Schriftlesungen:
Am Pfingsttag befanden sich alle am gleichen Ort (aus der Apostelgeschichte)
Keiner kann sagen: Jesus ist der Herr! (aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther)
Friede sei mit Euch! (Evangelium nach Johannes)
Liebe Schwestern und Brüder hier in der Bernhardkirche und zu Hause am Fernsehen!
Das Bild, das wir von Pfingsten haben, ist ganz geprägt vom Bericht der Apostelgeschichte. Wir haben ihn in der ersten Schriftlesung gehört: Zum Pfingstereignis gehören für uns untrennbar Feuer und Sturmesbraus, aber auch das sogenannte Sprachenwunder: »Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab«, heißt es im Bericht des Evangelisten Lukas (Apg 2,4). Die Menschen geraten außer sich vor Staunen und sagen: »Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören?« (Apg 2,7f).
Wie soll man nun das, was sich damals in Jerusalem zugetragen hat, verstehen, liebe Mitchristen? Ich persönlich konnte mir noch nie so recht vorstellen, dass die Jünger als einfache und eher ungebildete Leute, die sie waren, von einem Moment auf den anderen zu »Fremdsprachengenies« geworden sind ...
Zu einem besseren Verständnis mag uns eine Erfahrung aus Bolivien und der Weltkirche helfen. Ich verdanke sie Leo Schwarz, einem unserer Weihbischöfe im Bistum Trier. Leo Schwarz war einer der ersten Priester, die 1962 von Trier nach Bolivien gingen. Damit fing die Partnerschaft an. Die Liebe, die Bischof Schwarz zu diesem Land und seinen Menschen entwickelt hat, lässt ihn bis heute nicht los. Als inzwischen 78-Jähriger verbringt er mehr als die Hälfte des Jahres in Bolivien. Er hilft dort in einem Wallfahrtsort im Süden des Landes, unweit der argentinischen Grenze. Immer wieder berichtet er von seinen Erlebnissen. So schreibt er in einem seiner Rundbriefe: »Der Andrang der Pilger an manchen Tagen, besonders zu Beginn der Wallfahrt, ist unvorstellbar. Um drei Uhr morgens beginnen die Pilgerströme. Um vier Uhr wird die Kirche geöffnet. Zehn Minuten später gibt es kein Durchkommen mehr. Viele sind von dem sechzig Kilometer langen Anmarsch so erschöpft, dass sie irgendwo mit hochgezogenen Beinen auf dem Boden sitzen und den ersten Gottesdienst um fünf Uhr erwarten. Einige haben ihre Gnadenbilder mitgebracht, die sie jetzt schlaftrunken und glücklich im Schoß halten ... Ab vier Uhr gilt das Beichtangebot. Wehe, wenn ich dann allein bin. Wer gut pilgert, der denkt nach und der weiß, was er zu bekennen hat. Bekenntnis und Aufatmen gehören zusammen und wie viel Erleichterung und immer die Tränen. Die Reihe der Wartenden wird nicht kleiner. Irgendwann kommt die Angst, man schafft es nicht mehr. Als Kaplan an der Mosel habe ich Ähnliches erlebt. In Osteuropa gilt das bis zur Stunde. In einem kleinen Dorf in Albanien kam die ganze Gemeinde geschlossen zur Beichte, und ich habe kein Wort verstanden. Mit dem Dolmetscher wollte ich den Leuten die Beichte ausreden. Keine Chance. Aber auf einmal versteht man alles. Es ist Gnade, in diese Gesichter zu schauen nach den unmenschlichen Zeiten der Verfolgung und der Drangsal. In Bolivien ist das nicht anders« (Brief vom November 2008).
»... Aber auf einmal versteht man alles«: Das ist die Erfahrung von Pfingsten. Sie ist keine Frage von Wortschatz und Grammatik. Hier geht es um ein Verstehen auf einer viel tieferen Ebene. Es ereignet sich dort, wo Menschen sich ins Gesicht sehen, wo sie einander als Personen wahrnehmen, als Kinder des einen Vaters im Himmel. So werden aus Fremden Brüder und Schwestern. So werden aus Fernen Nahe, ja Nächste. Das bewirkt der Geist Gottes. Denn es ist der Geist, den schon der Schöpfer in uns hinein gelegt hat und der uns alle miteinander verbindet.
