Liebe junge Sängerinnen und Sänger der Pueri Cantores
mit allen, die zu Euch gehören! Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
Ihr seid mit mehr als 100 Chören nach Trier gekommen – nicht um einen Sängerwettstreit abzuhalten, wie man das vermuten könnte, wenn so viele Chöre zusammenkommen. Immerhin ist ja ein Sängerwettstreit eine edle Sache: Sich zu messen, welcher Chor der beste, der Meisterchor ist und wer die „Meistersinger“ sind. Nein, wenn Ihr mit den Pueri Cantores zusammenkommt, dann, um zu singen, um Euch gegenseitig zu hören und Gemeinschaft zu erfahren. Mich hat es in diesen Tagen beeindruckt, zu erleben, wie oft Ihr Euch gegenseitig Applaus gegeben habt, Euch gefreut habt am Können und an der Leistung anderer. Sich von Herzen über und für andere zu freuen, das ist in unserer Welt eher selten geworden. Umso schöner, es zu erleben. Kompliment!
Aber von der Gründung der Pueri Cantores her habt Ihr ja auch einen Auftrag: Abbé Fernand Maillet, der Gründer der Pueri Cantores, wollte, dass die Pueri musikalische Botschafter des Friedens in ihrer Zeit sind. Botschafter des Friedens brauchen wir wahrhaftig in unserer von Krisen geschüttelten Welt! Gott sei Dank dürfen wir in unserem Land nach zwei furchtbaren Weltkriegen schon seit sieben Jahrzehnten in Frieden leben. Aber ich glaube, Papst Franziskus hat ganz recht: Es findet in unserer Welt so etwas statt wie ein „Dritter Weltkrieg“; aber der wird stückchenweise an verschiedenen Orten ausgetragen. Deshalb brauchen wir Menschen, die es mit dem Frieden ernst meinen, die sich von Herzen einsetzen für den Frieden.
Aber wie ist das eigentlich: Kann man denn für den Frieden singen? Bringt das etwas? Besser als alle anderen wissen Musiker, wie flüchtig Musik ist, wie schnell sie verklingt, wie leicht sie im Lärm untergeht, wie leicht man sie abdrehen kann… Singen für den Frieden – ist das sinnvoll? Ist das nicht so etwas wie das Pfeifen im dunklen Wald, mit dem man versucht, sich die Angst zu vertreiben?
Ich möchte Euch nur zwei Beispiele erzählen, die mir zeigen, dass das Singen und Musizieren für den Frieden mehr sein kann, viel mehr als ein hilfloses Pfeifen gegen das Krachen von Bomben und die unheimliche Stille des Todes.
Für das erste Beispiel müssen wir etwa 130 Jahre zurückgehen ins Jahr 1886. Da betritt ein junger Mann von 18 Jahren am ersten Weihnachtstag die Kathedrale Notre-Dame von Paris. In der Kathedrale wird gerade die Weihnachtsvesper gesungen. Der junge Mann, der aus einem aufgeklärten, nichtreligiösen Elternhaus stammt, verweilt eine Zeit in der Kirche, und dann singen die Sängerknaben das Magnificat, den Lobgesang der Maria, wie wir das in jeder Vesper tun. Nachher wird er über diesen Moment sinngemäß sagen: „In jenem Augenblick geschah das Ereignis, das mein ganzes Leben bis heute beherrscht. In einem Nu wurde mein Herz ergriffen. Ich glaubte mit einer so mächtigen inneren Zustimmung, dass für Zweifel kein Platz mehr blieb. Von diesem Tag an haben die Wechselfälle, die verschiedenen Ereignisse meines Lebens meinen Glauben nicht mehr erschüttern können.“ Die älteren unter uns werden wissen, von wem ich spreche: von Paul Claudel, dem bekannten französischen Schriftsteller, Dichter und Diplomaten.
Die Musik – bei Claudel war es eine explizit geistliche Musik – kann einen Menschen nicht nur im Innersten treffen und verwandeln, sondern sogar zu einem Christen werden lassen! Sage also niemand, die Musik hätte keine Kraft, die Welt zu verwandeln, sie sei nur zur Unterhaltung oder zur Abwechslung geeignet … Nein, sie hat die Kraft die Welt zu verändern, indem sie die Herzen der Menschen berührt. Und das wissen wir: Wirkliche Veränderung – im Negativen wie im Positiven – in dieser Welt geht über die Herzen der Menschen.
