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erschrecken? sehen! weitergehen und weitersagen!!

Weitergehen und sich weiter entwickeln im Glauben

Predigt in der Feier der Heiligen Osternacht 2018 im Trierer Dom

Eigentlich müssten wir uns wundern, dass uns in der Osternacht ein Text als Oster-Evangelium vorgetragen wird, in dem der Auferstandene weder zu den Jüngern spricht noch überhaupt erscheint. Im Gegenteil: Zu den wesentlichen Aussagen dieses Textes gehört der Satz: „Er ist nicht hier“ (Mk 18,6) Im Evangelium dieser Nacht wird das Wort einerseits ganz den Frauen überlassen, die sich auf dem Weg zum Grab fragen, wie sie wohl den Rollstein, der das Grab verschließt, wegbewegt bekommen. Und andererseits kommt ein „junger Mann“ zu Wort, der „mit einem weißen Gewand bekleidet“ ist und dadurch als Engel ausgewiesen ist. Er spricht die entscheidenden Worte. Offensichtlich haben nicht nur die Frauen, sondern die ganze frühe Christengemeinde das, was der Engel am Grab sagt, als so wichtig, ja richtungsweisend empfunden, dass sie es behalten und weitergegeben haben.

Es sind vor allem drei Aufforderungen, die der Engel an die Frauen richtet. Auf sie möchte ich mit Ihnen intensiver hören. Denn sie sind so etwas wie Grundworte des österlichen Glaubens: Erschreckt nicht! – Seht! – Geht und sagt!

Erschreckt nicht!

In der Tat ein Grundwort der Bibel und besonders des Neuen Testaments. Im Evangelium hören wir es aus dem Mund des Engels, der Maria die Botschaft bringt, dass sie den Sohn Gottes gebären soll (Lk 1,30; vgl. auch 1,13). Das erste Wort des Engels an die Hirten auf den Feldern von Bethlehem heißt: „Fürchtet euch nicht, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll.“ (Lk 2,10) Die Botschaft des Evangeliums will keine Angst verbreiten. Gott will den Menschen nicht mit Schrecken in die Knie zwingen. Und dennoch weiß die Bibel um Erfahrungen, die Menschen bis ins Innerste berühren, ihnen den Atem verschlagen, sie geradezu erschüttern. Es ist die Erschütterung, die jemanden dort überkommt, wo er von der Wirklichkeit Gottes berührt wird und dabei spürt, wie sehr ihn diese Wirklichkeit übersteigt. Vielleicht ist die ursprünglichste Form solcher Erschütterung das Staunen, das uns überkommt angesichts der Größe, der Schönheit und der Vielfalt der Schöpfung, und wir mit den Worten der Genesis nur sagen können: „Siehe, alles war sehr gut!“ (Gen 1,31)

Freilich, die Frauen am Grab erleben eine andere Form von Erschütterung: Sie müssen feststellen, dass das, was sie als Ordnung der Natur kennen – dass nämlich alle Geschöpfe sterben müssen –, scheinbar außer Kraft gesetzt ist. Das Unausweichlichste, was es im Leben gibt, der Tod, ist in diesem Grab nicht mehr sicher. Wenn das kein Grund zur Erschütterung sein soll!

Deshalb das Wort: Erschreckt nicht! Es meint: Geratet nicht in Panik über das, was ihr hier seht! Verfallt nicht in Schreckensstarre! Es gibt ein Erschrecken, das lähmt. Und es gibt so etwas wie ein „heiliges Erschrecken“, das uns herausreißt aus unseren eingefahrenen Denkmustern und das uns für neue Erfahrungen öffnet. Ohne die Bereitschaft, sich in diesem Sinn aufschrecken zu lassen, kann es keine Ostererfahrung geben. Oder sagen wir es etwas undramatischer: Ohne die Bereitschaft, sich unterbrechen zu lassen, kann es keine Ostererfahrung geben. Wer derart abgebrüht ist, dass ihn nichts mehr erschüttern kann, der ist auch verschlossen gegenüber einer Gotteserfahrung. Also: Heilsame Erschütterung und die Bereitschaft, die eingespielten Muster unterbrechen zu lassen: Ja. Aber lähmendes Entsetzen: Nein.

Seht

Die zweite Aufforderung des Engels ist erstaunlich, geradezu widersprüchlich. Denn zunächst sagt der Engel den Frauen: „Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier.“ (Mk 16,6) Und im selben Atemzug sagt er: „Seht, da ist die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte.“ Der Engel sagt also nicht, wie man erwarten könnte: „Jesus, den ihr sucht, ist weg. Hier gibt es nichts mehr zu sehen.“ Nein, im Gegenteil: Obwohl Jesus nicht mehr dort ist, sollen die Frauen genau hinschauen … In diesem überraschenden Befehl des Engels zeigt sich ein Grundzug des österlichen Glaubens. Ich nenne ihn „die Liebe zur Wirklichkeit“. Denn der österliche Glaube überspringt die Wirklichkeit nicht: Das Konkrete bleibt wichtig. Die Geschichte wird nicht zurückgelassen. Das gilt auch für ihre schmerzlichen Seiten. So verschwinden auch die Wunden Jesu nicht, sie bleiben. Der Auferstandene lädt den Apostel Thomas ausdrücklich ein, seine Wunden zu berühren (Joh 20,27).

