Liebe Schwestern und Brüder!
Erinnern Sie sich noch an das Bild, das vor knapp zwei Wochen als Sensation um die Welt ging: Ein rot-orange glühender Kringel mit einem runden Schatten in der Mitte: Das Bild eines sogenannten Schwarzen Lochs, also jenes geheimnisvollen Phänomens im Weltraum, von dem man bisher dachte, dass man es überhaupt nicht beobachten oder abbilden kann. Nun ist es Astronomen offensichtlich doch gelungen. Was ist ein Schwarzes Loch? Soweit ich das verstanden habe, ist es die riesige Ansammlung einer Masse auf einem ganz kleinen Raum, die etwa entsteht, wenn ein Stern am Ende seiner „Lebenszeit“ ausbrennt und in sich zusammenstürzt. Dann kann von dieser verdichteten Masse eine solche Schwerkraft ausgehen, dass diese alles, was in ihre Nähe kommt, derart an sich reißt, dass es wie in einem Schwarzen Loch verschwindet. Selbst für Lichtstrahlen gibt es daraus kein Entrinnen.
Als ich die Berichte über das Schwarze Loch las, musste ich aus mehreren Gründen unwillkürlich an den Tod und an Gräber denken: Sind Tod und Grab nicht so etwas wie das Schwarze Loch des menschlichen Lebens? Tod und Grab schlucken all das, was vorher existiert hat. Sie löschen definitiv das Licht eines Lebens aus. Vor ihnen gibt es für kein Geschöpf ein Entrinnen. Nichts ist so sicher wie der Tod, sagen wir. Und doch gehört gerade der Tod zugleich zu dem, was wir nicht beobachten und beschreiben können. Das ist ja gerade das Paradox: Dass alle Menschen von ihm betroffen sind und wir doch keine Aussagen darüber machen können! Selbst Menschen, die sogenannte Nahtoderfahrungen gemacht haben, waren eben nicht wirklich tot.
Und nun wagen wir als Christen an Ostern einen Blick noch über diese Grenze hinaus: Auf ein Leben nach dem Tod. Als wenn nicht schon der Tod selbst unbeschreiblich genug wäre, machen sich glaubende Menschen daran, noch weiter sehen zu wollen. Ist das nicht Vermessenheit oder Fantasterei? Die Frage ist nicht neu. Schon Paulus hat das erleben müssen, als er versucht hat, den Gebildeten von Athen auf dem Areopag die Botschaft von Jesus Christus nahezubringen. Offensichtlich konnten sie seiner Predigt über weite Strecken sogar folgen. Aber als Paulus versucht, den Griechen die Auferstehung von den Toten zu verkünden, wenden sie sich spöttisch von ihm ab mit der Bemerkung: „Darüber wollen wir dich ein andermal hören.“ (Apg 17,32) Der Glaube an die Auferstehung war offensichtlich schon damals ein besonderer Stolperstein. Kein Wunder. Er ist es bis heute. Das können wir nicht ignorieren, auch wenn wir schon oft Ostern gefeiert haben.
Worin besteht eigentlich der Kern der Ostererfahrung? Nach dem Evangelium, das wir gerade gehört haben, ist die Ersterfahrung zunächst eine erschütternde Irritation: Das Grab, in das man den Leichnam Jesu gelegt hatte, ist leer! Um noch einmal auf das Bild vom Schwarzen Loch zurückzukommen: Im Kraftfeld von Tod und Grab, dem niemand und nichts entkommen kann, gibt es eine massive Störung, für die die Jünger keine Erklärung haben, außer: Irgendwelche Leute haben den Herrn aus dem Grab weggenommen. (vgl. Joh 20,2)
Und die zweite Erfahrung, die sich mit Ostern verbindet, ist die nicht weniger verstörende Erfahrung: Er, Jesus, lebt! Er kommt auf uns zu, sucht die Begegnung mit uns. Ist Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, schon einmal aufgefallen, dass die Jünger mit dem Auferstandenen kein Gespräch darüber anfangen, wie das war, als er gestorben ist und zwei Tage im Grab gelegen hat. Sie fragen auch nicht, wie das nun ist, auferweckt und beim Vater im Himmel zu sein. In den Ostererzählungen gibt es keine Neugier, keinen Voyeurismus, der versucht, hinter den Vorhang des Todes zu schauen. Das gehört für mich zur Glaubwürdigkeit der Osterberichte: Sie stellen keine Spekulationen in die Zukunft an. Sie berichten von dem, was die Jünger erlebt haben. Sie konzentrieren sich ganz auf die Erfahrung: Jesus lebt und lässt sich erfahren. Das ist der Kern aller österlichen Freude und der Hoffnung.
