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Weihnachten 2013

Bischof Stephan Ackermann: Predigt im Pontifikalamt am ersten Weihnachtsfeiertag im Trierer Dom

Schriftlesungen: Jes 52,7-10/ Hebr 1,1-6/ Joh 1,1-18

Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Können Sie sich noch daran erinnern, dass vor zwei Jahren eine Elektromarktkette ihr Weihnachtsgeschäft beworben hatte mit dem Motto: „Weihnachten wird unterm Baum entschieden“. Damit sollte suggeriert werden, dass das Gelingen des Weihnachtsfestes davon abhängt, welche Geschenke unter dem Weihnachtsbaum liegen. Weihnachten sei dann ein Fest der Freude, wenn die richtigen Geschenke – und der Elektromarkt dachte dabei natürlich an seine eigenen Produkte – unter dem Baum liegen. Der Slogan hat bei den Kirchen damals für einige Diskussion gesorgt. Kirchenvertreter haben sich erregt und sahen in dem Werbespruch den Beweis dafür, wie sehr das Weihnachtsfest durch den Konsum seines eigentlichen Inhalts beraubt wird. Diese Beobachtung ist wirklich nicht falsch. Andererseits: In wie vielen Haushalten und Familien ist es vielleicht tatsächlich so, dass sich das Gelingen das Weihnachtsfestes vor allem an den richtigen Geschenken festmacht …

Weihnachten: Schon lange entschieden – aber schon am Ziel?

Natürlich wollten die Theologen mit ihrer Kritik auch sagen, dass Weihnachten nicht immer wieder neu entschieden werden muss. Denn Gott hat sich bereits entschieden ein für allemal, indem er in Jesus Christus Mensch geworden ist für uns. Im Glauben wissen wir, dass Gott diese Entscheidung nicht bereut hat und nie wieder zurücknimmt. Das ist die tiefste Wahrheit des Weihnachtsfestes. Aber ist das schon seine ganze Wahrheit? Denken wir an das Evangelium, in dem es hieß: Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf (Joh 1,11). Weihnachten kommt erst da wirklich zum Ziel, wo Menschen Gott aufnehmen, d. h. sich für den entscheiden, der sich für uns entschieden hat. Deshalb fährt Johannes fort: Allen aber, die in aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden“ (Joh 1,12).

Entschieden: Unterm Weihnachtsbaum...

Aus dem ruhigeren Abstand von zwei Jahren heraus betrachtet, könnte man also sagen, dass der kritisierte Werbeslogan durchaus eine Wahrheit enthielt, die der Botschaft des Weihnachtsfestes entspricht. Denn Sinn und Gelingen des Weihnachtsfestes entscheiden sich nicht nur in der Kirche, in der Feier des Gottesdienstes, sondern auch „unterm Weihnachtsbaum“ im Wohnzimmer, d. h. in unseren Häusern, wenn auch anders, als es die Werbung nahezulegen versuchte. Den Menschgewordenen nur im Kirchenraum anzunehmen, das wäre zu wenig. Er will aufgenommen werden in unseren Häusern, d. h. in unserem privaten und sozialen Umfeld. Sind wir dazu bereit? Nehmen wir dieses Geschenk, das Gott selbst uns unter den Weihnachtsbaum legt, an? Können wir uns darüber wirklich freuen? Oder lassen wir es unausgepackt liegen, weil es uns vorkommt wie ein uralter Ladenhüter …?

... und im profanen Alltag

Zwar haben die Theologen recht: Im Haus Gottes, im Raum des Glaubens und der Kirche ist Weihnachten längst bereits entschieden. Aber wie steht es um unsere alltäglichen Lebensräume? Denn das gehört doch wesentlich zur Weihnachtsbotschaft: Gott ist nicht in der Sphäre des Heiligen geblieben. Jesus wurde gerade nicht im Tempel geboren, sondern im Profanen, auf freiem Feld. Ziehen wir also nicht zu scharfe Grenzen zwischen Gottes Räumen und unseren Räumen! Gott selbst hat die Grenzen verschoben. Betreten wir nicht nur ehrfürchtig heilige Kirchenräume, sondern heiligen wir unsere persönlichen Räume! Wie das geht? Indem wir Jesus und seiner Botschaft bei uns Raum geben: in unserem Denken und Handeln!

