hinausgeht. Das Grausame für die Aussätzigen jener Zeit bestand ja über ihre Krankheit hinaus darin, dass sie wegen der Ansteckungsgefahr ausgegrenzt wurden. Sie wurden ausgestoßen aus der Gesellschaft, standen unter Quarantäne, starben den sozialen Tod, bevor sie tot waren. Macht Aussätzige rein!, heißt: »Holt die, die am Rand stehen; die, die ausgegrenzt sind aus der Gesellschaft, wieder hinein in die Mitte.« Auch dieses Wort gilt heute. Und auch das andere Wort: Treibt Dämonen aus, d. h.: »Schaut auf Menschen, die gefesselt sind.« Wie viele sind heute gefesselt, sind seelisch krank, sind gefangen in sich, sind besetzt von all dem, was sie umgibt. Wie viele sind gefangen im Leistungsdruck, der sie regelrecht krank macht. Treibt Dämonen aus, heißt: Wir Christen sollen hinschauen, wo Menschen krank werden, innerlich krank. Wir sollen hinschauen, wo Ungeist herrscht, der Menschen gegeneinander auftreibt; sollen dort hinschauen, wo das Böse sich ausbreitet und sollen uns dagegen stellen.
Liebe Weihekandidaten, liebe Schwestern und Brüder! Sie spüren, das, was Jesus sagt, gilt als Auftrag auch heute. Nicht nur, weil auch heute Menschen leiden, sondern weil Jesus uns auch die Mittel gibt, seinen Auftrag auszuführen. Freilich, noch einmal sei es gesagt: Dies geschieht nicht immer sensationell und aufsehenerregend. Doch das hat Jesus auch nicht versprochen. Trotzdem sollen wir wirksam in seinem Auftrag arbeiten. Und damit ist eigentlich schon der Dienst des Diakons umrissen: Der Diakon (aber ebenso der Priester und der Bischof) soll kein Guru sein, der die Menschen durch spektakuläre Aktionen an sich und an irgendwelche geheimnisvollen Kräfte bindet. Vielmehr soll er im Auftrag Jesu und mit den Kräften, die ihm zur Verfügung stehen, den Menschen helfen. Und: Mit den Mitteln, die wir haben, sollen wir immer auch auf den verweisen, der unendlich mehr bewirken kann, als wir uns ersehnen oder ausdenken können. Mit unseren kleinen Kräften sollen wir hinweisen auf die je größere Kraft und Macht Gottes.
Damit sind wir bei dem zweiten Auftrag, den Jesus seinen Jüngern gibt, wenn er sagt: Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben (Mt 10,8). So sehr natürlich eine solide Ausbildung für den kirchlich-pastoralen Dienst notwendig ist - und gerade von unseren Kandidaten ja oft auch unter Entbehrungen absolviert worden ist, weil das Ganze berufsbegleitend ging -, so sehr ist doch das, was heute Morgen geschieht, nicht einfach die Belohnung der Mühen und Entbehrungen, der Vorbereitungszeit im Fernkurs und im Bewerberkreis. Nein, Weihe ist nicht eine besonders feierliche Form der Zeugnisübergabe, sondern Weihe ist Geschenk, ist Gabe. Das Eigentliche tut Jesus Christus selbst. Insofern gilt: Umsonst habt ihr empfangen. Das ist die Haltung, aus der heraus wir unseren Dienst gestalten sollen.
Der Herr beschenkt uns mit seiner Gabe. Wir sollen uns dafür disponieren, sie in offener und bewusster Weise zu empfangen. Dazu ist die Vorbereitung wichtig, aber das Entscheidende tut er. Von hierher verstehe ich, liebe Mitbrüder, auch den Weihespruch, den Sie sich aus dem 1. Johannesbrief gewählt haben. Wir wollen nicht in Wort und Zunge lieben, sagt der Apostel und Evangelist, sondern in Tat und Wahrheit (1 Joh 3,18). Mit dem Blick auf die Liebe wird der Blick gerichtet auf den eigentlichen Antrieb des christlichen Zeugnisses. Die Liebe ist aber das, was wir uns nicht kaufen können. Wir können sie, wenn wir sie empfangen, nur umsonst geschenkt bekommen. Die Liebe ist aber auch das, was uns keiner abkaufen kann, sondern was wir nur aus freiem Herzen und Hingabe mit anderen teilen. Wir sollen teilen und wir sollen es konkret tun, nicht in Wort und Zunge, sondern in der Tat, und -, so sagt der 1. Johannesbrief, in der Wahrheit. Denn zur Liebe, zum Einsatz aus Liebe, gehört auch Wahrhaftigkeit, d. h. der Blick auf die Wirklichkeit, gehört die Bereitschaft hinzuschauen, der Realität nicht auszuweichen. Eine weinerliche Liebe, die es vielleicht gut meint, aber die Wahrheit zudeckt, ist keine wirkliche Liebe.
Insofern kommt ein Zweites hinzu. Denn der Blick auf die Wahrheit heißt auch, die Tatsache in den Blick zu nehmen, dass manches Mal unser Einsatz keinen Widerhall findet, dass er vergeblich bleibt. Das ist die zweite Bedeutung von »umsonst«. In dem, was Jesus sagt, in diesem Umsonst, gibt es mindestens zwei Bedeutungen: Da ist das gratis Gegebene, das Geschenk. Das ist aber auch die Vergeblichkeit. Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben. Liebe Mitbrüder, Sie haben das schon erfahren. Sie wissen um die beiden Bedeutungen des Umsonst. Sie werden aber im Dienst noch öfter spüren, dass es die Erfahrung der Vergeblichkeit gibt, dass manches Wort verhallt, dass mancher Einsatz, den wir leisten, ins Leere läuft, manche Liebestat ohne Dank bleibt. Doch gerade die Osterzeit, in der wir stehen, will uns ja in dem Glauben stärken, dass da, wo alles vergeblich scheint - so vergeblich, wie der Einsatz Jesu Christi selbst -, wo alles scheitert, wo keine Wirkung ist, wo es nur ins Dunkel geht, von Gott her nicht das letzte Wort gesprochen ist.
Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben: Am Weihetag hören wir aus diesem Satz Jesu eher das Geschenk heraus. Im Alltag hören wir oft das andere Umsonst: das Frustra, das Vergebliche. Doch dann, wenn es uns drückt, dürfen wir denken an Jesus selbst, der bis heute zu kämpfen hat mit unserem Undank und mit unserem Unverständnis. Wir dürfen uns selbst daran erinnern lassen, dass wir umsonst empfangen haben von dem, der nicht kleinlich berechnet, ob wir das auch wert sind, was er uns schenkt, sondern der ohne Vorleistung gibt und in dessen Nachfolge wir genauso handeln sollen: nicht kleinlich berechnend, sondern großzügig. Damit ist nicht gemeint, dass wir uns blind und naiv einsetzen sollen. Es geht nicht darum, unreflektiert aktivistisch zu sein. Es geht darum, nicht kleinlich zu sein, wie Menschen, die zuerst und vor allem und immer auf die Wirkung dessen schauen, was sie tun.
Liebe Mitbrüder, liebe Schwestern und Brüder! Lassen Sie uns zum Schluss noch einen Blick werfen auf den Heiligen des heutigen Tages: den heiligen Barnabas. Er ist unter den Heiligen nicht so bekannt, obwohl er den Titel Apostel trägt. Barnabas, dessen Gedenktag auch das Evangelium, das wir gehört haben, entnommen ist, ist eine sehr interessante Persönlichkeit der frühen Kirche. Er trägt den Titel Apostel, obwohl er gar nicht zum engen Kreis der Zwölf dazugehört hat. Barnabas war ein Levit, ein Jude aus dem griechisch sprechenden Raum. Er stammte aus Zypern und ging nach Jerusalem. Dort gehört er zu den ersten, die sich dem jungen Christentum anschlossen und ihren Besitz mit den Aposteln und der Jerusalemer Gemeinde teilten. Die Apostelgeschichte berichtet, dass Barnabas einen Acker einbrachte, gewissermaßen als Kapital für die frühe Kirche (Apg 4,37). Und dann wurde Barnabas derjenige, der den frisch bekehrten Paulus in die Gemeinde eingeführt hat. Das war nötig, denn die Gemeinde war ängstlich und hielt sich Paulus gegenüber zunächst auf Distanz. Man kannte Paulus schließlich nur als fanatischen Verfolger. Barnabas wurde für Paulus zu einer Art Paten. Schließlich hat er ihn in Antiochia, an dem Ort, wo man die Gläubigen zum ersten Mal Christen nannte, zur Mitarbeit in die Gemeinde eingeladen. Dort half Paulus dem Barnabas bei der Missionstätigkeit. Antiochia war damals eine Stadt mit vielen verschiedenen Volksgruppen. Vielleicht hat Paulus gerade dort seine Berufung zum Völkerapostel entdeckt. Mit Barnabas ging er dann zusammen auf Missionsreise; auf die Reise, die wir als die erste Missionsreise des Paulus kennen. Eigentlich war sie aber die Missionsreise des Barnabas. Denn er war verantwortlich und Paulus ging mit. Danach trennen sich die Wege von Paulus und Barnabas, wohl auch wegen eines Konflikts, und Barnabas verschwindet aus der Apostelgeschichte. Wir hören fortan nur noch von Paulus. Er tritt ins Rampenlicht, wird der eigentliche Apostel für die Heiden. Barnabas wandert sozusagen in die Unsichtbarkeit. Aber seine Wirkung ist da. Ohne ihn wäre Paulus sicher nicht zu dem geworden, als den wir ihn kennen.
Mir zeigt das Zeugnis des Barnabas, dass er nicht nur apostolisch gewirkt hat, sondern auch diakonisch. Dass er jemand war, der sich auch zurücknehmen konnte, jemand, der ab einem bestimmten Punkt Paulus den Vortritt ließ. Insofern ist Barnabas ein guter Tagesheiliger für die Weihe von Diakonen. Uns alle aber kann das Beispiel des Barnabas heute Morgen anregen, in besonderer Weise dankbar der Menschen zu gedenken, die für uns Barnabasfiguren gewesen sind: die uns - und damit meine ich nicht nur die acht Weihekandidaten, sondern uns alle - geholfen haben, in den Glauben hineinzuwachsen. Wir wollen dankbar auch der Menschen gedenken, die uns geholfen haben, die Berufung zu finden. Dabei denke ich jetzt an unsere acht Mitbrüder. Aus unseren Gesprächen mit den Bewerbern weiß ich, dass es nicht selten die Ehefrauen der Diakone sind, die die Barnabasfiguren darstellen und mithelfen, die Berufung ihrer Männer zu erkennen und zu verstärken. Wir wollen all derjenigen am Tag des heiligen Barnabas gedenken. Wir wollen dafür danken, und wir wollen in uns selbst diese Barnabashaltung bestärken. Denn darauf kommt es an, dass durch unseren Dienst, durch unser Zeugnis, durch Ihr Zeugnis, liebe Diakonandi, Menschen für Christus gewonnen werden und Aufnahme finden im Raum der Kirche, so wie Paulus durch Barnabas vom Rand in die Mitte der Kirche geführt worden ist. Denn es bleibt wahr: Wir sollen nicht nur in Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit. Amen.