Bischof Ackermann feierte das Requiem für den verstorbenen emeritierten Papst Benedikt XVI. und gedachte des vor 16 Jahren verstorbenen früheren Trierer Bischofs Spital.
Die Schriftlesungen, die wir gehört haben, sind nicht eigens für dieses Requiem ausgesucht. Es sind die biblischen Texte, die auf den heutigen Tag in der beginnenden Zeit des Jahreskreises fallen. Ich habe mich entschieden, sie zu belassen. Das hat zum einen seinen Grund darin, dass es Papst Benedikt immer ein Anliegen war, deutlich zu machen, dass nicht wir die Herren des Wortes sind, d. h. uns das biblische Wort zu suchen, das zu uns oder zu einer bestimmten Situation passt, sondern uns dem lebendigen Wort Gottes zu unterstellen und auf die Botschaft, die es für uns enthält, zu hören.
Darüber hinaus fügt es sich schön, dass es vom verstorbenen Papst, noch als Josef Ratzinger, eine Predigt gibt, die sich genau auf diesen Abschnitt aus dem Markusevangelium bezieht [1]. So können wir uns im Verständnis dieses Textes vom Verstorbenen inspirieren lassen und zugleich Elemente entdecken, die die Verkündigung und den Dienst von Papst Benedikt gekennzeichnet haben.
Schauen wir auf den Text: Die Verse des Tagesevangeliums schließen bei Markus unmittelbar an die Erzählung von der Taufe und der Versuchung Jesu und die Berufung der ersten Jünger an. Sie beschreiben die ersten Schritte Jesu in der Öffentlichkeit. Diese Schritte führen ihn zum Sabbatgottesdienst in die Synagoge.
Für Benedikt ist das kein Zufall: Denn Jesus sah sich in der Gemeinschaft des glaubenden Israel. Deshalb geht er zum Gebet und zum Hören der Heiligen Schrift in die Synagoge. Er wird dies während seines öffentlichen Wirkens immer wieder tun und in Jerusalem den Tempel aufsuchen.
Wie oft hat Papst Benedikt betont, dass wir das Wort Gottes einerseits ganz persönlich hören, hören müssen, aber dies andererseits doch nicht allein tun können. Das Wort Gottes braucht die gläubige Versammlung, braucht die Gemeinschaft der Kirche. Dieser Gemeinschaft ist Jesu Botschaft anvertraut. In dieser Gemeinschaft wird sie durch die Geschichte hindurch immer wieder gehört, gelebt und bezeugt – trotz all der Grenzen und der schrecklichen Verfehlungen, die es in dieser Gemeinschaft gibt. Ohne diese Gemeinschaft würde das Wort Gottes auf Dauer verhallen und vergessen.
Deshalb war es dem Papst so wichtig, immer wieder auf diese Gemeinschaft hinzuweisen, für sie zu werben, ja, davor zu warnen, sich von ihr zu trennen. In ihr begegne ich dem lebendigen Gott.
Ein Zweites: Die Reaktion der Menschen auf die Predigt Jesu ist stark: Die Menschen waren sehr betroffen von seiner Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der göttlicher Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten. (Mk 1,22) Papst Benedikt, selbst wahrhaftig ein Gelehrter der Theologie, hat oft die Theologen und Schriftgelehrten unserer Zeit kritisiert. Dabei nahm er eine bestimmte Form von Gelehrsamkeit aufs Korn: Es war die Art von Gelehrsamkeit, die Gott und sein Wort wie ein Objekt betrachten, das man bildlich gesprochen auf den Seziertisch legt, um es in Einzelteile auseinanderzunehmen und zu analysieren.
Für ihn war diese Art des Umgangs mit dem Wort Gottes nicht nur eine Form von Überheblichkeit, er sah darin auch die Gefahr, dass das Ganze und Eigentliche der Botschaft verloren geht. Die rechte Haltung hieß für ihn: Sich dem Wort zu unterstellen. Das Wort wirken zu lassen in seiner ganzen Ursprünglichkeit und Wucht, die dann auch zur Unterscheidung der Geister und zur Entscheidung drängt, wie es in der Erzählung vom Besessenen deutlich wird:
Die Dämonen spüren im vollmächtigen Wort Jesu die Gegenwart Gottes selbst. Deshalb ihre harsche Reaktion: Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? (Mk 1,23f) Die Dämonen kapieren (schneller als die Menschen in der Synagoge), mit wem sie es hier zu tun haben.
Von dem großen Schweizer Theologen Hans Urs von Balthasar, mit dem Benedikt XVI. freundschaftlich verbunden war, gibt es das eindrückliche Wort: Wer die Botschaft [Christi] wirklich hört, der hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder er fällt anbetend auf die Knie, oder er hebt Steine auf, um danach zu werfen.
Die Dämonen sind im Evangelium die ersten, die Jesus erkennen, als den, der er ist. Deshalb schreien sie: Wir wissen, wer du bist: Der Heilige Gottes! Das Problem ist nur: Aus der Erkenntnis wird kein Bekenntnis zu Jesus Christus.
