Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
Es gibt sie in Museumsshops, aber auch in Buchhandlungen und an Kiosken: die Ansichtskarten, die alte Schwarz-weiß-Fotos zeigen und dazu irgendeinen humorvollen Spruch tragen. Vor ein paar Jahren bin ich auf eine solche Karte gestoßen. Zwei junge Frauen sah man da in der Mode der Goldenen Zwanziger mit Charleston-Kleidern. In ihren Händen hatten sie zwei Sektschalen, mit denen sie sich fröhlich zuprosteten. Darauf fand sich der Spruch gedruckt: „Es gibt auch ein Leben vor dem Tod.“
Auf den ersten Blick könnte man sich fragen: Wo ist die Pointe? Was soll daran witzig sein? „Es gibt auch ein Leben vor dem Tod“ … Das ist doch trivial. Das Leben vor dem Tod ist unser Leben. Nach der Überzeugung vieler ist es das einzige, das wir haben. Humorvoll wird der Spruch erst vor dem Hintergrund einer christlichen Tradition. Dann nämlich spielt die Karte mit der Überzeugung, dass das wahre Leben, das Leben in Freude, ohne Sorgen erst nach dem Tod kommt. Das Leben hier auf Erden vor dem Tod ist Mühsal und Plage, danach kommt das eigentlich erstrebenswerte Leben.
In der Tat ist christlicher Frömmigkeit diese Vorstellung nicht fremd. Sie hat ihr Fundament im Osterglauben, also im Glauben daran, dass der Tod nicht das letzte Wort hat über unser Leben: Als Christen glauben wir, dass wir hinter der Tür des Todes nicht ins bodenlose Nichts fallen, sondern dass der Tod Schwelle ist, hinter der sich das „Land der Verheißung des Lichtes und des Friedens“ öffnet, wie wir in einem unserer Messgebete sprechen. Wenn wir Ostern feiern, die Auferweckung Jesu Christi, des „Erstgeborenen der Entschlafenen“ (Kol 1,18), dann erneuern wir den Glauben an diese Verheißung. Ganz bewusst richten wir in dieser Nacht wieder den Blick über die Schwelle des Todes hin auf das Leben, das den Tod besiegt hat.
Wenn wir aber aufmerksam die Texte und Gebet dieser Nacht hören, dann spüren wir, dass wir der inneren Botschaft dieser Nacht nicht voll gerecht werden, wenn wir uns nur auf die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod fixieren. Denn die Gebete und vor allem der Apostel Paulus im Römerbrief denken ganz und gar nicht nur an Leben im Jenseits. Im Gegenteil: Sie schauen auf das Hier und Heute. Es ist wahr. Natürlich, in der Geschichte unseres Glaubens hat es durchaus Phasen gegeben, in denen man mit dem Glauben an die Auferstehung fast ausschließlich an ein Leben nach dem Tod gedacht hat, und der Glaube somit als fromme Jenseitsvertröstung interpretiert und kritisiert werden konnte. Aber das entspricht nicht dem biblischen Zeugnis, und es gibt nicht das Lebensgefühl der Apostel und der frühen Kirche wieder.
Deren österliche Entdeckung hieß: Ja, es gibt ein Leben, das der Tod nicht zerstören und entreißen kann. Dieses Leben beginnt nicht irgendwann, sondern heute. Wenn wir noch einmal an die Spruchkarte denken, dann müssten wir sie nur ein wenig abwandeln und sie würde zu einer Osterkarte: Statt „Es gibt auch ein Leben vor dem Tod“ hätten die ersten Christen wohl gesagt: „Das Leben beginnt schon vor dem Tod“!
Auch das klingt lächerlich selbstverständlich. Das ist es aber recht verstanden nicht. Denn mit dem Leben, von dem hier die Rede ist, ist nicht einfach das biologische Leben gemeint, das uns unweigerlich vom Tod genommen wird. Nein, hier ist das Leben gemeint, das bleibt, das den Tod überdauert: das ewige Leben. Dieses Leben spielt nicht irgendwo und irgendwann. Nein, es spielt schon in unserem ganz konkreten alltäglichen Leben. Man könnte sagen, es ist eine ganz bestimmte Dimension, eine ganz bestimmte Seite unseres normalen Lebens: nämlich die, die bleibt. Und welche ist das? Natürlich die gottzugewandte Seite, das heißt die Seite, die mit dem in Verbindung steht, der der Ursprung des Lebens ist: der Schöpfer, der Unsterbliche. Wo wir ihm nahe sind, sind wir dem ewigen Leben nahe.
