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Predigt von Bischof Dr. Stephan Ackermann am Karfreitag 2022

„Jesus ist und war der Mensch für andere“: Bischof Ackermann predigt an Karfreitag über das Schweigen Gottes

„Der Blick auf Jesus am Kreuz ist so etwas wie ein offenes Fenster auf den Menschen in seiner Schwachheit, in seiner Zerbrechlichkeit, in seinem Ausgeliefertsein.“ Das hat Bischof Dr. Stephan Ackermann in seiner Predigt am Karfreitag (15. April) im Trierer Dom betont. Der Blick auf Jesus am Kreuz versperre nicht den Blick auf andere, sondern öffnet ihn.

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Wir dokumentieren die Predigt im Wortlaut:

Wieder begehen wir feierlich die Liturgie des Karfreitags. Wir tun dies nicht nur, um uns die Geschehnisse von damals ins Gedächtnis zu rufen. Wir tun dies, um uns innerlich anrühren, ja regelrecht erschüttern zu lassen von dem, was damals in Jerusalem geschehen ist. Dem dient die Dramaturgie dieses Gottesdienstes mit seinen Texten, seinen Gesängen, seinen Zeichenhandlungen.

Wenn diese Feier für uns nicht ein solch eingeübter Brauch im Laufe des Kirchenjahres wäre, so müssten wir uns eigentlich wundern über das, was wir da tun, und zwar aus mehreren Gründen:
Wir schauen auf den einen, der damals im Jahr 33 die Kreuzigung erlitten hat und erinnern als Christen seit fast 2.000 Jahren daran. Dadurch tritt leicht die Tatsache in den Hintergrund, dass unter den Römern Tausende von Verurteilten in der Provinz Judäa gekreuzigt wurden. Nicht selten säumten Kreuze regelrecht den Straßenrand. Der, auf den wir schauen und mit dem wir mitfühlen, war einer unter Tausenden, denen es genauso erging.
Sodann: Das Geschehen von damals ist längst abgeschlossen. Wir sind sogar im Glauben der Überzeugung, dass dies für Jesus nicht die Endstation war, sondern Gott den am Kreuz Gestorbenen auferweckt und mit neuem, unzerstörbaren Leben beschenkt hat. Es gibt also bei aller Grausamkeit des Karfreitags ein gutes Ende.
Und schließlich: So unmenschlich und grausam uns die Kreuzigung vorkommt, so muss man doch – vielleicht etwas verschämt – feststellen, dass es durchaus noch grausamere und viel länger andauernde Methoden gibt, Menschen das Leben zu nehmen:

  • etwa durch Folterungen, psychischer und physischer Art, die sich nicht nur über einige Stunden, sondern über Wochen und Monate hinziehen.
  • Ich denke an Menschen, die in lichtlosen Verliesen über Jahre isoliert festgehalten werden, bevor man ihrem Leiden ein Ende setzt.
  • Ich denke an die Menschen, die in unserer Zeit über Tage hilflos auf dem Mittelmeer treiben und schließlich ertrinken, ohne dass jemand jemals wieder von ihnen hört …
  • Wie viele Menschen, junge und alte, mögen im Krieg in der Ukraine in den bombardierten Städten unter den Trümmern einen erbärmlichen, einsamen Tod gestorben sein …?
  • Und muss man nicht auch an Menschen denken, die ohne Gewalteinwirkung durch andere, sondern aufgrund einer Krankheit einen jahre-, vielleicht sogar jahrzehntelangen Leidensweg durchmachen müssen?! Im Vergleich dazu war Jesu Leiden relativ schnell zu Ende.

Wenn aber Jesus menschlich gesehen nicht die grausamste Art des Todes überhaupt gestorben ist, müssten wir dann beim gottesdienstlichen Gedenken am Karfreitag nicht eher solche Beispiele, etwa aus unserer Zeit erzählen?! Das geschieht ja auch: Häufig werden in der Verkündigung im Gottesdienst aktuelle Beispiele gewählt. Und auch die säkularen Medien stellen an diesen Tagen Menschen in Karfreitagssituationen unserer Zeit vor. Solche Aktualisierungen sind gut und wichtig.

