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Predigt am Karfreitag 2017 - im Trierer Dom

Karfreitag: Beweis für die Realitäts-Tauglichkeit des Glaubens

Liebe Schwestern und Brüder!

Wenn wir die Geschichte des Leidens Jesu hören und auf sein Kreuz schauen, dann können wir das nie tun im bloßen Blick zurück, auf das Damals. Unwillkürlich kommen uns die Bilder und Schicksale von Menschen in den Sinn, die heute leiden und ein schweres Kreuz zu tragen haben. Die Verbindung von Damals und Heute entspricht ganz dem Selbstverständnis Jesu, der sein Leiden und seinen Tod als einen Akt tiefster Solidarität mit uns Menschen verstanden hat. Insofern ist es nicht abwegig, dass sich in den Blick auf den Gekreuzigten die Bilder der Leiden unserer Zeit mischen.

Wie viele Bilder des Leidens sehen wir tagtäglich! In der digitalen Welt werden uns nahezu in Echtzeit Bilder und Informationen über Kriege, Unglücke und Katastrophen rund um den Globus geliefert. Und es reißt nicht ab:

  • Zwar fallen in Aleppo keine Bomben mehr, aber das Leben dort bedeutet immer noch die Hölle, so sagen Augenzeugen; und der Giftgasangriff auf den Ort 100 km südlich bedeutet einen neuen grausamen Höhepunkt.
  • Aus Mossul, wo die Terrororganisation des IS zurückgedrängt zu sein schien, wurden vor kurzem hunderte tote Zivilisten gemeldet und zehntausende Menschen aus der Region mussten fliehen, um sich vor Bombardements in Sicherheit zu bringen.
  • Im Jemen spitzt sich besonders die Lage für die Kinder zu: UNICEF hat die verfeindeten Parteien dazu aufgerufen, wenigstens die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern zu ermöglichen.
  • Schon kommt die nächste Katastrophe in den Blick: die Hungerkrise am Horn von Afrika [d.h. im Südsudan, in Kenia, Somalia, Äthiopien, Uganda], von der mehr als 20 Millionen Menschen betroffen sind;
  • dazu die immer neuen Terrorattacken und Naturkatastrophen weltweit und auch bei uns

All das hören wir, es bewegt uns, aber – so habe ich den Eindruck – es überfordert uns zugleich: die einfachen Bürger, aber auch die politisch Verantwortlichen. Denn hinzu kommen ja noch die Schwierigkeiten, die jeder Mensch im eigenen Leben erfährt, die kleinen und großen persönlichen Katastrophen in der Familie, im Bekanntenkreis… So stehen wir in der Gefahr abzustumpfen: Es flimmern die Bilder, es laufen die Breaking News, aber wir lassen sie irgendwie an uns vorbeiziehen. Kein Wunder auch, dass Menschen sich auf sich selbst zurückziehen und sagen: „Ich muss mich um mein eigenes Leben kümmern. Damit habe ich genug zu tun.“

Karfreitag konfrontiert mit dem Abgrund

Der Gottesdienst am Karfreitag konfrontiert uns auf seine Weise mit der ganzen Abgründigkeit und dem Schmerz menschlichen Lebens: Da wird ein unschuldiges junges Leben verraten und verkauft, gefoltert und sinnlos umgebracht. Und auch wenn die Erinnerung an das, was damals in Jerusalem geschah, durch Riten, Gebete und Gesänge in eine liturgische Form gebracht ist, so hat es doch gerade dadurch wieder eine eigene Wucht.

Das Leiden feiern?

„Muss denn ein derartiges Gedenken überhaupt sein?“, könnte man fragen. Wir wissen doch, dass der Karfreitag nicht die Endstation ist, sondern dass das Geschick Jesu am Ende einen guten Ausgang nimmt. Warum überspringen wir eigentlich nicht den Karfreitag und gehen direkt zum Osterfest über? Wäre das nicht wohltuender? Seit der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes begehen wir ja auch nicht mehr wie früher den 17. Juni als Feiertag, der ja vor allem ein schmerzlicher Gedenktag an den gescheiterten Volksaufstand in der DDR war, sondern den freudigen 3. Oktober.

