„Mutlosigkeit und Resignation sind die eigentlichen Steine, die uns blockieren und aus Lebensräumen Grabhöhlen machen.“ Das hat Bischof Dr. Stephan Ackermann in der Osternacht (3. April) im Trierer Dom gesagt. Weil die Frauen den Mut hatten zum Grab zu gehen, „hatte Ostern eine Chance“, konnten die Frauen sehen, dass der Stein weggewälzt war und auf den Engel treffen, der ihnen verkündet, dass Jesus auferstanden ist.
Der Bischof betrachtete den biblischen Bericht über den Gang zum Grab unter dem Aspekt, dass es andernfalls möglicherweise länger gedauert hätte, bis die Jünger dem Auferstandenen begegnet wären. „Wie gut, dass die Frauen nicht zu viele Überlegungen im Vorhinein angestellt haben und sich von möglichen Schwierigkeiten abschrecken ließen.“ Er regte alle an, die heute das Osterevangelium hörten, sich zu fragen, ob sie zum Grab gegangen wären.
1. Schon oft haben wir den Bericht über den Gang der Frauen zum Grab gehört, und doch gibt es in ihm für mich immer wieder neue Aspekte zu entdecken, weil die vier Evangelisten diesen Gang zum Grab mit unterschiedlichen Nuancen schildern. In diesem Jahr haben wir den Bericht in der Version des Evangelisten Markus gehört. Er erzählt, wie die drei Frauen bei Sonnenaufgang zum Grab gehen und sich auf dem Weg die Frage stellen, wer ihnen wohl den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen kann (Mk 16,3).
Aus der Distanz betrachtet könnte man sagen: Diese Frage fällt den Frauen ja reichlich früh ein ... Hätten sie das nicht besser überlegt, bevor sie aufbrachen? Oder wussten sie, dass Soldaten abgestellt waren, das Grab zu überwachen, und rechneten damit, dass ihnen einer helfen würde?
Den Stein vor dem Grab Jesu muss man sich wohl als einen sogenannten Rollstein vorstellen, ähnlich einem hochkant aufgestellten Mühlstein, der vor die Öffnung des Höhlengrabes gerollt werden konnte. Sicher war es nicht so einfach, einen solchen Stein zu bewegen.
2. Aber auf den zweiten Blick müssen wir sagen: Wie gut, dass die Frauen nicht zu viele Überlegungen im Vorhinein angestellt haben und sich von möglichen Schwierigkeiten abschrecken ließen. So konnten sie entdecken, dass der Stein bereits weggewälzt war und treffen auf den Engel, der ihnen verkündet, dass Jesus auferstanden ist. Er teilt ihnen auch mit, wo sie dem auferstandenen Jesus begegnen können: in Galiläa. So werden die Frauen zu den ersten Botinnen der Osterbotschaft.
Hätten sie sich rein von ihrer Vernunft leiten lassen, so wäre es zu dieser Erfahrung am Ostermorgen nicht gekommen, hätte es vielleicht länger gedauert, bis die Jünger dem Auferstandenen begegnet wären, hätte manch einer den Auferstandenen vielleicht sogar ganz verpasst … So aber hatte Ostern eine Chance!
Liebe Schwestern und Brüder, die Frage, die sich die Frauen stellen, klingt im Nachhinein überflüssig, weil sie sich am Grab von selbst löst. Der Stein ist bereits weggerollt. Die anderen Evangelisten erwähnen das Problem gar nicht mehr.
Dennoch hat es durchaus eine Bedeutung. Denn die Hörer bzw. Hörerinnen des Osterevangeliums, also auch wir, werden angeregt, darüber nachzudenken, wie wir wohl mit der Frage umgegangen wären: Sollen wir in der Morgenfrühe zum Grab gehen oder nicht?
Es hätte für die Frauen gute Gründe gegeben, es nicht zu tun. Mindestens drei, sehr vernünftig klingende Argumentationen fallen mir ein:
Die erste sagt: „Ausgerechnet jetzt zum Grab zu gehen, bringt nichts. Erstens ist es noch zu früh. Das Grab ist ohnehin verschlossen, und wir haben nicht die Kraft, den Stein wegzurollen. Wir warten auf einen besseren Zeitpunkt, um dann gemeinsam mit den Aposteln zu gehen.“
Eine zweite denkbare Reaktion sagt: „Sollen wir überhaupt noch zum Grab gehen? Jesus, der doch immer davon gesprochen hat, dass Gott, der Vater ihm zur Seite steht, hat uns mit seinem Tod am Kreuz so enttäuscht, dass wir jetzt einmal Abstand brauchen. Warum hat er am Kreuz denn nicht seine Macht gezeigt und ist herabgestiegen? Wenn er noch lebte, müsste er dafür Verständnis haben, dass wir nun erst einmal Zeit brauchen, um das zu verarbeiten …“
Die Frauen hätten auch sagen können: „Wenn wir jetzt zum Grab gehen, dann machen wir uns lächerlich vor den Leuten, die uns möglicherweise heute Morgen begegnen. Sie werden sagen: Die haben es immer noch nicht verstanden, dass ihr Jesus ein Scharlatan war und sie auf das falsche Pferd gesetzt haben …“
3. Liebe Schwestern und Brüder, sind das nicht gute, nachvollziehbare Gründe, um nicht zum Grab zu gehen, um zu Hause zu bleiben? Sind das nicht geradezu klassische Gründe, die wir kennen, um bestimmte Dinge nicht, gerade jetzt nicht zu tun?
So zu denken, ist nur allzu oft vernünftig. Aber es verhindert die Chance, neue, überraschende Erfahrungen zu machen.
Wir leben aktuell in einer Zeit vieler Bedenken. Gesellschaftlich und kirchlich haben die Bedenkenträger das Wort. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich rede hier nicht dem Leichtsinn oder der Bedenkenlosigkeit das Wort! Aber wenn wir den Mut verlieren, dann wächst die Gefahr der Resignation. Mutlosigkeit und Resignation sind aber die eigentlichen Steine, die uns blockieren. Sie machen aus Lebensräumen Grabhöhlen – in unserem privaten Leben, in unserer Kirche, in unserer Gesellschaft.
4. Gerade die Osterberichte zeigen, dass die Vernunft allein uns nicht auf die Spur von Ostern bringt. Es braucht mehr als die menschliche Vernunft, um Ostern zu erfahren. Wären die Frauen bloß ihrer Vernunft gefolgt, so hätten sie die Osterbotschaft nicht erfahren.
War es aber einfach Unvernunft, die die Frauen antrieb? Nein. Das kann man sicher nicht sagen. War es der Glaube? Der Glaube an Jesus, den Sohn Gottes, kann es nicht gewesen sein, denn Jesus war ja in ihren Augen gerade hochgradig gescheitert. Und es erst recht kann es nicht der Glaube an die Auferstehung gewesen sein, der sie zum Grab trieb. Nein, vor dem Glauben stand die Liebe. Sie hat die Frauen am Ostermorgen aufbrechen lassen zum Grab. Die schlichte Liebe zu Jesus hat ihnen die Tür zu Ostern geöffnet. Sie hat auch den Stein vom Grab weggerollt.
Liebe Schwestern und Brüder, vielleicht kennen Sie das schöne Gedicht von Erich Fried (+ 1988) über die Liebe (Was es ist). Es könnte auch ein Ostergedicht sein:
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Sie behält Recht, und so wird Ostern.
Amen. Halleluja!