Warum immer wieder diese Rückkehr zu dem einen, Jesus Christus?

In der Liturgie kehren wir aber immer wieder zu dem ursprünglichen Geschehen im Jerusalem des Jahres 33 zurück, hören den Bericht des Evangelisten Johannes, versuchen uns geradezu plastisch in das Geschehen hineinzudenken. Warum? Warum immer wieder diese Rückkehr zu dem einen, Jesus Christus?
Wir tun es, weil wir davon überzeugt sind, dass es sich bei Jesus Christus eben nicht bloß um das Schicksal eines einzelnen, individuellen Menschen handelt. Wäre das so, dann wäre es wahrhaftig nicht gerechtfertigt, sich über 2.000 Jahre lang so sehr auf diesen einen zu fokussieren und zu versuchen, Mitleid mit ihm zu empfinden.
Nein, wir schauen auf ihn und wollen mitfühlen mit ihm, weil wir glauben, dass Jesus derjenige ist, der nicht für sich, sondern ganz für die Anderen gelebt und gelitten hat. So haben Menschen in seiner Nähe dies erfahren. Er war und ist der Mensch für andere. In seiner Existenz ist er ganz Pro-Existenz.

Der Blick auf Jesus am Kreuz versperrt nicht den Blick auf andere Menschen, sondern öffnet ihn.

Wer deshalb auf Jesus, den Gekreuzigten schaut, der fixiert sich nicht bloß auf ein einzelnes Individuum in der Geschichte, nein, der schaut auf den Menschen schlechthin. Deshalb ist ja das Wort „Ecce Homo! Seht, der Mensch!“, das Pilatus sagt, als er den gegeißelten Jesus der Menge zeigt (Joh 19,5), ein solch prophetisches Wort, wenn wahrscheinlich auch ungewollt.
Der Blick auf Jesus am Kreuz versperrt nicht den Blick auf andere Menschen, sondern öffnet ihn. Der Blick auf Jesus am Kreuz ist so etwas wie ein offenes Fenster auf den Menschen in seiner Schwachheit, in seiner Zerbrechlichkeit, in seinem Ausgeliefertsein. Der Blick auf Jesus lässt uns, so meine ich, sogar offener werden für das Leid von Menschen. Denn er kann uns Mut machen.

Wieso das? Der Blick auf den Gekreuzigten macht uns Mut, weil wir – äußerlich betrachtet – zwar nichts anderes sehen als jemanden, der ungerecht leidet und mit dem Tod ringt. Doch mit den Augen des Glaubens dürfen wir schon weiter sehen, dürfen wir schon den Sieg des Lebens ahnen.
Der Blick auf den Gekreuzigten ist nicht nur der Blick auf den Menschen – Ecce Homo! –, er ist auch Blick auf Gott: Ecce Deus! Seht, da ist Gott! Seht, so ist Gott! Der Blick auf Jesus ist also auch das offene Fenster auf Gott hin, und damit ist er das offene Fenster auf Rettung hin. Der Blick auf Jesus am Kreuz ist das Versprechen, dass dies nicht das letzte Bild vom Menschen und das letzte Wort über ihn ist. Das letzte Wort heißt Ostern.

Der österliche Glaube gibt Kraft

Liebe Schwestern und Brüder, das ist keine vorschnelle Vertröstung. Im Gegenteil: Wer nicht an das österliche Leben glauben kann, der muss im Grunde noch schneller den Blick von den Grausamkeiten dieser Welt abwenden, um sich über das Unglück hinwegzutrösten, das so oft nicht zum Aushalten ist.
Der österliche Glaube – richtig verstanden – gibt dagegen die Kraft, nicht auszuweichen, nicht wegzuschauen, sondern auszuhalten. Denn er gibt eine Perspektive. Er zeigt uns das Licht am Ende des Tunnels.
In dieser Hoffnung wollen wir nun Fürbitte halten in den Anliegen der ganzen Welt und dann das Kreuz verehren, das uns immer wieder neu die Augen öffnet für Gott und die Menschen.

Amen.

Weiteres:

Karfreitag 2022

in der Predigt