Glaube ist mehr als Betäubungsmittel

Hat die Feier des Karfreitags mit einer Schmerzverliebtheit der Christen zu tun? Nein, natürlich nicht. Der Karfreitag will nicht unser Leben beschweren, will uns nicht im Weltschmerz bestärken, vielmehr ist er ein Beweis für die Realitätstauglichkeit unseres Glaubens. Denn auch wenn Christus schon sein Ostern erlebt hat und ihm sein österliches Leben nie mehr entrissen werden kann, so steht die Welt doch immer noch in der Spannung zwischen Karfreitag und Ostern. Würden wir bloß das Osterhalleluja singen, keine Passionslieder, dann hätten die Kritiker Recht, die den Glauben für ein Betäubungsmittel halten, das den Schmerz verdrängt um den Preis der Vernebelung.

Ein Hoffnungstag eigener Art

Nein, der Karfreitag ist trotz allem Schmerz ein Hoffnungstag ganz eigener Art, nicht jubelnd, sondern verhalten. Wie ist das zu verstehen?

  1. Zunächst einmal ist der Karfreitag ein Bekenntnis zur unverlierbaren Würde des Menschen – noch in der Erniedrigung, im Leid, im Schmerz, in der Nacktheit, in der Hilflosigkeit (vgl. Jes 53,2ff). Denn es ist ja in Jesus Gott selbst, der sich dieser Situation ausliefert, der dieser Situation nicht ausweicht, sich nicht zu schade ist, in diesen Abgrund hinabzusteigen. So kommt Gott selbst dem Menschen zu Hilfe, macht sich zum Garanten seiner Würde – trotz allem.
  2. Darüber hinaus beweist uns der Gekreuzigte, dass wir an einen Gott glauben, der nicht abgehoben in der Höhe thront und zu dem wir uns ausstrecken, sondern einen Gott, der wirklich weiß, was menschliches Leben bedeutet, was im Menschen ist (vgl. Joh 2,25). Das wird nirgend wann deutlicher als am Karfreitag. Jesus, dessen größter Schatz seine innige Verbindung zu Gott, seinem Vater ist, verliert am Kreuz den Überblick: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ In einer etwas gewagten Formulierung könnte man sagen: Gott selbst weiß in dieser Situation nicht, ob das gut ausgeht. Das ist seine radikale Solidarität mit uns Menschen, denen so oft der Überblick darüber fehlt, ob etwas gut ausgeht, ob das, was wir tun oder erleiden überhaupt Sinn hat.
  3. Und schließlich, liebe Schwestern und Brüder, ist es am Karfreitag nicht so, als ob wir bloß vor einen Gegenstand oder ein Bild träten. Immer, wenn wir uns vor ein Kreuz stellen, das Kreuz gar verehren, treten wir nicht vor einen Toten hin, sondern vor einen Lebenden. Wir treten vor den, der sein Herz hat öffnen lassen. Schon früh hat die Kirche in der Tatsache, dass der Soldat mit der Lanze die Seite Jesu geöffnet hat, nicht nur eine Kontrolle seines Todes gesehen, sondern ein sinnenfälliges Zeichen für die grenzenlose Zuwendung Gottes zu uns.
    Deshalb können wir hingehen „zum Thron der Gnade“, wie der Hebräerbrief sagt (Hebr 4,16). Deshalb können wir dem Herrn all das bringen, was wir nicht überblicken, was uns überfordert, was uns belastet, was uns am Sinn des Lebens und selbst an Gott zweifeln lässt. Weil wir all das nicht für uns behalten müssen, sondern hinbringen können zu ihm, der ganz Mensch und Gott zugleich ist, müssen wir nicht der Versuchung nachgeben, abzustumpfen, wegzusehen, zynisch zu werden, uns in uns selbst zu verkriechen, uns nur noch mit unseren eigenen Dingen zu beschäftigen, von den Problemen der Welt wegzufliehen …

Wer das Kreuz berührt,
nimmt etwas davon mit ins eigene Leben

Papst Franziskus hat vor vier Jahren beim Weltjugendtag in Rio de Janeiro beim gemeinsamen Kreuzweg mit den Jugendlichen gesagt: Niemand kann das Kreuz Jesu berühren, ohne etwas von sich selbst darauf zurückzulassen und ohne etwas vom Kreuz Jesu in das eigene Leben hineinzutragen. Ein wunderbarer Satz, der sich mir eingeprägt hat. Und, so sagte der Papst, was auch immer wir auf dem Kreuz zurücklassen, das Kreuz hinterlässt in uns etwas, das niemand sonst uns geben kann: die Gewissheit der treuen Liebe Gottes zu uns.

Feiern wir in dieser dankbaren Gewissheit die Liturgie des Karfreitags.

Weiteres:

Karfreitag 2017

in der Predigt