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Predigt in der Osternacht 2017 - im Trierer Dom

Osterglaube ist Heilmittel gegen Fanatismus

Liebe Schwestern und Brüder!

Zu den Besonderheiten der Osternacht zählt der Reichtum der Symbolik: Ich denke dabei vor allem natürlich an die Lichtfeier, aber auch an die große Anzahl der biblischen Lesungen: Sechs Lesungen aus dem Alten und dem Neuen Testament haben wir gehört. Mehr als alle anderen Nächte im Kirchenjahr ist die Osternacht eine Nacht des Erzählens. Die Heilsgeschichte rollt sich vor uns aus in einzelnen Geschichten.

Interessanterweise sind auch wir Menschen des Informationszeitalters offen für Geschichten. Wir lassen uns gerne Geschichten erzählen. Besonders hoch im Kurs stehen vor allem biografische Erzählungen, ob nun in schriftlicher Form, in Dokus oder in Talkshows: Menschen erzählen aus ihrem Leben, von ihren Erfolgen und Niederlagen, von dem, was sie getan, erlitten und gemeistert haben … Mitunter sind wir selbst in unserer aufgeklärten Zeit bereit, uns falsche – „gefakete“ Geschichten, wie man heute sagt – erzählen zu lassen. Woher kommt dieses Interesse, diese Sympathie für Geschichten?

Wenn die Visionen fehlen…

    Vielleicht liegt es daran, dass wir in einer Zeit leben, die arm ist an großen Visionen und Entwürfen. Genau das wird ja immer wieder beklagt: Es fehle der Politik, Europa, der Kirche usw. an überzeugenden Visionen, die die Herzen der Menschen begeistern und mitreißen. Andererseits sind wir Heutigen kritisch, wenn Menschen daherkommen und behaupten, den Plan für die Zukunft zu haben. Die Erfahrungen der Geschichte haben uns kritisch werden lassen: Wie viel Unheil und Leid haben im vergangenen Jahrhundert Ideologen über die Menschheit gebracht, weil sie zu wissen vorgaben, wie die wahre Welt, wie der vollkommene Mensch, die vollkommene Gesellschaft auszusehen hat … Und wie viel Terror und Leid bringen in unseren Tagen Fanatiker über die Menschen, weil sie behaupten zu wissen, wie die richtige Gesellschaft auszusehen hat und sich dazu noch missbräuchlich auf die Autorität Gottes und die Religion berufen. Vielleicht ziehen wir deshalb Geschichten vor, hören sie lieber als große Entwürfe oder Theorien über Gott und die Welt.

Erzählungen und Geschichten statt Entwürfen und Theorien

Die Liturgie der Osternacht kommt dem entgegen. Aber nicht erst sie; unser Glaube insgesamt – verwurzelt in der Glaubenstradition Israels – lebt doch wesentlich vom Erzählen, ist über die Jahrtausende hinweg gläubige Erzählgemeinschaft. Selbst der Schöpfungsbericht, der, wie wir wissen, ja keine naturwissenschaftlich-exakte Erklärung sein will, sondern die Beziehung zwischen Gott und der Welt beschreibt, tut dies in erzählerischer Form. Er erzählt die Erschaffung der Welt in der Zeitspanne einer Woche.

Auch Jesus: erzählt

In diese Tradition des Erzählens stellt sich auch Jesus mit seiner Verkündigung des Reiches Gottes: Jesus hält keine theologischen Vorträge. Er entwickelt kein Lehrsystem, sondern er erzählt Gleichnisse mit Bildern und Situationen aus dem alltäglichen Leben des Orients seiner Zeit: Vom Senfkorn, vom Sauerteig, vom Hirten, von einem Vater mit zwei Söhnen, vom Weinbergsbesitzer, von der Frau, die nach einer verlorenen Münze sucht, vom König, vom Weinstock …

    Und das Erzählen setzt sich über seinen Tod hinaus fort: Am Ursprung des Bekenntnisses zur Auferstehung Jesu stehen Geschichten, die Ostergeschichten. Eine davon haben wir soeben als Evangelium gehört. Und dazu gehören die anderen: Die Erzählung von den Emmaus-Jüngern, die Erscheinung Jesu vor dem zweifelnden Thomas, die Begegnung mit den Jüngern am See von Tiberias nach einer erfolglosen Nacht …

Glaube wächst durch Geschichten

    Der Glaube an die Auferstehung wächst durch Geschichten, die sich die Jünger gegenseitig erzählen. Die Geschichten variieren untereinander, sind persönlich gefärbt, sind nicht total deckungsgleich. Sie bleiben geheimnisvoll und bruchstückhaft, geradezu stammelnd. Vieles, was wir zu gerne von ihnen wüssten, erklären sie nicht.

