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Weihnachten: Das Geheimnis, das so nah liegt

Geheimnis des Menschen: Gottes Geheimnis

Predigt von Bischof Ackermann an Weihnachten 2017

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

„In deiner Haut möchte ich nicht stecken!“, so sagen wir, wenn wir jemanden in einer schwierigen Situation sehen und mit ihm nicht tauschen möchten. „In deiner Haut, Mensch, möchte ich stecken!“, so sagt Gott an Weihnachten. Gott wird Mensch, oder sagen wir es mit den Worten des Evangelisten Johannes noch drastischer: Er wird Fleisch (Joh 1,14). Das heißt: Er liefert sich den Bedingungen unseres Menschseins in allen Konsequenzen aus.

Darin besteht das ganz und gar Neue von Weihnachten: Gott schickt mit Jesus nicht bloß einen neuen Botschafter in diese Welt, der Gottes Willen verkündet. Das hatten bereits die Propheten getan: Sie waren leidenschaftliche Boten Gottes. Zwar ist auch Jesus Bote Gottes, denn er wird wie kein anderer die Botschaft vom Reich Gottes verkünden. Aber zugleich ist er alles andere als bloß ein Sprachrohr oder ein willenloser Tonträger, der gelegen oder ungelegen die Botschaft Gottes wiederzugeben hat. Wenn Gott in Jesus Mensch wird, dann geht in Gott all das ein, was uns Menschen ausmacht und bewegt. Gott will in unserer Haut stecken mit allen Konsequenzen, bis zum Tod.

Gott steckt in unserer Haut

Wie sehr der Gottmensch Jesus sich vom Geschick der Menschen berühren lässt, sehen wir auf jeder Seite des Evangeliums: Denken wir etwa daran, wie er den blinden Bettler, der den anderen lästig ist, zu sich kommen lässt, um ihn zu heilen und ihn aus seiner menschlichen Isolation zu befreien (Mk 10,46-52); wie er sich innerlich betreffen lässt von dem Schmerz und der Trauer der Mutter, die ihren einzigen Sohn verloren hat (Lk 7,11-16). Immer wieder bricht auch in den Gleichnissen, die Jesus erzählt, sein Mitgefühl mit den Menschen durch: Denken wir an den barmherzigen Vater, der den in die Irre gegangenen Sohn voll Liebe wieder aufnimmt (Lk 15, 11-24), und den barmherzigen Samariter, der in dem Fremden, der ausgeraubt und geschlagen am Wegesrand liegt, seinen Nächsten erkennt (Lk 10,29-37). So, liebe Schwestern und Brüder, kann doch nur der Gott sprechen, der selbst nicht in erhabener Ferne geblieben ist, sondern sich für uns zum Nächsten gemacht hat, indem er in Jesus Mensch geworden, einer von uns geworden ist.

Weihnachten verändert alles: Gott ist nicht mehr nur der Allmächtige, der in seiner Allmacht wirkt und dem Menschen Weisungen zum Leben gibt. Mit Weihnachten ist Gott auch der, der auf der Seite des Menschen steht, ja mehr noch: der die Innenseite von uns kennt. „Wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht mitfühlen könnte mit unserer Schwäche, sondern wir haben einen Hohenpriester, der wie wir in allem in Versuchung geführt worden ist“, so sagt der Hebräerbrief über Jesus (Hebr 4,15).

Die Perspektive der Anderen einbeziehen – von Anfang an

Wenn aber Gott so zu uns steht, dann hat das Konsequenzen für alle, die an ihn glauben und sich zu ihm bekennen: Wenn Gott uns nicht nur seine Weisung und damit seine Sicht der Dinge gibt, wenn er uns nicht nur wissen lässt, was er für richtig hält, sondern sich zugleich ganz auf unsere menschliche Perspektive einlässt, dann kann das nicht ohne Folgen bleiben.

Wie oft beklagen wir den Individualismus, den Egoismus, die Rechthaberei in unserer Gesellschaft und tragen doch selbst dazu bei, indem wir allzu oft uns selbst zum letzten Maßstab machen. Die Botschaft von Weihnachten, oder sagen wir richtiger: Gott selbst setzt dazu mit seinem Kommen einen unübersehbaren Gegenakzent. Er lädt uns zu einer alternativen Handlungsweise ein. Sie heißt: Nicht in unseren geschlossenen Zirkeln und eigenen „Echokammern“ zu bleiben, sondern grundlegend bereit zu sein, die Perspektive des Anderen einzubeziehen. Nicht irgendwann, sondern von Anfang an. Weihnachten – der große Perspektivwechsel Gottes, der uns einlädt, diesen Perspektivwechsel mitzuvollziehen: Vom Anderen her zu denken.