Wie wir Gott nahekommen, das hat uns Jesus, der Sohn Gottes gezeigt. Christlich verstanden, bedarf es keines religiösen Geheimwissens, keiner aufwändigen spirituellen Techniken, um Gott nahezukommen. Der Schlüssel zum Leben heißt schlicht: Nachfolge: „Folge Jesus nach! Höre auf seine Botschaft! Schließe dich ihm an, dann findest du den Weg zum Leben. Denn dann wirst du immer besser erkennen, worauf es eigentlich ankommt. Du wirst – in seinem Geist – erkennen, was auch die Schwelle des Todes überdauert. Denn du wirst erkennen, was keine lange Halbwertszeit hat, obwohl es heute noch unglaublich wichtig erscheint.
Wenn das aber stimmt, liebe Schwestern und Brüder, dann verstehen wir auch besser, warum die frühen Christen eine bestimmte Form des Todes überhaupt nicht als Bedrohung, sondern als Chance sahen, ja diese Form des Todes geradezu gesucht haben: Es ist der Tod des alten Menschen, der gottabgewandten Seite des Menschen, der Tod des Menschen in uns, der nur um sich selbst kreist und deshalb ohnehin zum Tod verurteilt ist. Diesem Tod heißt es zuvorzukommen durch die Taufe: Sie ist der Tod des alten Menschen und die Geburt, die Bestärkung des Menschen in uns, der dem Bild Gottes entspricht. „Begreift euch als Menschen, die für die Sünde tot sind, aber für Gott leben in Christus Jesus“, schreibt Paulus den Christen in Rom (Röm 6,11).
Liebe Schwestern und Brüder! Ich freue mich, dass wir in diesem Jahr nicht nur durch die Liturgie der Osternacht in unserem Glauben gestärkt werden, sondern durch die Tauffeier von vier jungen Männern. Mehr als Apostelbriefe und Bischofspredigten wirkt doch das Zeugnis von Menschen, die das „Evangelium im Vollzug“ darstellen.
Für mich selbst ist es daher eine wirkliche Freude, wenn ich in jedem Jahr am ersten Fastensonntag Menschen aus dem ganzen Bistum kennenlernen darf, die sich auf den Empfang der Taufe vorbereiten und von mir in einem eigenen Gottesdienst feierlich zugelassen werden. Unter ihnen sind immer auch Menschen, die in unserem Land Schutz suchen oder gar eine neue Heimat und hier den christliche Glauben kennenlernen. Dazu zählen auch die vier jungen Männer, die gleich die Sakramente des Christwerdens empfangen. Sie kommen zu uns aus dem Nahen und Mittleren Osten und damit aus einer Region, in der die Christen eine oft bedrängte Minderheit sind.
Deshalb wollen wir uns in dieser Nacht besonders solidarisch wissen mit den Schwestern und Brüdern, die es sich nicht nehmen lassen, Ostern zu feiern und zu bezeugen – auch unter besonders schwierigen, gar lebensgefährlichen Bedingungen. Ich nenne nur die Christen in Syrien, im Irak, in Ägypten, in Nigeria, aber auch die Christen im Heiligen Land. Wir sind dankbar für ihr Zeugnis. Wir beten für sie, dass sie aus der diesjährigen Osterfeier neue Hoffnung schöpfen für ein respektvolles, ja friedenstiftendes Miteinander der Religionen. Im Lesegottesdienst haben wir eben gebetet: „Lass alle Menschen Kinder Abrahams werden“ (Gebet nach der 3. Lesung). Umso mehr beten wir um ein friedliches Miteinander für die, die sich schon jetzt als Kinder Abrahams verstehen: Juden, Christen und Muslime. Für uns persönlich wollen wir darum bitten, dass das österliche, das ewige Leben in uns einen neuen Wachstumsschub erhält. Amen.