In der vergangenen Woche konnte ich erleben, wie ein ganz normaler, weltlicher Raum geheiligt wurde: Zusammen mit dem katholischen Militärbischof hatte ich die Gelegenheit, einen Besuch in Afghanistan zu machen. Dort sind wir nicht nur mit Soldaten der Bundeswehr zusammengetroffen, sondern hatten auch Gespräche mit Vertretern der deutschen Caritas und anderer ziviler Organisationen, die sich für eine positive Entwicklung des Landes einsetzen. Der Ort, an dem wir uns trafen, war die deutsche Botschaft in Kabul. Sie gleicht aufgrund der schwierigen Sicherheitslage allerdings einer Festung, umgeben von hohen Betonwänden und Stacheldraht. Bedrückend. Für den Botschafter und sein Team muss es eine arge Belastung sein, auf so engem Raum zu arbeiten und zu leben. Da die Diplomaten permanent damit rechnen müssen, Zielscheibe von Aufständischen zu werden, können sie faktisch keinen Fuß in die Stadt setzen.

Messe im Wohnzimmer des Botschafters in Kabul

Am Abend, nach den Gesprächen waren die in Kabul lebenden Deutschen in die Residenz des Botschafters eingeladen. Wir feiern Messe. Dazu wird kurzerhand das Wohnzimmer des Botschafters umgeräumt. Noch nie habe ich in einer Botschaft eine solch bunte Mischung von Diplomaten, Polizisten, Soldaten und Zivilisten gesehen. Wir singen – natürlich! – deutsche Adventslieder, hören den Propheten Jeremia, der Recht und Gerechtigkeit verheißt (Jer 23,5-8) und lesen das Evangelium von der Geburt Jesu nach Matthäus (1,18-24). Die Atmosphäre ist dicht. Wir spüren: die alten Texte haben nichts von ihrer Kraft verloren. Unter den belastenden Bedingungen von Afghanistan klingen sie sogar noch sprechender, noch eindringlicher. Die Mitfeiernden, die sich auf je unterschiedliche Weise und unter lebensgefährlichen Bedingungen für den Frieden einsetzen, verdienen allen Respekt. Und gerade sie wissen sehr genau, wie begrenzt alle politischen, militärischen, diplomatischen und institutionellen Mittel sind; wie wichtig es ist, trotz allem die Hoffnung nicht zu verlieren, und wie sehr es das mehr als Menschliche braucht; das, was wir nicht einfach machen können, damit wirklicher Friede unter den Menschen wächst. Es war noch Advent, und doch wirkte unsere Feier auf mich wie ein vorgezogenes familiäres Weihnachtsfest. Ein heiliger Raum öffnete sich mitten im Wohnzimmer. Die Grenze zwischen sakral und weltlich wurde fließend. Und das nicht nur, weil wir dort Gottesdienst feierten. Unter den Versammelten war die Sehnsucht nach dem Frieden spürbar, den das wehrlose Kind von Bethlehem in unsere zerrissene Welt gebracht hat.

Kind Gottes zu sein: konkurrenzlose Macht

Beim anschließenden Empfang stoße ich auf drei Ordensschwestern, die der Botschafter auch eingeladen hatte. Die älteste von ihnen, eine Französin, kam vor 47 Jahren nach Kabul, noch zur Zeit des Königreichs. Sie hat die sowjetische Besatzung erlebt, ebenso das Taliban-Regime und – ist geblieben. Die Schwestern leben ohne großes Aufhebens ein Leben der Gemeinschaft und des Gebetes mitten unter ihren muslimischen Nachbarn in einem sowjetischen Plattenbau. Was für ein Zeugnis der Gewaltlosigkeit, der Treue und des Friedens! Schade, dass ich Ihnen das Gesicht der alten Schwester aus Frankreich nicht zeigen kann. Wer in dieses ruhige Gesicht mit den klaren Augen blickt, der spürt, dass der Evangelist Johannes recht hat: Kind Gottes zu sein, stellt eine Macht dar, mit der alle Mächte dieser Welt nicht konkurrieren können.

An diesem Abend in Kabul, im Wohnzimmer der Botschaft, ist mir dreierlei klar geworden: Ja tatsächlich, Weihnachten ist längst entschieden in Gottes treuem Willen zu uns. Weihnachten ist entschieden in Menschen, die Gottes Willen angenommen haben wie diese Schwestern. Aber es gilt auch: Weihnachten entscheidet sich jeden Tag neu in unseren Häusern, in unserem Leben. Amen.

Weiteres:

Weihnachten 2013

in der Predigt