Doch gerade das Unfertige, das Tastende macht sie glaubwürdig, und es macht sie einladend. Es öffnet sie auf unser Leben hin. Denn es zeigt, dass in den kleinen Verhältnissen eines menschlichen Lebens Gott gegenwärtig sein und wirken kann.

Mein begrenztes Leben: Teil der großen Geschichte mit Gott

    Mag ein Leben noch so begrenzt und bruchstückhaft sein, es kann sich öffnen und teilnehmen an dem großen Sinn, den Gott mit der Auferweckung seines Sohnes in diese Welt hineingelegt hat. Wenn ich mich ihm im Glauben öffne, dann kann Gottes Gegenwart in mein Leben einströmen, es weit machen, und ich bekomme Teil an der großen Geschichte Gottes mit dieser Welt, ja werde selbst ein Teil davon. Meine Pläne und Ideale sind dann nicht mehr nur meine Pläne und Ideale; meine Hoffnungen und meine Sehnsucht sind nicht mehr nur meine Hoffnungen und meine Sehnsucht; meine Enttäuschung ist nicht mehr nur meine Enttäuschung; mein Scheitern, mein Verlieren sind dann nicht mehr bloß nur mein Scheitern und Verlieren. Es ist geöffnet auf Gott hin.

Einsamkeit macht verführbar

    Wie viel Bitterkeit, wie viel Resignation und wie viel Aggression entstehen in den Herzen von Menschen dadurch, dass sie mit ihren Plänen, ihren Fragen und Gefühlen alleinbleiben. Gerade diese Einsamkeit macht aber anfällig für Gefühle des Hasses und der Gewalt gegen andere und gegen sich selbst, und sie macht verführbar für radikale Ideen, die dem Leben mit Gewalt Sinn geben wollen.

Glaube hilft gegen Fanatismus

   Der biblische Glaube und insbesondere der Glaube an die Auferstehung Jesu sind richtig verstanden die beste Arznei gegen Fanatismus, der aus Ideologie oder aus Verzweiflung entspringt. Denn die Botschaft von der Auferstehung steht dafür ein, dass das Leben, so bruchstückhaft, so unfertig, ja so sinnlos erscheinen mag, einen Sinn hat. Diesen Sinn muss und kann ich mir nicht selbst geben, erst recht nicht mit Gewalt. Er ist Geschenk. Für ihn verbürgt sich Gott selbst, der der Schöpfer und der Erlöser ist. Denn das können wir nicht. Das würde uns überfordern. So aber wächst auch in meiner kleinen Lebensgeschichte Gottes große Geschichte mit dieser Welt heran.

Sinn des Lebens ist Geschenk

Liebe Schwestern und Brüder, viele von uns dürfen den Sinn dessen sehen, was sie tun und wofür sie leben. Das ist schön, aber es ist nicht einfach selbstverständlich. Immer wieder gibt es auch Situationen, da sehen wir den Sinn dessen, was wir tun oder durchmachen müssen, nicht. Selbst Jesus, der Sohn, verlor am Kreuz den Überblick, wusste in dieser Situation nicht mehr, ob sein Lebenseinsatz sinnvoll war: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“, schreit der Gekreuzigte (Mt 27,46). Er musste sich den Sinn seines Lebens gewissermaßen neu schenken lassen durch die Auferstehung. Auch wir entdecken manches Mal den Sinn unseres Tuns erst später. Das nennen wir Gnade. Das ist Ostern! Das ist österliches Leben hier und heute! Wem es geschenkt wird, der soll es mit anderen teilen, damit auch sie Sinn sehen und neuen Mut schöpfen können.

Wie schön, dass wir in dieser Nacht vier Erwachsene durch die Feier der Taufe in die Kirche aufnehmen können. Wir freuen uns mit ihnen über ihren Schritt. Denn durch das Sakrament der Taufe sind ihre Lebensgeschichten nicht mehr bloß ihre Lebensgeschichten. Sie verbinden sich mit der großen Geschichte Gottes und nehmen dadurch Teil am unzerstörbaren Sinn des Lebens.

Weiteres:

Ostern 2017

in der Predigt