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Ein Zeichen sagt mehr als tausend Worte

Jesus am Kreuz - im Niemandsland

Predigt von Bischof Stephan Ackermann im Karfreitags-Gottesdienst
am 25. März 2016 im Trierer Dom

Liebe Schwestern und Brüder!

Vor kurzem ist im saarländischen Teil unseres Bistums wieder einmal die Diskussion darüber aufgeflammt, welchen Platz das Kreuz im öffentlichen Raum unseres Gemeinwesens haben darf. Die Diskussion ist umso erhitzter, wenn es um offizielle, um amtliche Räume geht. So war es auch diesmal wieder: Der Präsident des Amtsgerichts in Saarbrücken hat verfügt, dass in keinem Saal mehr ein Kreuz hängen darf. Er hat dies begründet mit dem Hinweis, dass im Gericht nicht im Namen Gottes Recht gesprochen wird, sondern in einer anderen Autorität.

Damit hat er zweifellos Recht. In unseren Gerichten wird Recht gesprochen im Namen des Volkes auf der Grundlage der Verfassung und der entsprechenden Gesetzgebung. Aber es wäre ja auch ein grobes Missverständnis, aus der Präsenz eines Kreuzes in einem Gerichtssaal zu schließen, dass diejenigen, die dort Recht sprechen, dies mit göttlicher Autorität tun. Dies wäre eine maßlose Überschätzung des Gerichts.

Nein, im Gegenteil: Der Hinweis auf Gott im Grundgesetz und das Symbol des Kreuzes wollen gerade deutlich machen, dass wir nicht Gott, nicht die Herren dieser Welt sind. Deshalb ist ja gerade von der „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ die Rede. Alle, denen in unserem Gemeinwesen Vollmacht übertragen wird, haben sich in der Ausübung dieser Macht zu verantworten, natürlich zunächst vor denen, die ihnen diese Macht übertragen haben, den Bürgerinnen und Bürgern. Aber es ist auch gut, daran zu erinnern, dass wir allesamt in einem noch größeren Verantwortungszusammenhang stehen, der im Grundgesetz mit dem Namen Gott bezeichnet wird. Das sinnenfällige Symbol für Gott ist in Europa – natürlich geprägt durch unsere Glaubens- und Geistesgeschichte – zuerst und vor allem das Kreuz. Es sagt mehr als tausend Worte.

Das Kreuz: mehr als ein Firmenzeichen

Damit ist aber auch klar, dass das Kreuz nicht ein Besitz der christlichen Kirchen ist. Sie haben kein Copyright darauf. Das Kreuz steht für viel mehr als für die Kirchen. Was mich an den Diskussionen um das Kreuz stört, ist die Tatsache, dass oft so getan wird, als ob das Kreuz so etwas sei wie das Firmenzeichen der Kirche und damit so etwas wie die Visitenkarte, die eine bestimmte Lobbygruppe unberechtigterweise hinterlassen hätte. Wäre das Kreuz so etwas wie das Zeichen einer Lobbygruppe, dann würde es wahrhaftig nicht in offizielle Räume unseres Gemeinwesens hineingehören. Aber das Zeichen des Kreuzes ist eben unendlich mehr: Ja, es steht für Gott, es erinnert uns an ihn, aber es steht eben auch für den Menschen – Ecce Homo – und auch gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir das Kreuz nicht aus unserem öffentlichen Blickfeld verbannen.

Ein Mensch für die Vielen

Was das heißt, liebe Schwestern und Brüder, darüber möchte ich mit Ihnen in diesem Gottesdienst zwischen dem Hören der Passion und unserer Verehrung des Kreuzes ein wenig nachdenken. Wenn wir auf das Kreuz schauen, dann schauen wir natürlich zuerst auf das Kreuz Jesu Christi. Es ist sein Kreuz, sein Leben, sein Sterben und sein Tod, die wir in den Blick nehmen. Das Kreuz erinnert uns an das qualvolle Sterben und den Tod dieses konkreten Menschen der Geschichte: Jesus von Nazaret, in Jerusalem zum Tod verurteilt und gekreuzigt unter dem Prokurator Pontius Pilatus. Immer wieder aber hat Jesus die Menschen wissen lassen, dass er sein Leben nicht als eine Privatsache verstanden hat, sondern als ein Leben, das ganz im Dienst der anderen gestanden hat: im Dienst Gottes und der Menschen. Jesus hat sich zum Knecht für die Vielen gemacht, den der Prophet Jesaja besingt (Jes 53,11).
Jesus ist der Eine, der für alle da ist. Das berechtigt uns, in ihm nicht nur das eine konkrete Individuum zu sehen, sondern in ihm das Bild des Menschen insgesamt zu erblicken. So verstehen wir die Aussage des Pilatus, der – als er der wütenden Menge Jesus vorführt – sagt: „Seht, da ist der Mensch!“ Natürlich, einerseits ist es der konkrete Mensch Jesus, der den Menschen gezeigt wird, andererseits steht der eine für die Vielen.

