Das Coronavirus und die Maßnahmen, die weltweit zu seiner Eindämmung ergriffen worden sind, bescheren uns ein Osterfest, wie wir es noch nie erlebt haben. So wird es in diesen Tagen immer wieder gesagt. Es sind aber nicht nur die Einschränkungen der Gottesdienste an den höchsten Feiertagen der Christenheit, es ist auch die Unterbrechung des gesamten öffentlichen – und dadurch auch des privaten Lebens –, die einen Großteil der Weltbevölkerung trifft, unabhängig davon, ob es sich um Christen und Juden (In diesen Tagen findet auch das Pessachfest statt!) handelt oder nicht.
Normalerweise läuft in der Welt das Leben mit allen Höhen und Tiefen auch an den Hochfesten weiter, von den Feiertagsregelungen einmal abgesehen. Der Lauf der Welt respektiert diese Feste normalerweise nicht. Diesmal ist es anders. Sogar 70 Länder sind dem Aufruf von UN-Generalsekretär Guterres zu einer mehrwöchigen Waffenruhe gefolgt. Darunter selbst Konfliktparteien in Kolumbien, im Südsudan und in Syrien. Wir wissen: Es liegt leider nicht an Ostern, dass verfeindete Parteien sich darauf einlassen. Es liegt an Corona. Aber nun fällt eben beides zusammen. Und auch friedliche Aktivitäten, wirtschaftliche und touristische, sind in diesen Tagen faktisch ausgesetzt.
Vor wenigen Wochen hätten wir uns nicht vorstellen können, dass unsere Welt, in der alles so miteinander verflochten ist und komplex ineinandergreift, derart aus ihrem Rhythmus gebracht werden kann. „Shutdown“ ist ein sprechender Begriff dafür. An vielen Stellen hat man in unseren Städten und Gemeinden den Eindruck, es sei der Stecker gezogen …
Dass Gesellschaften zu einer solchen Unterbrechung ihres gewohnten Lebens fähig sind, ist nicht zu gering zu bewerten. Bedenken wir, dass es sich in der aktuellen Situation nicht um eine Naturkatastrophe handelt, die über uns hereingebrochen wäre und die Regierung und Bürgern gar keine andere Wahl gelassen hätte. Nein, die Unterbrechung unserer normalen Lebensmuster ist – auch wenn durch eine äußere Bedrohung angestoßen –, das Resultat von politischen Entscheidungen, die von den Bürgerinnen und Bürgern mitgetragen werden.
Ist es nicht ein gutes Zeichen für unser Gemeinwesen, dass in ihm nicht entschieden wird nach dem Gesetz des Stärkeren (dem halt eine bestimmte Anzahl von Menschen zum Opfer fällt), sondern dass wir versuchen, diejenigen, die besonders verletzlich und gefährdet sind, zu schützen und diejenigen, die ihnen helfen, nicht zu überfordern. Wir wollen die Lasten solidarisch tragen. In einer Zeit, in der es viele Rücksichtslosigkeiten gibt, ist das nicht zu unterschätzen!
Liebe Schwestern und Brüder! Kann man vielleicht sogar sagen, dass von der aktuellen Weltstunde ein Licht auf das Osterfest fällt? Und gilt das auch umgekehrt: Wirft Ostern ein Licht auf unsere derzeitige Situation?
Ein Schlüsselwort, das für mich Ostern und Corona miteinander verbindet, heißt Unterbrechung. Denn auch Ostern bedeutet im Kern eine Unterbrechung, die sich in dieser Weise niemand hat vorstellen können. Wir sehen das an den Reaktionen der Jüngerinnen und Jünger am leeren Grab und in der Begegnung mit dem Auferstandenen.
Und gerade die Feier der Osternacht macht uns darauf aufmerksam, dass nicht nur damals in Jerusalem, sondern eigentlich immer dann, wenn Gott sich naht, menschliche Denkmuster und Selbstverständlichkeiten unterbrochen werden. Sehr treffend hat schon vor Jahren der niederländische Schriftsteller Cees Noteboom gesagt: Die kürzeste Definition von Religion heißt Unterbrechung.
Die biblischen Lesungen, die wir gehört haben, sind dafür ein Beweis:
Der Prophet Jesaja hatte es im Auftrag Gottes schon formuliert, auch das haben wir gehört: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege … So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken.“ (Jes 55,8f) Im Tiefsten sind Gottes Gedanken immer Gedanken und Pläne des Heils und des Lebens, nicht Pläne des Unheils (vgl. Jer 29,11), auch wenn sie unsere menschlichen Planungen durchkreuzen. Dafür sind die Heiligen Drei Tage ein Beweis.
Liebe Schwestern und Brüder! Ostern feiern in der Zeit der Corona-Pandemie, heißt Ostern zu feiern in einer Zeit der Unterbrechung. Wir wollen diese Unterbrechung nicht zum Normalfall hochstilisieren. Eine Unterbrechung ist eben eine Unterbrechung. Wir hoffen, dass sich unser Leben möglichst bald wieder normalisiert. Eine ungeplante Unterbrechung kann aber auch eine heilsame Unterbrechung sein, die uns neue Einsichten und Aussichten auf unser alltägliches Leben erlaubt.
Für die Erfahrung von Ostern gilt in jedem Fall: Nur da, wo Menschen bereit sind, Unterbrechungen des Gewohnten zuzulassen statt sie zu ignorieren, kann Gott sich nahen. Und das tut er dann auch, überraschend, machtvoll und beglückend zugleich.
Amen, halleluja!