Schriftlesungen: Apg 8,1b-8/ Joh 6,35-40
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
vor allem aber liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst!
Wir treffen uns zum Priestertag in schwieriger Zeit: Die Kirche in unserem Land befindet sich in einer spürbaren Krise. Die Gründe dafür sind uns bekannt und werden uns jeden Tag vor Augen geführt: Priester haben Kinder oder Jugendliche, die ihnen anvertraut waren, sexuell misshandelt und dadurch das in sie gesetzte Vertrauen aufs Schrecklichste verraten; die Opfer sind dadurch zum Teil für ihr ganzes Leben psychisch wie physisch schwer beeinträchtigt; Verantwortliche in der Kirche haben ihre Verantwortung zu einseitig am Wohl der Kirche und der Täter ausgerichtet. Hinzu kommen aktuelle kommunikative Fehler auf der Ebene der Bischofskonferenz, wie auch auf römischer Ebene. Und dann das mediale Spektakel mit all den gut gemeinten, weniger gut gemeinten oder gar feindseligen Kommentaren gegenüber der Kirche. Seit Wochen bildet das eine belastende Melange von sachlichen Informationen und Kommentaren, von Unterstellungen, Wichtigtuereien und Polemiken; und dazwischen immer wieder erschütternde Berichte von Opfern oder Zeugen ...
Der bildhafte Vergleich mit dem isländischen Vulkan, der Europa in den letzten Tagen in Atem hielt, scheint für die Krisensituation der Kirche nicht so abwegig: Es ist, als ob eine Kruste aufgebrochen wäre und sich nun mit Macht aus den Tiefen der jüngeren Vergangenheit eine giftige, stinkende Wolke entladen würde, die sich auf die Kirche legt und alles mit einem Staubschleier bedeckt. Keine Zeit für triumphierende kirchliche »Höhenflüge« ...
Ich habe mich übrigens schon ein paar Mal gefragt: Wieso geschieht das alles ausgerechnet im Priesterjahr, wo es um die Heiligung und Treue der Priester gehen soll? Manch einer, das ist mir durch verschiedene Wortmeldungen, die mich erreichten, deutlich geworden, sieht hier Satan am Werk ... Aber das alles wird nicht gegen den Willen des Herrn geschehen. Vielleicht will er, dass die Heiligung und Erneuerung der Treue der Priester durch diese Art schmerzlicher Reinigung hindurch geschieht.
Deshalb will ich hier trotz allem offen bekennen, dass ich weiterhin froh und stolz bin, Priester und Bischof Jesu Christi in dieser Kirche zu sein. Und ich möchte Sie, liebe Brüder, heute auch noch einmal zu dieser Haltung ermutigen. »Wir sind froh und stolz, Priester zu sein«, das sollen wir nicht trotzig sagen im Sinne eines »Jetzt erst recht«. Nein, wir dürfen und sollen es aber sagen aus dem demütigen Selbstbewusstsein heraus, dass wir im Dienst einer Botschaft stehen dürfen, die kraftvoll ist wie am ersten Tag und die wie keine andere den Menschen und der Welt auch des dritten Jahrtausends Hoffnung zu geben vermag. Verzagtheit ist also nicht angebracht.
Nachdenklichkeit aber ist erlaubt. Und ich erlebe Nachdenklichkeit an vielen Stellen: Keinen lassen die Diskussionen kalt, in denen sich zunehmend die Frage von sexueller und körperlicher Gewalt miteinander vermischen. Aufgewühlt durch die Schilderungen von Opfern geht man unwillkürlich der eigenen Biographie nach, fragt sich: Welche Erfahrungen von Gewalt habe ich gemacht? Wo bin ich womöglich Opfer gewesen? Wo bin ich – etwa im Hinblick auf körperliche Gewaltanwendung – zum Täter geworden? Wo bin ich schuldig geworden durch Nichtsehenwollen und Schweigen? Von solchen Fragen werden in diesen Wochen nicht nur Priester, sondern unzählige Menschen quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen umgetrieben. In den Gesprächen, die ich führe, ist dies immer wieder spürbar.
Gott sei Dank dürfen viele mit einer Mischung von Erstaunen und Dankbarkeit feststellen, dass sie selbst bewahrt geblieben sind vor Erfahrungen von Misshandlung und Missbrauch, bewahrt geblieben vor bestimmten Verwundungen oder auch Gefährdungen. Manch einer nimmt verwundert wahr, dass er trotz bestimmter Erfahrungen im Stande ist, ein normales Leben zu führen, ja vielleicht sogar Heilung möglich war. Manch einer stellt dankbar staunend fest, dass er bewahrt geblieben ist vor eigenen Abgründen von Aggression und Sexualität, bewahrt geblieben vor heiklen Situationen. Liebe Brüder, wie auch immer die Situation jedes einzelnen sein mag, im Grunde kommt keiner vorbei an dem kritisch fragenden Blick auf sich selbst.