Wenn der Engel die Frauen dazu auffordert, näherzutreten, genau hinzusehen, sich eben nicht schnell abzuwenden, dann macht er damit auch deutlich, dass österliche Menschen keine Angst zu haben brauchen vor der Wirklichkeit, so verwirrend und erschreckend sie zunächst sein mag. Im Gegenteil: Wer an den auferstandenen Jesus glaubt, der kann den Mut und die Kraft gewinnen, auch dort noch hinzuschauen, wo andere sich erschreckt abwenden; die Augen nicht zu verschließen, obwohl man sich überfordert fühlt; auszuhalten in Situationen, vor denen man menschlich gesehen einfach nur weglaufen möchte. Wie viele Christen haben in der Geschichte des Glaubens schon diese Kraft gezeigt und tun es bis heute, weil sie an das Leben glauben, das den Tod besiegt und an die Liebe, die stärker ist als alles Leid und alle Grausamkeiten dieser Welt.

Geht und sagt!

Mit seinem letzten Wort schickt der Engel die Frauen nicht einfach fort. Er sagt nicht: „Geht jetzt weg!“ Er sagt ihnen, wohin sie gehen sollen: nach Galiläa. Galiläa ist die Gegend, in der alles begonnen hat. Galiläa ist ihre Heimat. Galiläa steht für den Alltag ihres Lebens. Und wenn es heißt: „Er, Jesus, geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen“ (Mk 16,7), dann bedeutet das: Ihr werdet Jesus in der vertrauten Umgebung eures Alltags begegnen. Die Begegnung mit Jesus ist nicht an besondere Orte und Zeiten gebunden. Er ist ja der Lebendige. Er lässt sich sehen, wie und wo er will. Er lässt sich sehen, wo immer Menschen ihm glauben und sich für seine Gegenwart öffnen.

Noch etwas kommt hinzu: Denn die dritte und letzte Aufforderung des Engels ist eine doppelte: „Geht und sagt!“ Verschweigt nicht, was ihr hier erlebt habt, auch wenn man euch nicht glauben sollte. Genauso kommt es ja auch: Nach dem Evangelisten Markus glauben die Jünger in Jerusalem weder dem, was Maria von Magdala als eine der drei Frauen, die zum Grab gegangen waren, ihnen sagt, noch glauben sie zunächst den beiden Emmaus-Jüngern (Mk 16,11-13). Aber dann verändert sich die Erfahrung: Erlebnis reiht sich an Erlebnis. Ein Wort gibt das andere, und die Begegnungen, die die Jünger mit dem Auferstandenen haben, verbinden sich und verstärken sich gegenseitig.

Deshalb gehört zu dem „Geht!“ untrennbar auch das: „Sagt!“ Keiner kann und soll den Weg des Glaubens alleine gehen. Es braucht die Gemeinschaft, und es braucht den Austausch. Der Glaube der einen lebt vom Glauben der anderen. Wenn stattdessen der Glaube schamhaft verschwiegen und versteckt wird, braucht man sich nicht zu wundern, dass er abnimmt und schwächer wird. Hätten die Frauen damals nichts gesagt, weil sie Angst hatten, dass ihnen sowieso niemand glaubt und sie sich lächerlich machen, hätte sich der Osterglaube sicher nicht so rasch ausbreiten können. Wie oft durfte ich persönlich schon erleben, dass dann, wenn ich mich als Christ, als Priester, als Bischof zu erkennen gegeben habe, mein Gegenüber sich ermutigt fühlte, sich ebenfalls als Christ zu outen, von sich persönlich zu sprechen, und es entstand eine Verbindung zwischen uns, in der etwas von der Lebendigkeit des Auferstandenen zu spüren war.

Liebe Schwestern und Brüder, wie oft ist in den letzten Monaten und Jahren von der christlichen Prägung unseres Landes die Rede. Ich muss ihnen ehrlich geschehen, dass dies für mich nicht selten rückwärtsgewandt klingt und irgendwie museal. Es klingt so, als ob Gräber und Monumente der Vergangenheit bewacht würden … Und so ist es auch, wenn wir nicht bereit sind, das Wort des Engels als Wort an uns zu hören: Geht und sagt! Das heißt: „Bleibt auf dem Weg des Glaubens. Und bleibt auf diesem Weg nicht stehen. Entwickelt euch weiter mit euren Fragen und euren Erfahrungen und bleibt damit nicht allein, sondern bekennt euch dazu und haltet Gemeinschaft untereinander! Dann werdet auch ihr spüren, wie lebendig Jesus ist.“

Dass Sie, liebe Schwestern und Brüder, gestärkt durch die Feier des Osterfestes, die Lebendigkeit Jesu neu erfahren, das wünsche ich Ihnen zusammen mit den Mitbrüdern des Domkapitels von ganzem Herzen!

Weiteres:

Osternacht 2018

in der Predigt