Damit ist zunächst auch noch nichts über das weitere Schicksal der Jünger gesagt, ihr eigenes Sterben und Auferstehen. Ostern, d. h. Jesu Auferweckung aus dem Tod, heißt zunächst und vor allem: Die Botschaft Jesu stimmt. Sie ist von Gott selbst bestätigt. Anders als es zunächst aussah, ist Jesus nicht gescheitert. D. h. auch: Sein Weg ist gangbar. Du kannst der Botschaft der Bergpredigt glauben und dich auf sie einlassen: Sie führt dich nicht in die Irre! Wenn Jesus nicht auferweckt worden wäre, dann wäre auch seine Lehre grundstürzend infrage gestellt. Dann gäbe es eigentlich keinen Grund, sich auf sie einzulassen. Nach Ostern aber sieht die Sache ganz anders aus. Nun gibt es gute Gründe, sein Leben nach der Botschaft Jesu auszurichten. Denn Gott selbst steht zu dieser Botschaft.
Damit ermutigt Ostern,
dem Gebot der Gottes- und Nächstenliebe zu glauben;
es ermutigt, nicht nur das Nötigste zu geben;
es ermutigt, gegen Unrecht nicht mit den gleichen Waffen zurückzuschlagen;
ermutigt, immer wieder einen Neuanfang zu wagen, trotz allem;
fordert dazu auf, auch die, die geographisch entfernt von mir leben, als Nächste zu sehen, als Brüder und Schwestern.
Ostern ermutigt, sich zur Botschaft Jesu zu bekennen und sie mit anderen zu teilen …
Wer sich Jesus anvertraut, der darf erfahren, dass sich Wege auftun, wo man sie vorher nicht für möglich gehalten hätte, der kann u. U. auch ins Staunen geraten über sich selbst, weil ihm Dinge möglich werden, die er sich vorher nicht zugetraut hätte. Wer sich dem österlichen Weg Jesu anvertraut, der darf aber auch darauf setzen, dass da, wo sich kurz- oder längerfristig auf diesem Weg keine sichtbaren Erfolge einstellen, die Mühe nicht umsonst investiert war, sondern sie gesehen und aufgehoben ist bei Gott; und er darf darauf hoffen, dass mit den Mühen auch er selbst geborgen ist bei Gott (vgl. Kol 3,3). Das ist Hoffnung über den Tod hinaus.
Liebe Schwestern und Brüder! Dass den Astronomen ein Bild gelungen ist von dem, was vorher als unbeobachtbar galt, hat auch damit zu tun, dass sich viele Forschergruppen zusammengeschlossen haben. Den einzelnen wäre dies nie gelungen. Sie wären damit überfordert gewesen. Viele Beobachtungsstationen mussten sich über Tausende von Kilometern zusammenschließen, um wie in einem ausgespannten Netz die Beobachtungen miteinander auszutauschen und zu verbinden. Dürfen wir das nicht noch einmal verstehen als einen weltlichen Vergleich für das, was Gemeinschaft der Glaubenden, was die Kirche ist: Seit jenem Ostermorgen haben sich – angefangen von den Jüngerinnen und Jüngern – durch die Geschichte hindurch und ausgebreitet über die ganze Welt Menschen zusammengefunden, die sich bestärkt und ausgetauscht haben in der Erfahrung: Die Botschaft Jesu stimmt. Ich kann ihr vertrauen, denn auch ich darf sagen: Jesus lebt! Möge die Feier von Ostern uns in dieser Erfahrung bestärken und verbinden.
Amen, halleluja.