Ostern 2021 ist für Bischof Dr. Stephan Ackermann ein „Ostern der stilleren, der verhalteneren Freude – kein Ostern als Eruption mit Pauken und Trompeten, wie es so viele Bilder der abendländischen Kunst suggerieren“. Das hat der Bischof beim Osterhochamt am 4. April im Trierer Dom gesagt.
Dass die Osterbotschaft auch in diesem Jahr nicht laut besungen werden könne und die Gottesdienstgemeinde Hörende bleibe, sei einerseits dem Infektionsschutz geschuldet. Ackermann erinnerte daran, dass es für manche Menschen aber auch innere Gründe geben könne: Trauer, Sorge oder die schlichte Ermüdung durch den kräftezehrenden Pandemie-Marathon. Angesichts dieser Situation falle ihm auf, das auch das Johannes-Evangelium bei der Entdeckung des leeren Grabes von einer verhaltenden, tastenden Osterfreude spreche. Das Evangelium berichtet von einer geheimnisvollen Ordnung im leeren Grab: von den Leinenbinden, aber vor allem vom Schweißtuch, das „zusammengebunden an einer besonderen Stelle“ lag.
1. Das klassische Osterbild, wie wir es kennen, zeigt den Auferstandenen, wie er aus dem Grab aufsteigt, manchmal regelrecht aus dem Grab emporschießt, vielleicht sogar mit der Siegesfahne in der Hand. Die Grabplatte ist zur Seite gesprengt und die bewachenden Soldaten werden regelrecht zu Boden geworfen. Die Auferstehung dargestellt wie eine Explosion. Das ist sie ja auch: Explosion des Lebens, Auf- und Ausbruch des Lebens, wie Gott es liebt, aus dem Kerker der Welt und des Todes!
Die Künstler, die das Geschehen des Dritten Tages so darstellen, haben sehr gut verstanden, welche Bedeutung die Osterbotschaft hat, wenn man sie ernst nimmt: Sie ist eine unüberbietbare Revolution unseres Verständnisses von Gott, Welt und Mensch. Nicht umsonst sprechen wir in unseren österlichen Liedern und Texten vom Osterjubel. Die Botschaft der österlichen Revolution kann nicht mit einem leisen Säuseln besungen werden, sondern will kraftvoll hinausgerufen sein. Gerade die Osterlieder aus unserem Trierischen Liedgut sind dafür beredte Beispiele.
Nun ist es uns aber auch in diesem Jahr leider immer noch verwehrt, die Osterbotschaft gemeinsam lauthals zu besingen. Wir bleiben Hörende. Das hat vor allem Infektionsschutzgründe. Für manch einen mag es aber darüber hinaus auch innere Gründe geben, die die Stimme belegen: Trauer, die mich erfüllt; Sorgen, die mich umtreiben und sich wie ein Mehltau auf das alltägliche Lebensgefühl legen oder die schlichte Ermüdung durch den Pandemie-Marathon, der so kräftezehrend ist.
2. Ehrlich gesagt, schwankt auch mein eigenes Ostergefühl zwischen echter Festfreude und einer Verhaltenheit, die der aktuellen Weltlage geschuldet ist. Ostern 2021 ist bei allen positiven Anzeichen für die Besiegung der Pandemie wieder ein Ostern der stilleren Art. Kein Ostern als Eruption mit Pauken und Trompeten, wie es so viele Bilder und Musiken der abendländischen Kunst suggerieren.
Aber in dieser Situation wird mir auch wieder neu bewusst, dass gerade der Bericht über die Entdeckung des leeren Grabes, wie ihn der Evangelist Johannes schildert, eine verhaltene, tastende, ja fast nachdenkliche Osterfreude beschreibt. Und es springt mir in diesem Jahr eine Aussage des Textes ins Auge, die ich bisher eher als Nebensache überlesen habe. Was meine ich damit?