Trotzdem werden die Dämonen mit ihrem Geschrei – gewissermaßen gegen ihren eigenen Willen – zu Zeugen für Christus. Deshalb stellt diese Erzählung aus der Synagoge in Kafarnaum für Papst Benedikt keine Lehrstunde über Dämonen dar, sondern über Jesus Christus. Es geht darum zu sehen, wer Jesus ist.
Gleich zu Beginn des Evangeliums soll deutlich werden: In Jesus von Nazareth wirkt die Macht des lebendigen Gottes. Oder andersherum gesagt: Gottes Macht wird konkret in Jesus von Nazareth. In ihm bekommt sie ein Gesicht. Durch ihn ist sie nicht mehr eine antlitzlose Macht, sondern zeigt sie sich als lebendige Person. So offenbart die Erzählung von der Heilung des Besessenen nicht nur, wer Jesus ist, sondern auch, wer Gott ist.
In einer Predigt, noch als Kardinal, hat der Papst einmal gesagt: „Vergessen wir nicht, dass Gott rätselhaft bleibt, wenn er nicht im Antlitz Christi erkannt wird.“ [2]
Ich empfinde das als einen sehr wichtigen und ehrlichen Satz. Er macht klar: Gott bleibt für uns Menschen immer ein unauflösbares Geheimnis, und das ist wichtig und richtig so. Aber wenn dieses Geheimnis zu einem bloßen Rätsel wird, dann bleibt am Ende nur die Unbegreiflichkeit, die dunkle Seite Gottes, die bedrohlich ist und Angst macht. „Vergessen wir nicht, dass Gott rätselhaft bleibt, wenn er nicht im Antlitz Christi erkannt wird“: Allein im Antlitz Jesu, in seinen Worten, in seiner Liebe hellt sich das Geheimnis Gottes für uns Menschen auf. Kein Wunder, dass es Benedikt XVI. so wichtig war, die drei Bücher zu schreiben, die den schlichten Titel tragen: Jesus von Nazaret.
Für mich ist die klare Zentrierung auf Jesus etwas, das Papst Benedikt übrigens sehr mit dem verstorbenen Bischof Hermann Josef verbindet. Die Jesusfrömmigkeit ist ein wichtiges Vermächtnis beider Bischöfe: Es regt mich persönlich immer wieder an, nicht in einer allgemeinen Rede über Gott zu verbleiben, sondern mein Denken und Sprechen daraufhin zu befragen, ob Jesus konkret darin vorkommt.
Liebe Schwestern und Brüder! Einmal während seiner Pontifikatszeit hat Papst Benedikt sich direkt an unser Bistum Trier gewandt. Es war anlässlich der Heilig-Rock-Wallfahrt im Jahr 2012. Zu diesem Ereignis hat der Papst uns eine Botschaft zukommen lassen. Sie trägt das Datum des Karfreitags 2012. Von Inhalt und Stil her könnte er sie tatsächlich selbst verfasst haben.
Zum Schluss dieser Botschaft greift er das Wallfahrtsmotto auf und schreibt: Die Jubiläums-Wallfahrt steht unter dem Leitwort, ja unter der Bitte an den Herrn ,,Und führe zusammen, was getrennt ist“. So wollen wir nicht in der Vereinzelung stehenbleiben. Wir wollen den Herrn bitten, dass er uns auf dem gemeinsamen Weg des Glaubens führe und uns seine Inhalte wieder neu lebendig mache. So können wir im Zusammenwachsen aller Christen im Glauben, im Gebet und im Zeugnis mitten in den Nöten dieser Zeit auch seine Herrlichkeit und Güte erkennen.
Wenn der Papst hier in der Wir-Form spricht, dann wohl nicht nur, weil Prediger das gerne so machen, sondern weil darin im Grunde sein eigenes pastorales Programm erkennbar wird: Benedikt XVI. wollte Menschen, insbesondere die Glaubenden, aus der Vereinzelung herausführen auf den gemeinsamen Weg des Glaubens. Er wollte die Inhalte des Glaubens immer wieder neu lebendig werden lassen. Und: Er war davon überzeugt, dass wir auch in allen Nöten der Zeit Gottes Herrlichkeit und Güte erkennen können.
Für dieses Zeugnis sind wir Papst Benedikt von Herzen dankbar und wünschen ihm, dass er nun selbst unverstellt die Herrlichkeit und Güte Gottes schauen darf.
[1] Predigt am 4. Sonntag im Jahreskreis, Regensburg 1976 („Das Wort Gottes im Hier und Heute gegenwärtig machen“), JRGS 14/ 2 737-741.
[2] Requiem für Mons. Luigi Giussani am 24. Februar 2005 im Dom zu Mailand (dokumentiert im Internet auf der Homepage des Dikasteriums für die Glaubenslehre).