Es reicht nicht, zuerst und vor allem die eigene Überzeugung vorzutragen: nicht in unseren persönlichen Beziehungen, nicht im gesellschaftlichen Miteinander, nicht im Zusammenleben der Völker … Weihnachten fordert uns auf, in allem was wir tun, soweit wie möglich die Sichtweise und die Empfindungen der anderen miteinzubeziehen. Erst dann wird es einen wirklichen Dialog und einen gemeinsamen Fortschritt geben.

Perspektivwechsel: Im Miteinander, in Politik und Gesellschaft

Dazu hilft etwa die Frage: Was bringt jemanden zu einer Überzeugung, die ich persönlich überhaupt nicht teile oder sogar ablehne? Und: Bemühe ich mich aufrichtig darum, mein Gegenüber zu verstehen, d. h. wenigstens für eine gewisse Zeit die Perspektive zu wechseln und die Dinge aus der Sicht des anderen zu sehen, bevor ich meine eigene Meinung vortrage? Was im persönlich-privaten Leben gilt, das lässt sich auch auf die Ebene von Gesellschaft und Politik übertragen. Denken wir noch einmal an die Flüchtlingsthematik: Weihnachtlicher Perspektivwechsel provoziert die Frage: Bin ich bereit, mich wenigstens ahnungshaft in das Geschick von Menschen einzufühlen, die alles zurücklassen, alles auf eine Karte setzen, um eine menschlichere Zukunft zu haben? Aber auch: Bin ich aufrichtig bereit, die Fragen derer zu hören, die sich mit der großzügigen Aufnahme von Flüchtlingen schwertun?

Ohne die Bereitschaft, sich wechselseitig auf die Perspektive des Anderen einzulassen – ob im privaten, im gesellschaftlichen oder im politischen Leben (national wie international) – wird es keinen wirklichen Dialog und keinen Fortschritt zu einem tieferen Miteinander geben. Stattdessen bleiben wir in Rechthaberei und gegenseitigen Vorwürfen stecken. Wir erleben es jeden Tag.

Perspektivwechsel: Herausforderung an die Kirche

Die Herausforderung, in „die Haut des anderen zu schlüpfen“, um die Dinge aus dessen Perspektive zu sehen, gilt natürlich auch für das Leben der Kirche: Wir üben es gerade in unserem Bistum in der Umsetzung unserer Diözesansynode. Und im Blick auf die Kirche als ganze heißt dies: Eine Lehre, so richtig sie in sich auch sein mag, ist nie losgelöst von der konkreten Situation der Menschen anzuwenden. Daran erinnert immer wieder Papst Franziskus.

Gottes Perspektiv-Wechsel: der Andere werden und Gott selbst bleiben

„Aber aber wo kommen wir hin, wenn wir uns zu sehr auf die anderen einlassen? Dann verlieren wir doch unser eigenes Profil und am Ende uns selbst!“, so könnte man einwenden. Zugegeben, wir sind nicht Gott. Nur er kann beides: Sich ganz des Anderen annehmen, ja der Andere werden und trotzdem er selbst bleiben. Das ist das Wunder von Weihnachten: Gott wird ganz Mensch und bleibt zugleich ganz Gott. Wir Menschen können nicht ganz zum Anderen werden und zugleich wir selbst bleiben. Deshalb trägt Jesus uns auch auf: Du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst. (Mt 19,19) Jesus will nicht, dass wir unser Leben verlieren, sondern es gewinnen, auch wenn der Weg, den er vorschlägt, auf den ersten Blick gerade wie das Gegenteil dazu aussieht. Umso wichtiger ist es, dass der Herr selbst uns mit seinen Möglichkeiten auf diesem Weg zu Hilfe kommt und dass wir andere an unserer Seite haben, von denen wir wissen, dass sie sich auch auf diesen Weg einlassen. Das ist die Gemeinschaft der Kirche.

Gute Geschenke findet, wer vom Anderen her denkt und fühlt

Liebe Schwestern und Brüder! Weihnachten ist das Fest der gegenseitigen Geschenke. Das ist schön und oft schrecklich zugleich … Ist es Ihnen diesem Jahr leicht- oder schwergefallen, die richtigen Geschenke zu finden? Oft genug ist die richtige Wahl der Geschenke das Schwerste an Weihnachten. Manch einer behilft sich damit, den anderen das zu schenken, was er selbst gut findet und woran er selbst Freude hätte. Das kann ein guter Weg sein, weil er dem Anderen Gutes gönnt, aber es kann auch schiefgehen, weil die Geschmäcker verschieden sind … Die gelungensten Geschenke sind wohl die, die Zeugnis davon geben, dass der Schenkende im Alltag aufmerksam war für die Wünsche dessen, der beschenkt wird. Dann sind Geschenke das Zeichen von Einfühlsamkeit. Der Beschenkte weiß sich gekannt, und dann ist die Freude in der Regel auf beiden Seiten groß. Deshalb schenkt Gott uns seinen Sohn und in ihm das Größte, was er uns schenken kann: sich selbst.

Weiteres:

Weihnachten 2017

in der Predigt