Deshalb, liebe Schwestern und Brüder, sind wir als Christen auch davon überzeugt, dass jeder Mensch in der Tiefe irgendwie ansprechbar ist für die Botschaft des Glaubens: Sie will ja gerade keine Geheimbotschaft sein, die nur von wenigen Auserwählten verstanden wird. Nein, sie ist die »gute Nachricht«, nach der sich das Herz jedes Menschen sehnt. Denn sie sagt ihm: Dass es dich gibt, ist kein Zufall, ist keine bloße Laune der Natur. Hinter deiner Existenz steht ein schöpferischer und planvoller Geist. Und noch mehr: Dieser Geist, der dich ersonnen und gewollt hat, ist nicht nur schöpferisch-genial. Er ist zugleich der Geist der Liebe. Das hat uns derjenige offenbart, der ganz und gar vom Geist Gottes erfüllt war: Jesus Christus. Er hat seinen Jüngern seine Liebe erwiesen bis zum Äußersten. Zum Zeichen dafür hat er ihnen vorher die Füße gewaschen, selbst seinem Verräter.
Beim ersten Pfingstfest in Jerusalem können die Menschen die Botschaft von Jesus, dem Christus, verstehen, weil sie sich verstanden fühlen. Mit Hilfe seines Geistes haben Petrus und die anderen Apostel offensichtlich die richtigen Worte gefunden, um die Menschen in der Tiefe anzusprechen. Später wird es in der Apostelgeschichte sogar ausdrücklich heißen: »Als die Menschen das hörten (was Petrus sagte), traf es sie mitten ins Herz« (Apg 2,37). Denn das gehört auch dazu: Wer sich dem Geist Gottes öffnet, der versteht nicht nur die Botschaft Gottes, der versteht auch den Menschen in seinen Freuden und Fragen, seiner Sehnsucht und in seinem Schmerz, selbst wenn er nicht die Sprache des anderen spricht. »Aber auf einmal versteht man doch alles ...«, - hieß es im Bericht aus Bolivien.
Wenn das stimmt, liebe Schwestern und Brüder, dann ist es leider nicht verwunderlich, warum wir uns oft so schwer tun, einander zu verstehen, selbst da, wo wir dieselbe Sprache sprechen, und sei es nur die Programmsprache der Computer, die uns global miteinander verbindet. Abermillionen von Menschen beherrschen sie, und doch stehen wir in der internationalen Völkergemeinschaft oft so verständnislos einander gegenüber. Ich empfinde das besonders erschreckend dort, wo es um die elementaren Fragen geht, die uns als Menschen gemeinsam sind. Denken wir nur an das Problem des Klimawandels oder die Bekämpfung der Armut. Wie schwer tun wir uns hier, wirksame Fortschritte zu machen, weil wir so sehr auf uns bedacht sind. Zusammen mit vielen anderen will ich übrigens nicht die Hoffnung aufgeben auf eine Steuer, die nicht nur die Bürger Europas schützt vor maßlosen Spekulationsgeschäften, sondern auch Geldmittel einbringt zur Verringerung der weltweiten Armut.
Liebe Schwestern und Brüder, wir brauchen den Geist von Pfingsten heute nicht weniger als die Menschen vor 2000 Jahren. Er hat damals die Apostel aus ihrer Ängstlichkeit und Selbstbefangenheit befreit. Er hat auch heute die Kraft, uns aus unserer Selbstbefangenheit und unserem ängstlichen Kreisen um uns selbst herauszureißen. Denn wenn wir allzu sehr auf uns schauen, wenn wir statt dem Geist Gottes nur unserem eigenen »Klein-Geist« folgen, unserem Eigen-Sinn, dann werden wir den Anderen gegenüber kalt, verständnislos und stumm. In der Sprache des Glaubens nennt man das Sünde. Ihr Wesen ist nichts anderes als die Verschlossenheit des Menschen in sich selbst.
Von hier aus verstehen wir schließlich auch das Pfingstbild, das uns das Johannesevangelium an diesem Tag vor Augen stellt. Es ist viel stiller und inniger als der Bericht der Apostelgeschichte. Da ist kein Feuer, kein Sturmesbraus. Stattdessen haucht der Auferstandene seine Jünger mit seinem Geist an und verknüpft diese Gabe mit der Gabe der Vergebung der Sünden. Das scheint zunächst überraschend, doch bei näherem Hinsehen wird klar: Die Gabe des Heiligen Geistes besteht gerade darin, den Menschen aus seiner sündigen Selbstverschlossenheit zu befreien und seinen Blick und sein Herz neu zu öffnen für Gott und die Menschen, damit neues, damit wirkliches Verstehen möglich wird.
Wo immer Menschen bereit sind, sich dem liebenden und vergebenden Geist Jesu zu öffnen, da wird Neuanfang möglich mitten im Alten, da ist Pfingsten nicht nur am Pfingstsonntag. Amen.