Schriftlesungen: Weish 6,12-16/ 1 Thess 4,13-14/ Mt 25,1-13
Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
Ist der Trierer Dom, ja das Bistum Trier ein geeigneter Ort, um die bundesweite Diaspora-Aktion des Bonifatiuswerkes zu eröffnen? Jedenfalls zählt Trier unter den deutschen Bistümern nicht zu den »klassischen« Diasporabistümern wie etwa Hildesheim oder Hamburg und die Diözesen im Osten unseres Landes, in denen der Anteil der Katholiken an manchen Stelle nur 3 Prozent beträgt. Nach einer Statistik, die ich kürzlich sah, gehören auf dem Gebiet unseres Bistums rund 62 Prozent der Bevölkerung der katholischen Kirche an. Da kann man wahrhaftig nicht von Diasporasituation sprechen, auch wenn es hier und da in unserem Bistum pastorale Räume gibt, in denen katholische Christen in der Minderheit sind. Ich denke etwa an Dierdorf im Westerwald, eine Pfarrei, zu der 40 Ortschaften gehören. Ich denke aber auch an die Pfarreiengemeinschaft Idar-Oberstein St. Walburgis an der Nahe, wo die weiteste Entfernung von einem zum anderen Ende der Pfarreiengemeinschaft 40 Kilometer beträgt.
Die Mitchristen, die zu diesen Pfarreien angehören, haben durchaus eine Ahnung von den Herausforderungen, die sich in den Gebieten der klassischen Diaspora, wie in Nord- und Ostdeutschland, v. a. aber in Skandinavien und im Baltikum stellen. Die Gemeinden sind klein, die finanziellen Mittel sind knapp, in aller Regel müssen weite Wege zurückgelegt werden, um zu Gottesdienst, Katechese und Begegnung zusammenzukommen. Deshalb brauchen die katholischen Christen in diesen Regionen und Ländern unsere Solidarität und konkrete Hilfe.
Zu den Herausforderungen, die die Gemeinden in der Diaspora zu bewältigen haben, gesellt sich aber auch ein ganz bestimmter Charme, eine bestimmte Gabe. Oft ist nämlich in diesen Gemeinden eine ganz besondere Familiarität zu spüren. Die Menschen, die aktiv am kirchlichen Leben teilnehmen und dafür manche Mühe auf sich nehmen, spüren konkret, was es heißt, zur Familie Gottes zu gehören. Ich selbst durfte dies vor vier Jahren in Trondheim erleben: Nach der festlichen Sonntagsmesse in der St. Olavs-Kathedrale fand sich ein großer Teil der Gottesdienstteilnehmer im Pfarrsaal der Domgemeinde unter der Kirche ein. Das Zusammentreffen war herzlich-familiär und weltkirchlich-bunt zugleich, da ein Großteil der Katholiken keine gebürtigen Norweger, sondern Einwanderer sind. In Trondheim habe ich sehr konkret gespürt, dass das Leitwort der diesjährigen Diaspora-Aktion stimmt: Keiner soll alleine glauben. Mehr noch, es war zu spüren, dass hier gilt: Keiner braucht alleine zu glauben. Denn da sind die Anderen, die denselben Glauben teilen und über die man sich freut, dass sie da sind. Ohne sie wäre Glauben sogar unmöglich. Denn es gilt ja auch: Keiner kann alleine glauben. Papst Benedikt hat bei seinem Deutschlandbesuch während der Messe im Berliner Olympiastadion daran erinnert, indem er sagte: »Wir glauben nicht alleine, wie glauben mit der Kirche aller Orte und Zeiten, mit der Kirche im Himmel und auf der Erde.«
Nun kann es die Situation geben, dass das, was in einer überschaubaren Diasporagemeinde konkret erfahrbare Realität ist, in einem traditionell katholisch geprägten Gebiet seltsamerweise nicht spürbar wird. Immer wieder erfahre ich nämlich bei Besuchen vor Ort und durch Gespräche mit den Gremien, wie viele engagierte Mitchristen in unserem Bistum den Eindruck haben, mit ihrem Glauben allein gelassen zu sein, das heißt kaum noch Gleichgesinnte zu haben im Kollegen- und Freundeskreis, in der Nachbarschaft, ja nicht selten in der eigenen Familie. So fühlen sie sich zunehmend unbeheimatet. Gerade diejenigen, denen der Glaube an Jesus Christus und die Zugehörigkeit zur Kirche kostbar sind, fühlen sich im vertrauten Umfeld irgendwie in der Fremde. Mögen die Statistiken auch eine andere Sprache sprechen, Menschen in bisher stark volkskirchlich geprägten Gebieten fühlen sich in der Diaspora, nicht im Sinn der Konfession (als katholische Minderheit in einem stark protestantischen Gebiet), sondern sogar im Sinn der Religion, das heißt als jemand, der sich mit seinem Glauben an Jesus Christus in seiner Umgebung fremd, geradezu exotisch vorkommt. Insofern, liebe Schwestern und Brüder, wage ich zu sagen, dass nicht wenige Mitchristen in unserem Bistum sich in einer Art von »emotionaler Diaspora des Glaubens« empfinden. Sie fühlen sich - um es in Anlehnung an den ursprünglichen Sinn des Wortes Diaspora, das ja aus der Erfahrung der über die Welt des antiken Mittelmeerraumes zerstreuten Juden stammt, zu sagen: Sie fühlen sich als einzelne zerstreut in einer Umgebung, die in den Fragen über Gott und die Welt sehr anders denkt als sie selbst.