Als Christen, zumal als Priester wollen wir aber nicht stehen bleiben bei den Stimmen, die um uns und in uns zu hören sind. Es gilt, unter all den Stimmen auch die Stimme Jesu zu hören. Hören wir sie, so wie sie konkret an diesem Morgen im Evangelium vom Mittwoch der dritten Osterwoche zu uns spricht. Ihre Botschaft ist unmissverständlich: »Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben« (Joh 6,35). Es ist eines der zentralen Grundworte Jesu. Wie die anderen »Ich bin«-Worte Jesu aus dem Johannesevangelium ist auch dieses Wort eine der Verdichtungen, in denen Jesus auf den Punkt bringt, wer er ist und worum es ihm geht: »Ich bin das Brot des Lebens ...« Weil es ein Grundwort Jesu ist, ist es auch ein Grundwort des priesterlichen Dienstes: Nichts anderes haben wir in Jesu Auftrag immer wieder auszurichten durch unsere Verkündigung, durch die Feier der Sakramente, vor allem der Eucharistie, sowie durch unsere eigene Existenz: Er ist das Brot des Lebens; wer zu ihm kommt, wird nie mehr hungern, und wer an ihn glaubt, wird nie mehr Durst haben.« Wie oft haben wir das schon gesagt!
Mehr noch: Wenn wir der Wahrheit dieses Wortes nicht geglaubt hätten, wären wir nicht Priester geworden. Glauben wir ihr immer noch? Klingt das Wort Jesu nicht doch zu vollmundig und unproblematisch? Ist das unsere Erfahrung, dass in Jesus wirklich definitiv aller Lebenshunger und -durst gestillt ist? Die aktuellen Debatten zeigen uns auf schmerzliche Weise, welche fehlgeleiteten und grausamen Formen der Hunger nach Leben, nach Macht, nach Nähe annehmen kann, auch unter Priestern! »Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern.« Es liegt uns auf den Lippen, Jesus zu widersprechen und zu sagen: »Herr, das meinst du doch nicht wirklich ernst. Du kennst doch uns Menschen. Du kennst unseren Hunger nach Sinn, nach Erfüllung, nach Gemeinschaft ... Du weißt besser als wir alle zusammen, wieviel ungestillter Hunger in uns ist! Und da sagst du: Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern ...« Wie sollen wir das verstehen?
Liebe Mitbrüder, wenn ich diese Frage im Hier und Heute zu beantworten versuche auf dem Hintergrund der derzeitigen kirchlichen Situation, aber etwa auch aufgrund der Erfahrungen meiner Priestergespräche in den verschiedenen Dekanaten, dann will mir scheinen, dass ich selbst dieses Jesuswort vom Brot des Lebens bisher zu statisch und zu abschließend verstanden habe. Was meine ich damit? Ich meine damit, dass ich das Wort Jesu bisher so verstanden habe, als ob jemand dann, wenn er getauft, gar zum Priester geweiht ist, schon definitiv bei Jesus angekommen wäre. Wir müssen aber ehrlich sehen, dass Christsein und Priestersein nicht Angekommensein bedeutet, sondern Unterwegssein und Unterwegsbleiben. Unser Leben ist ein »Kommen und Gehen« im wahrsten Sinne des Wortes. Unser Weg als Christen, als Priester ist doch nicht automatisch eine gerade Linie, die immer nur in eine Richtung – das heißt: auf Jesus zu – führt. Unser Leben als Christen ist doch nicht ein dauerndes, beruhigtes Ankommen oder gar Angekommensein. Nein, es gibt in uns die Schwerkraft des sündigen Menschen, die uns immer wieder von Jesus wegdrängen will; die dazu verleiten will, unseren Lebenshunger woanders zu stillen. Wir müssen immer wieder auf der Hut bleiben, dass wir nicht abdriften, sondern im »Kommen« bleiben, das heißt im Zugehen auf Jesus Christus.
Das, liebe Brüder, kann niemand allein. Allein werden wir den Weg nicht schaffen. Dazu sind die Fliehkräfte dieser Welt, aber auch die Fliehkräfte unseres konkreten Dienstes zu stark. Wir brauchen einander, um uns gegenseitig auf dem Weg zu halten, der zu Ihm führt. Das aber geht nicht ohne eine neue Kultur der Brüderlichkeit und Verbindlichkeit untereinander und mit dem Bischof. Wir müssen einander bestärken auf dem Weg der Nachfolge, aber auch sagen, was uns Sorge macht, wo wir den Eindruck haben, da führt ein Weg vom Herrn weg.
Liebe Mitbrüder, liebe Brüder und Schwestern, wir befinden uns in bedrängter Zeit. Dass aber Zeiten der Bedrängnis nicht automatisch zur Schwächung des Glaubens und zur Auflösung der Kirche führen, daran hat uns die österliche Lesung aus der Apostelgeschichte erinnert. Wir haben es gehört: Nach der Steinigung des Stephanus war über die Gemeinde in Jerusalem eine schwere Verfolgung hereingebrochen. Die Gläubigen wurden zerstreut, wie Lukas schreibt. Das Interessante daran ist, dass die Zerstreuung nicht zur Auflösung der Gemeinschaft führt, sondern im Gegenteil zum Grundstein der Mission wird. Obwohl die Gläubigen Jerusalem verlassen müssen, den Ort des Tempels, den Ort der zentralen Ereignisse des Lebens Jesu, den Ort der Geistausgießung, obwohl sie mitten in das heidnische Samarien fliehen müssen, wird die Flucht kein Weg von Jesus weg, sondern ein Weg auf Jesus zu. Noch mehr; es kommt hinzu: Die Jünger bleiben auf diesem Weg nicht allein, sondern sie gewinnen noch andere hinzu, nehmen viele mit auf den Weg zu Jesus.
Beten wir darum, dass auch unsere Wege, durch welche Bedrängnisse und Umwege sie innerlich und äußerlich auch führen mögen, im Tiefsten Wege sind auf Ihn zu, das Brot, das den Hunger unseres Lebens und der ganzen Welt stillt. Amen