„In Wahrheit ist es würdig und recht“, dass wir mit dem Hochfest des heiligen Emidius auch das Jubiläum unserer Partnerschaft feiern. Denn ohne diesen heiligen Glaubenszeugen und Märtyrer gäbe es die Partnerschaft zwischen unseren beiden Städten Ascoli und Trier so nicht. Wie gut, dass man sich vor 60 Jahren an diesen Heiligen erinnert hat, um ein Band der Freundschaft zwischen den beiden Städten zu knüpfen! 60 Jahre Partnerschaft: Das bedeutet 60 Jahre Mut, Neues kennen zu lernen, 60 Jahre Engagement und Einsatz, 60 Jahre Treue. Dank an alle, die sich in diesem Sinn seit Jahren oder Jahrzehnten schon für unsere Partnerschaft einsetzen!
Eine Partnerschaft, eine Gemeinschaft will gelebt und gepflegt werden. Sie funktioniert nicht einfach von alleine. Das sehen wir aktuell an der Europäischen Gemeinschaft, die so etwas ist wie der größere Rahmen unserer Partnerschaft. Die Europäische Gemeinschaft erlebt, wie wir wissen, derzeit eine starke Belastungsprobe, angefangen von der Wirtschaftskrise vor zehn Jahren über die Entscheidung des Brexit bis hin zum großen Thema der Flüchtlinge. Deutlicher noch als in der Finanzkrise zeigt sich bei den Menschen, die bei uns Schutz und Aufnahme suchen: Hier geht es nicht bloß um Zahlen, nicht um eine anonyme Masse, sondern um menschliche Wesen, konkrete Personen mit ihren Ängsten, ihren Hoffnungen und Gefühlen, ihren persönlichen Geschichten … Das Thema der Flüchtlinge beherrscht die Nachrichten in Italien ebenso wie in Deutschland. Dadurch steht der innere Kern, die Seele Europas, auf dem Prüfstand. Gilt noch das, was die Gründerväter der europäischen Gemeinschaft, Alcide de Gasperi, Robert Schuman und Konrad Adenauer bewegt hat? Sie fühlten sich gerade auch als Christen in die Verantwortung gerufen.
Sind wir Europäer heute wirklich eine Gemeinschaft, die gemeinsame Werte teilt und Solidarität praktiziert mit anderen und untereinander? Dann ist klar, dass auch Belastungen solidarisch geteilt werden müssen. Es kann nicht sein, dass die Länder, die die Last der Außengrenzen haben, mit dieser Last alleingelassen werden. Aber ebenso darf es nicht sein, dass Menschen, die für sich und ihre Familien eine menschliche Zukunft suchen, zur Geisel der nationalen und internationalen Politik, von kriminellen Schlepperbanden und unseres Wohlstands werden.
Die biblischen Lesungen des Hochfestes sind ernst. Sie singen kein leichtes Lied, im Gegenteil: Sie sprechen von Katastrophen und Schrecken, die Menschen, auch Gläubige überfallen. Will die Bibel uns damit Angst machen? Will sie uns drohen, um uns die Gottesfurcht zu lehren? Nein. Eigentlich spricht die Bibel nur von dem, was wir Tag um Tag an Schlimmem in den Nachrichten hören: Wir hören von Kriegen, von Aufständen und Unruhen, von Seuchen und Hungersnöten und Erdbeben … Deshalb heißt für mich die erste Botschaft des Evangeliums-Abschnitts von heute: Der Glaube – und damit Jesus selbst – schaut den Realitäten ins Auge. Das Evangelium ist keine Erzählung bloß für schöne Tage unter blauem Himmel, ist keine Botschaft nur für glückliche Stunden. Das Evangelium ist Botschaft für alle Situationen des Lebens. Es deckt die dunklen Seiten, den Schmerz und den Zweifel nicht zu.
Für viele Menschen Ihrer Region ist das, wovon die Bibel spricht, nicht bloß ein Bild geblieben, sondern schreckliche Realität geworden durch das Erdbeben, das diese Region getroffen hat. Menschen haben nicht nur ihre Häuser und ihre Lebensgrundlage verloren, sondern sogar das Leben selbst. Viele Familien sind betroffen, haben mit den Folgen bis heute zu kämpfen, schauen in eine unsichere Zukunft.
Liebe Schwestern und Brüder, die biblischen Lesungen vom Fest des heiligen Emidius sind ernst. Für mich ist das kein schlechtes, sondern ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass die Heilige Schrift weiß, welchen Schrecken und Gefahren unser Leben ausgesetzt ist. Sie schweigt nicht darüber, sondern nennt sie beim Namen. Das Evangelium weiß sehr gut, womit wir Menschen tagtäglich zu kämpfen haben. Es stimmt, wenn der Evangelist Johannes einmal von Jesus sagt, dass „er wusste, was im Menschen ist“ (Joh 2,25).
Aber ebenso wichtig ist, dass das Evangelium nicht nur offene Augen für die Wirklichkeiten des Lebens hat, sondern dass es uns den größeren Horizont Gottes zeigt: Die gute Botschaft des Evangeliums lautet: Was auch geschieht – mag es schön sein oder schrecklich, leicht oder schwer: In allem gehen wir auf Gott zu. Er kommt uns durch alle Umstände unseres Lebens entgegen. Er ist Anfang und Ende unseres Lebens, Beginn und Ziel. Dafür will das Evangelium uns die Augen öffnen. Es lädt uns ein, daran zu glauben. Der Apostel Paulus hat das getan. Deshalb kann er in seinem Brief an die Römer die erstaunlichen Sätze schreiben: „Wir rühmen uns auch unserer Bedrängnis; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung.“ (Röm 5,3f)
Allein können wir das nicht. Allein bringen wir diese Kraft nicht auf. Wir brauchen auf dem Weg unseres Lebens und unseres Glaubens Gefährten und Freunde. Wir brauchen die Gemeinschaft der Kirche, der lokalen Kirche vor Ort und der weltweiten Kirche, die uns verbindet über alle Grenzen von Nation, Sprache und Kultur hinweg. Allein können wir nicht glauben. Wir brauchen den Lebensreichtum unserer Schwestern und Brüder: ihre Erfahrungen, ihre Fragen, ihren Mut, ihr Glaubenszeugnis …
Wir danken für das Glaubenszeugnis und den Mut derjenigen, die uns im Glauben vorangegangen sind. Dazu zählen besonders die Heiligen wie der heilige Emidius. Sie haben Standhaftigkeit gezeigt und dadurch das Leben gewonnen. Deshalb dürfen wir das, was die Stadt Ascoli im Hymnus vom heiligen Emidius erbittet, (ein wenig abgeändert) auch im Namen der ganzen Kirche singen:
O Emidius,
beschütze deine Kirche,
die allezeit auf dich vertraut!
Vom Himmel her sei ihr gnädig
der König der Könige.