Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt, liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
liebe Familien und Angehörige unserer Weihekandidaten,
liebe Weihekandidaten selbst!
Sie, liebe Weihekandidaten, haben zur Feier Ihrer Weihe keine eigenen biblischen Texte ausgewählt, sondern sind bei den Lesungen geblieben, die in der Leseordnung sowieso für den heutigen Samstag vorgesehen sind. Aber obwohl das so ist, sind die Lesungen, die wir gerade gehört haben, irgendwie doch sehr sprechend für diesen Anlass. Zugleich sind sie anspruchsvoll, ja sogar – wenn wir ehrlich sind – auch irritierend.
Lassen Sie uns vor allem auf das Evangelium schauen, einem Abschnitt aus der Bergpredigt Jesu, der Sie auch Ihren Weihespruch entnommen haben: Sucht aber zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit … Die Verse, die diesem Satz vorangehen, sind von einer eigentümlichen Spannung geprägt: Da ist zum einen die erschreckende Kompromisslosigkeit, die Jesus an den Tag legt, wenn er sagt: „Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den anderen lieben“ oder umgekehrt. (Mt 6,24) Und dann ist da irgendwie unvermittelt in den nächsten Versen eine große Sorglosigkeit: Sorgt euch nicht darum, was ihr essen oder trinken oder anziehen sollt … Beides scheint uns irgendwie übertrieben, die Sorglosigkeit, zu der Jesus aufruft, fast noch mehr als die Kompromisslosigkeit, gerade auch anlässlich einer Weihe von Ständigen Diakonen. Wer etwa verheiratet ist und Familie hat, für den wäre eine solche Sorglosigkeit geradezu verantwortungslos. Für den zölibatären Diakon kann das noch eher angehen, so mögen wir denken … Aber auch für ihn scheint uns der Ratschlag Jesu eigentlich nicht angemessen: Denn die Diakone in der Kirche werden doch genau dazu bestellt, dass sie sensibel und aufmerksam sind für die konkreten Nöte der Menschen; dass sie nicht großzügig über das hinwegsehen, was Menschen umtreibt. Was wäre das für ein Diakon, der auf Menschen trifft, die voller Sorgen um ihr Leben sind und der – statt konkrete Hilfe anzubieten – die Menschen tröstet mit dem Hinweis, sich an den Vögeln des Himmels und den Lilien auf dem Feld zu orientieren …
Indem ich die Aussagen des Evangeliums so zuspitze, liebe Schwestern und Brüder, wird uns unwillkürlich klar, dass Jesus das nicht gemeint haben kann. Jesus redet nicht einer naiven Sorglosigkeit oder Blauäugigkeit das Wort. Ihm geht es vielmehr darum, dass Menschen nicht hängen bleiben, nicht kopflos werden, nicht ersticken in den Sorgen, die sie sich um ihr Leben machen. Denn Jesus hat zweifellos recht, wenn er sagt: „Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Spanne verlängern?“ (Mt 6,27) Im Blick auf die Grenze der menschlichen Möglichkeiten stürzen all unsere Versuche, uns vorsorgend abzusichern, in sich zusammen.
Aber Jesus lässt es nicht bei diesem aufrüttelnden Blick auf die Grenze unsere menschlichen Möglichkeiten, sondern er eröffnet mit seiner Botschaft eine neue Perspektive, die all unsere Kräfte, aber auch all unsere Grenzen überschreitet: Er spannt den großen Horizont des Reiches Gottes auf. Er möchte, dass für seine Jüngerinnen und Jünger alle Lebenssituationen durchsichtig werden hin auf die Botschaft vom Reich Gottes. Von dieser Botschaft her gewinnt das Leben mit all seinen großen und kleinen Sorgen des Alltags einen größeren Horizont und einen längeren Atem.