Und das zweite Beispiel? Es liegt noch keine 10 Tage zurück. Vielleicht habt Ihr davon gehört. Es ging durch die Medien: Barack Obama, der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, stimmt zum Ende einer Rede ganz überraschend ein Lied an. Was war geschehen? In der Woche zuvor hatte ein junger Weißer in einer Kirche neun Menschen erschossen, die sich dort zu einer Bibelstunde versammelt hatten. Augenzeugen sagen, dass der 21-jährige Dyllan vorher sogar eine Stunde bei ihnen gesessen hat, bevor er aus sinnlosem Hass das Feuer eröffnete. Unter den Opfern war auch der Pfarrer der Gemeinde. Zur Beisetzungsfeier des Pfarrers kam Präsident Obama, um der Gemeinde und den Hinterbliebenen seine Solidarität zu bekunden. Am Ende seiner Ansprache stimmte er das bekannte Lied Amazing Grace, ein Spiritual, geistliches Lied aus der Zeit der Sklaverei an. Amazing Grace besingt die wunderbare Gnade Gottes, die einen Menschen ergreift und verwandelt, indem sie ihm die Augen öffnet für die Liebe Gottes. Ihr könnt es Euch noch auf YouTube anschauen: Zunächst singt der Präsident allein, aber schon bald stimmen immer mehr Gottesdienstteilnehmer ein, bis schließlich 5.000 Menschen gemeinsam dieses Lied singen. Es war ein ehrliches Lied: Denn schon vorher hatten die Menschen der Gemeinde deutlich gemacht, dass sie auf den Hass des Attentäters nicht mit Hass und Vergeltung reagieren werden. Der methodistische Bischof hatte sogar vorher in Richtung des Attentäters gesagt: „Du hast Dir den falschen Ort ausgesucht, um einen Krieg auszulösen!“
Wie schön, dass der Präsident den Mut hatte, ein Lied von der Gnade Gottes zu singen und wie schön, dass die Menschen ihn mit seinem Lied nicht allein ließen, sondern den Gesang aufgenommen und in ihn mit eingestimmt haben! Ein starkes Bekenntnis zu Frieden und Versöhnung!
Es ist auch deswegen stark, weil da einer mit seinem Wunsch nach Frieden und Versöhnung nicht allein geblieben ist, kein einsamer Sänger … Das ist ja die großartige Erfahrung des gemeinsamen Singens in Euren Chören und erst recht bei einem solchen Chorfest wie in den letzten Tagen: zu spüren, dass ich mit meinem Wunsch nach Gemeinschaft und Frieden und natürlich mit meiner Freude an der Musik nicht allein bin. Ich bin umgeben und getragen von einer großen Gemeinschaft.
Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir zugeben, dass uns eine solche Erfahrung nicht immer geschenkt ist, vielleicht gehört sie sogar zu den eher selteneren Highlights unseres Lebens. Zur Realität unseres Lebens und dieser Welt gehört leider die Tatsache, dass Menschen mit ihrem Lied, das von Sinn, von Frieden, von Liebe, von dem Wunsch nach Gemeinschaft singt, oft allein bleiben. Selbst wenn wir in guter Gemeinschaft leben und uns Freundschaften geschenkt sind, bleibt diese Erfahrung keinem Menschen erspart. Um es noch einmal im Bild der Musik zu sagen: Man stimmt ein Lied an und hat den Eindruck, keiner hört es, keiner singt mit. Die Töne verklingen im leeren Raum …
Als Christen dürfen wir sagen: Doch, da ist mindestens einer, der mein Lied hört, der es aufnimmt, der es sich zu Herzen gehen lässt: Gott. Er singt mit. Ja, nicht selten ist sogar er es, der das Lied in mir anstimmt. So kommt es mir wenigstens vor, wenn die Melodie eines Liedes, gerade die eines geistlichen Liedes, in mir aufsteigt und ich gar nicht richtig weiß, wieso mir dieses Lied gerade in den Sinn kommt. Manchmal ist es so, als ob es in meinen Herzen gespeichert wäre, damit es in einer bestimmten Situation zum Klingen kommt, und dann tröstet es mich, lässt mich ruhiger werden, lässt mich wieder Vertrauen fassen, lässt mich Frieden finden in aller Unruhe, die mich gerade umtreibt. Ihr, die Ihr so viel singt, habt das Privileg, dass in Eurem Herzen ganz viele Melodien gespeichert werden können. Melodien, die verbunden sind mit Worten der Heiligen Schrift: Worten des Bekenntnisses, des Lobes, der Klage, der Bitte, des Vertrauens. Tragt diese Melodien und Worte wie einen kostbaren Schatz in Euch! Wenn Ihr mit Gott in Verbindung bleibt, dann wird er Euch helfen, dass die Melodien und die Worte Euch finden, wenn Ihr sie braucht.
Liebe Pueri Cantores! Ihr habt mit Euren Smartphones viele Bilder und Filmchen von diesen Tagen gemacht. Sie helfen Euch, Euch an diese wunderschönen Tage zu erinnern. Aber ich bin sicher, dass es nicht nur die Bilder, sondern auch bestimmte Melodien sind, die Ihr mit diesen Tagen verbindet. Wenn Ihr sie anstimmt, dann kommen nicht nur Bilder und Töne, sondern dann kommen auch die Gefühle, die Ihr mit diesen Tagen verbindet. Jeder und jede wird seine, wird ihre persönliche Melodie haben: Ob es das Mottolied ist (vielleicht ist es auch das Ja-Da, das wir nicht nur in der Arena gesungen haben, sondern das ich nachher auch wieder auf der Straße gehört habe) …?
Gestern Morgen bei der Probe im Dom habe ich gehört, dass es auf jeden Fall ein Lied gibt, das Euch ein „Herzensschlager“ ist. Unser Domkapellmeister Thomas Kiefer hat Euch ja versprochen, dass es deshalb auch noch in diesen Abschlussgottesdienst eingebaut wird: „Wäre Gesanges voll unser Mund…“. Wenn wir es jetzt gemeinsam singen, dann wollen wir damit ausdrücken, dass wir gar nicht aufhören können, Gott dafür zu loben, dass er diese Welt so sehr liebt. Amen.