… verbunden mit allen Menschen

Und so ist es auch am Kreuz: Im Gekreuzigten verbindet sich das Geschick des einen Menschen Jesus von Nazaret mit dem Geschick aller Menschen. Denn worin sind wir Menschen uns einander näher als in unserer als in unserer Zerbrechlichkeit und in unserem Angewiesen-Sein auf andere?! Es sind nicht unsere Begabungen, die großen Leistungen, das Herausragende, das uns miteinander verbindet – hierin sind wir sehr unterschiedlich; es ist die nackte Existenz, die uns gemeinsam ist. Insofern steht der Gekreuzigte mehr als jeder andere für die Menschheit und für Menschlichkeit.

  • So dürfen wir im Gekreuzigten den Durst des Menschen nach Gerechtigkeit sehen; die Hoffnung darauf, dass das Unrecht nicht siegt, sondern ein Ende hat. Rein menschlich betrachtet ist Jesus ein Opfer ungerechter Rechtsprechung geworden, das Opfer von Machtinteressen, von Seilschaften und eines Richters, der sich hat korrumpieren lassen.
    Auch insofern wäre das Kreuz ein wichtiges Symbol in unseren Gerichten: Es ist Mahnung und Hoffnung darauf, dass Menschen wirklich zu ihrem Recht kommen, dass dem geholfen wird, der Unrecht erlitten hat! Und wie viele Menschen unserer Zeit hoffen auf Recht und haben oft keinen Helfer.
  • Der Gekreuzigte ist im doppelten Sinn ein Ausgestoßener: Nicht nur, dass man ihn auf seinem Kreuzweg aus der Stadt hinaus treibt und damit aus der Gemeinschaft der Menschen verstößt. Nein, im Aufrichten des Kreuzes wird der Gekreuzigte gewissermaßen sogar von der Erde weggestoßen. Man will ihn hier nicht mehr haben. „Weg von uns!“ – Jesus am Kreuz, zwischen Himmel und Erde, im Niemandsland …
    Wir brauchen nicht viel Fantasie, um vor unserem inneren Auge die Menschen zu sehen, auf die das heute zutrifft. Denken wir nur an die Männer, Frauen, Kinder, Kranke und Behinderte an der griechisch-mazedonischen Grenze, die keiner haben will … All die Kriegsflüchtlinge als Spielball zwischen den Mächten. Aber wir brauchen so weit nicht zu gehen, können denken an diejenigen, die nicht wissen, ob sie bei uns bleiben dürfen oder gehen müssen.
  • Schauen wir noch einmal auf den Mann am Kreuz: Er ist nicht nur der, der zwischen Himmel und Erde hängt, sondern er ist auch derjenige, der sich auf diese Situation hat festnageln lassen. Jesus ist nicht irgendwie in diese Situation hineingerutscht, sondern ihm war bewusst, auf was er sich einlässt. Er ist mit freiem Willen auf diese, auf seine „Stunde“ zugegangen.
    Dass er sich festnageln lässt, ist Zeichen seiner Treue zu uns und zugleich Zeichen der Solidarität mit all den Menschen, die sich in ihrer persönlichen Situation festgenagelt empfinden, ob freiwillig oder nicht: Ich bin festgenagelt auf ein Milieu, aus dem ich nicht herauskomme; festgenagelt auf eine Entscheidung, die nicht mehr rückgängig zu machen ist; festgenagelt auf einen Menschen meiner Umgebung; festgenagelt an eine Krankheit, die ich nicht los werde; festgenagelt aber vielleicht auch auf Vorstellungen, Bilder, Vorurteile, aus denen ich mich nicht befreien kann …

Ein Mensch? Gott, der sich festnageln lässt

Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir das Kreuz und den Gekreuzigten so anschauen, dann sehen wir ein zutiefst menschliches Bild. Wir sehen den Menschen in seiner Zerbrechlichkeit und Erbärmlichkeit, aber auch in seiner Würde und Größe. Denn wir dürfen in dem Gekreuzigten nicht nur den Menschen sehen, der schicksalhaft dem Leid unterworfen ist, sondern auch denjenigen, der sich bewusst für die anderen einsetzt, der sich in diesem Sinn festnageln lässt, der es aushält, um der anderen willen von Menschen ausgegrenzt, belächelt oder gar beschimpft zu werden …

Am Ende aber, und das ist der Grund unserer Hoffnung, sehen wir als Christen im Gekreuzigten mehr als einen Menschen. Wir erkennen in ihm Gott selbst, der aus Liebe zu uns Mensch geworden ist, in allem uns gleich wurde und sich für uns hingegeben hat. Das Kreuz – wo auch immer es aufgerichtet wird oder hängt – so zu sehen, dazu können wir niemanden zwingen, und wir wollen es auch nicht, aber wir können es allen bezeugen. Das wollen wir auch in dieser Stunde wieder tun. Amen.

Weiteres:

Karfreitag 2016

in der Predigt