Als Petrus in das Grab hineingeht, sieht er statt des Leichnams nur noch die Leinenbinden, in die der tote Körper gehüllt war. Aber er sieht, so sagt der Evangelist, nicht nur das Leichentuch, sondern auch das Schweißtuch, das auf dem Haupt Jesu gelegen hatte. Von ihm heißt es: „Es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle.“ (Joh 20,7)
Warum ist es dem Evangelisten so wichtig, dieses Detail zu berichten? Ist es so bedeutsam, dass man es für alle Zeiten im Evangelium festhalten muss? Diese Frage haben sich die Interpreten dieser Stelle schon sehr früh gestellt. Die meisten sehen darin vor allem einen Beweis dafür, dass der Leichnam Jesu nicht gestohlen wurde. Gegen dieses Gerücht mussten sich die ersten Christen ja lange wehren. Grabräuber oder andere Leute hätten aber die Tücher sicher nicht liegen gelassen oder sogar noch sorgfältig gefaltet. Sie hätten den Toten wohl mitsamt den Leinentüchern weggetragen, so wird argumentiert (vgl. R. Schnackenburg, HThKNT, 366f).
3. Ich glaube, dass man diesem Detail darüber hinaus noch eine tiefere, spirituelle Bedeutung zuschreiben darf: Dass der Auferstandene die Leinenbinden und das Schweißtuch zurückgelassen hat, zeigt zum einen an, dass er diese Dinge nun nicht mehr braucht, um seine Würde zu schützen. Der Leib des Auferstandenen hat – selbst mit seinen Wundmalen – eine Würde, die ihm nicht mehr genommen werden kann.
Und ein Zweites: „Dass das Schweißtuch zusammengefaltet ist, ist ein Zeichen der Ordnung“ (A. von Speyr: Johanneskommentar, 206). Mit anderen Worten: Im leeren Grab herrscht kein Durcheinander, kein Chaos. Vielleicht darf man sogar sagen: Das zusammengefaltete Schweißtuch ist ein Zeichen dafür, dass das, was die Jünger sehen (auch wenn es sie zuerst erschreckt), so in Ordnung ist. Dass das Grab leer ist, ist kein Zufall und kein Unfall, sondern: So stimmt es. So ist es richtig. So entspricht es dem Weg Jesu. Der Auferstandene stellt den verwirrten Emmausjüngern die berühmte Frage: „Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?“ (Lk 24,26) Das will sagen: Was geschehen ist und wie es geschehen ist, ist in Ordnung so.
Dem Jünger, der mit Petrus ans Grab gelaufen ist, scheint genau dies im leeren Grab aufzugehen. Denn von ihm heißt es: „Er sah und glaubte.“ (Joh 20,8) Seine Ostererfahrung ist nicht so überwältigend wie die Erfahrung, die kurz danach Maria Magdalena machen wird. Diese ist von solcher Wucht, dass sie sie gar nicht für sich behalten kann. Dadurch wird sie zur ersten Osterzeugin. Die Erfahrung des Jüngers Johannes ist unspektakulärer, scheint eine Art von stillem Einverständnis: Er sah und glaubte …
4. Wie gut, liebe Schwestern und Brüder, dass es unterschiedliche Arten von Ostererfahrungen gibt: Die überwältigende Erfahrung der Maria Magdalena, das zunehmende Herzbrennen der Emmausjünger, die kritische und sich vortastende Art des Thomas … Zum Spektrum der Ostererfahrungen gehört auch die Erfahrung des Johannes: Da ist zunächst die schmerzliche Leere des Grabes. Aber die geheimnisvolle Ordnung, die in ihm herrscht, führt ihn zum Glauben. Denn sie sagt ihm: Alles ist gut.
Vielleicht ist dies die Art von Ostererfahrung, die sich nicht nur besonders für die Coronazeit eignet, sondern auch für das Ostern unseres Alltags, d. h. für die Zeit, in der wir nicht besonders hochgestimmt sind, sondern in der es darum geht, mit unangenehmen Überraschungen, mit Irritationen, mit Enttäuschungen und Verlusten umzugehen. Auch dafür bietet Ostern eine Antwort. Sie trifft uns vielleicht nicht direkt ins Herz. Sie braucht vielleicht ihre Zeit. Aber vielleicht wächst sie in uns so, wie der Glaube des Johannes aufgekeimt ist im leeren Grab: Er sah und glaubte. Wo dieser Glaube wächst und mit ihm die ruhige Überzeugung, dass Gott „bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt“ (Röm 8,28), da ist Ostern auch jenseits von Jubel und Festzeit.
Amen. Halleluja!