Wir wissen, wie schwer diese Situation sein kann, zumal dann, wenn man über Jahrzehnte gewohnt war, im Blick auf die Fragen von Weltanschauung, Werten, aber auch von gängigen Traditionen zur Mehrheit zu gehören und wenn man sich sicher sein konnte, im gesellschaftlichen Mainstream zu schwimmen. Wenn wir an diesem Sonntag bewusst auf die Situation der Diasporachristen schauen, dann kann uns der Blick dreierlei sagen: 1. Was viele Menschen an vielen Stellen unseres Bistum für selbstverständlich nehmen im Blick auf die Akzeptanz des Glaubens, auf kurze Wege, auf kirchliche Ausstattung und Struktur, das ist in vielen (ja in den meisten) anderen Gegenden der Weltkirche alles andere selbstverständlich. 2. Die Kirche geht in der Diaspora nicht unter, sondern ist auch dort durchaus lebendig, ja sehr lebendig. So kann 3. die Kirche der Diaspora uns mit ihrer Lebenserfahrung Mut machen, wo wir in der Gefahr stehen zu verzagen angesichts großer Umbrüche und Veränderungen. Was die Gestalt der Seelsorge angeht, ist uns die Kirche in der Diaspora voraus, kann sie uns mit ihren Ideen helfen, neue Kreativität zu entwickeln dann, wenn der christliche Glaube nicht mehr selbstverständlich ist, die Wege weiter und die Mittel knapper werden. Deshalb ist die Diaspora-Aktion so wie die ganze Arbeit des Bonifatiuswerkes keine Einbahnstraße, sondern ein Instrument wechselseitiger Solidarität.
Schauen wir schließlich noch auf das Evangelium dieses Sonntags. Was kann es uns sagen für das Christsein heute? Zunächst einmal dürfen wir das Öl, das die klugen Jungfrauen in den Krügen mitgenommen haben, verstehen als Symbol für den langen Atem, den der Glaube immer braucht. Denn da gibt es die Phasen, in denen der Bräutigam, Christus, weit weg zu sein scheint. Es gibt die Nacht des Glaubens, in der wir den Überblick verlieren und uns fragen: Worauf hoffen wir eigentlich? Es gibt die Ermüdungserscheinungen.
Ich finde es übrigens bezeichnend, dass Jesus in seinem Gleichnis nicht nur von zwei Jungfrauen spricht, einer törichten und einer klugen. Nein, er spricht von jeweils fünf. Denn auch hier gilt: Keiner kann alleine glauben. Keiner kann allein klug sein im Glauben. Keiner kann allein wachsam bleiben. Es braucht die gegenseitige Bestärkung und Hilfe.
Sperrig bleibt in diesem Gleichnis, dass die klugen Jungfrauen nicht mit den törichten teilen. Gleichwohl dürfen wir das Gleichnis nicht verstehen als ein Aufruf zur Hartherzigkeit. Das würde mit der gesamten übrigen Verkündigung Jesu nicht zusammenpassen. Was uns das Gleichnis vor allem sagen will, ist: Es gibt eine unteilbare, unvertretbare Verantwortung, die jeder einzelne vor Gott hat. Sie kann nicht halbiert werden. Letztlich besteht diese Verantwortung in der Antwort auf die Frage, ob ich an die Wirklichkeit Gottes glaube oder nicht. Daran erinnert das Gleichnis unmissverständlich.
Vielleicht dürfen wir aber doch eine kritische Rückfrage an die klugen Jungfrauen stellen, dürfen sie fragen: »Warum habt ihr die anderen weggeschickt zu den Händlern? Dass ihr nicht teilen konntet, sehen wir ein. Sonst wäre am Ende wahrscheinlich überhaupt kein festlich erleuchteter Hochzeitszug zustande gekommen. Es wäre stockdunkel und traurig gewesen. Doch was wäre gewesen, wenn ihr den Kolleginnen geraten hättet zu bleiben? Was wäre gewesen, wenn ihr mit dem Bräutigam geredet hättet, wenn ihr ein gutes Wort für die fünf anderen Jungfrauen eingelegt hättet? Ob der Bräutigam dann wirklich hart geblieben wäre?«
Liebe Schwestern und Brüder! Christen in der Diaspora – im engen und im übertragenen Sinn verstanden - mögen sich nicht selten vorkommen wie die wenigen Aufrechten, die die Flamme des Glaubens in ihrer Umgebung hochhalten. Umso mehr müssen sie sich gegenseitig helfen und stützen, um den Vorrat des Glaubens nicht austrocknen zu lassen. Doch sie sollen sich dabei nicht nur im Binnenkreis wärmen und bestärken, sondern ihren Glauben immer auch als Dienst an den anderen verstehen. Ja, ich bin der Überzeugung, dass in unserer Zeit der Dienst der Stellvertretung im Glauben ganz neu an Wichtigkeit gewinnt. Halten wir deshalb, ohne großes Aufhebens darum zu machen, das Licht des Glaubens präsent auch für die, die sich nicht dafür zu interessieren scheinen, und für die, die den Eindruck haben, ihnen sei das Öl des Glaubens schon lange ausgegangen. Und: Schicken wir die, die zu uns kommen, nicht leichtfertig weg, auch wenn ihre Motivation uns eher oberflächlich erscheint. Vielleicht springt der Funke des Glaubens - mag er noch so verstreut und klein sein - doch über und hilft, die Welt heller zu machen. Die Kirchengeschichte jedenfalls weiß bis in die aktuellste Zeit reichlich von solchen Beispielen zu berichten. Amen.