Aber das ist noch nicht alles: Jesus eröffnet mit seiner Botschaft vom Reich Gottes nicht nur einen größeren geistigen Horizont für das Leben des Menschen. Er beschreibt nicht nur eine Vision (die auch schon hilfreich wäre). Vielmehr ist er davon überzeugt, dass das Reich Gottes schon anzutreffen ist im Hier und Heute, wenn er sagt: Sucht zuerst Gottes Reich und seine Gerechtigkeit, dann wird euch alles andere dazugegeben! Ist Ihnen aufgefallen, dass unsere Weihekandidaten für ihren Weihespruch die neue Einheitsübersetzung der Hl. Schrift gewählt haben? Während es früher an dieser Stelle der Bergpredigt hieß: „Euch aber muss es zuerst um Gottes Reich und seine Gerechtigkeit gehen“ heißt es nun: „Sucht zuerst Gottes Reich und seine Gerechtigkeit“. Diese Übersetzung ist näher am ursprünglichen Text. Sie sagt uns zweierlei: Nicht die Jünger, nicht wir sind es, die Gottes Reich errichten. – Bei der älteren Übersetzung hätte man dies so verstehen können („Euch muss es zuerst um Gottes Reich gehen …) Und: Wenn Jesus zur Suche auffordert, dann sagt er damit, dass es dieses Reich schon in dieser Welt gibt. Denn er schickt uns nicht auf die Suche nach etwas, das nicht existiert … Er führt uns ja nicht an der Nase herum.
Worin besteht dieses Reich? Was ist es? Es ist der Raum, in dem Gott wirkt, ob dies Menschen bewusst ist oder nicht. Dieser Raum kann sich dort öffnen, wo Menschen bewusst nach dem Evangelium leben und Gott deshalb wirken kann. Aber es kann auch sein, dass Gott in seiner Kraft wirkt, ohne dass Menschen dies ausdrücklich bewusst ist. Wenn sich unsere Weihekandidaten unter das Wort stellen Sucht zuerst Gottes Reich, dann bekunden sie damit ihre Bereitschaft, Reich-Gottes-Sucher sein zu wollen, d. h. die Augen offen zu halten danach, wo Gott wirkt in seiner Kirche, in unserer Welt … Das ist ein Unterschied zu der Vorstellung, wir brächten das Reich Gottes. Was wir als Verkünder bringen sollen, das ist die Botschaft Gottes, nicht das Reich Gottes. Das errichtet Gott selbst in den Herzen von Menschen, die sich ihm öffnen. Wir dürfen und sollen Ausschau halten danach, wo dies geschieht. Und dies ist eben nicht nur dort, wo wir es vermuten, sondern auch da, wo wir es nicht erwartet hätten. Umso wichtiger, dass es Menschen gibt wie unsere Diakone, die Augen dafür haben und andere darauf hinweisen und sagen (wie schon der Prophet Jesaja): „Seht ihr es nicht, hört ihr es nicht?“ Hier wächst Gottes Reich. (vgl. Jes 43,19)
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Weihekandidaten, solche Reich-Gottes-Sucher, wie Sie es sein wollen, haben wir wahrhaftig nötig. Denn wie oft schauen wir nur auf das, was nicht funktioniert, nicht mehr funktioniert, noch nicht … Wie sehr sind wir in unserer Perspektive „defizitorientiert“ unterwegs. Nicht, als ob man nicht kritisieren dürfte und sollte, was zu kritisieren ist! Nicht, als ob es keinen Bedarf gäbe zu Umkehr und Veränderung! Aber wenn wir nur mit dieser Brille auf Kirche und Welt schauen, dann lähmt uns das. Dann werden wir zu den Menschen, die unter all ihren vielen Sorgen vergehen.
Nehmen wir stattdessen die Perspektive Jesu ein. Suchen wir nach Gottes Reich. Halten wir Ausschau danach, wo es schon anzutreffen ist und wächst – in aller Begrenzung und Schwachheit. Und glauben wir der Erfahrung des Apostels Paulus, der in seiner Schwachheit dem Reich Gottes begegnet ist. Er hat es gesucht und gefunden. Das nennt er Gnade. (Vgl. 2 Kor 12,9) Bitten wir um diese Gnade für unsere Weihekandidaten.