Schriftlesungen: Apg 12,1-11 / 2 Tim 4, 6-8.17-18 / Mt 16,13-19
Liebe Mitbrüder im Bischofsamt und im Domkapitel,
liebe Seminargemeinschaft, Schwestern und Brüder im Glauben!
Wenn es ein Fest gibt, das die Herzen römisch-katholischer Christen höher schlagen lässt, dann ist das (neben dem Fronleichnamsfest) das Hochfest der Apostelfürsten Peter und Paul. Man kann das Fest nicht feiern, ohne zugleich an Rom, den Martyriumsort der beiden Apostel, zu denken und natürlich an die Kirche des Papstes, des Nachfolgers des heiligen Petrus: den Petersdom. Er ist so etwas wie das steingewordene Hochfest selbst. Was wir soeben als flüchtige Evangeliumsworte gehört, ist dort in Goldgrund eingelegt: »Tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam, et portae inferi non praevalebunt ...«
Wenn wir das Hochfest in diesem Jahr begehen, dann ist, so will uns scheinen, die Feierstimmung gedämpft, der Goldglanz irgendwie matt angesichts des Bildes, das die katholische Kirche derzeit in der Öffentlichkeit abgibt. Neueste Umfragen bestätigen uns, dass durch die Diskussionen der letzten Monate ein massiver Ansehensverlust eingetreten ist. Weniger als ein Viertel der Deutschen trauen noch der Kirche zu, in ethischen Fragen Orientierung zu geben.
Die Kirche und ihre amtlichen Vertreter, vor allem die Bischöfe samt dem Papst, werden vielfach als verdächtige Gestalten eingeschätzt, denen nicht zu trauen ist. Wie ist es sonst zu erklären, dass die belgischen Bischöfe am vergangenen Donnerstag, als sie zu einer Konferenz zusammen waren, neun Stunden von der Staatsanwaltschaft festgehalten, ihre Handys konfisziert und Akten beschlagnahmt wurden? Die belgischen Behörden schreckten in einem beispiellosen Vorgang nicht einmal davor zurück, Löcher in die Grablegen der verstorbenen Erzbischöfe van Roey und Suenens zu bohren und mit Kameras nach vermeintlich verstecktem Beweismaterial für Missbrauchsfälle zu suchen ...
Aber auch diejenigen, die uns in Politik und Medien wohlgesonnen sind, werden nicht müde zu betonen, wie entscheidend es ist, durch entsprechende Maßnahmen die Glaubwürdigkeit der Kirche zurückzugewinnen, uns in der Medienöffentlichkeit besser zu präsentieren und damit das positive Potenzial des Glaubens wieder mehr zur Geltung zu bringen.
Alle, die so sprechen, haben Recht. Wir geben als katholische Kirche zurzeit nicht gerade ein überzeugendes und attraktives Bild ab. Mehr noch: Wir erregen Anstoß und Ärgernis. Da mag mancher mit einem gewissen Trotz dagegenhalten, dass die Kirche ohnehin nicht immer und von allen gelobt und geliebt werden kann. Kirche werde auf die eine oder andere Weise in der Gesellschaft immer anstößig und störend sein. Doch darauf ist zu antworten, dass die Kirche wegen der Botschaft Jesu, nicht wegen ihres eigenen Versagens anstößig sein soll. Kirche, und das heißt die Christen, sollen ihre Zeitgenossen provozieren durch Heiligkeit, nicht durch Sündigkeit!
Und auch das, liebe Schwestern und Brüder, ist zweifellos richtig. Aber besteht darin nicht auch eine geheime Versuchung? Auf sie weist uns, so will mir scheinen, das heutige Hochfest hin. Ich denke dabei vor allem an die Gestalt des Petrus: Denn er ist auf der einen Seite derjenige, der klarer als jeder andere Jesus als den Messias bekennt: »Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes« (Mt 16,16). Im Johannesevangelium ist es Petrus, der in einer kritischen Situation sagt: »Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens« (Joh 6,68). Ein Bekenntnis von einer geradezu provozierenden Deutlichkeit in einer Situation, in der sich viele von Jesus abwenden.
Andererseits ist Petrus derjenige, der das eigene Bekenntnis und die eigene Klarheit verdunkelt durch seine kapitalen Missgriffe: Er will den Messias, den er bekennt, so haben, wie er ihn sich vorstellt: stark und potent, nicht als Unterlegenen und Leidenden. Deshalb der Ausruf: »Herr, das soll Gott verhüten. Das darf nicht geschehen« (Mt 16,22). Petrus wird es sein, der sich neben Judas am offensichtlichsten von seinem Herrn lossagt: »Ich kenne diesen Menschen nicht ...« (Mt 26,74). Ausgerechnet der Sprecher der Zwölf spricht so. Wenn das nicht anstößig und skandalös ist!
Petrus muss dafür die schmerzlichsten Demütigungen durch Jesus hinnehmen: »Weg von mir Satan. Geh mir aus den Augen! Du willst mich von meinem Weg abbringen, aber ich muss meinen Weg der Gewaltlosigkeit gehen und gehe du mir nach!« (vgl. Mt 16,23). Und schließlich die dreimalige, beschämende Frage des Auferstandenen an Petrus: »Liebst du mich?« (Joh 21,15ff). Müssen wir, liebe Schwestern und Brüder, angesichts dieser Sachlage nicht gestehen, dass das Versagen des Petrus mindestens ebenso anstößig ist wie seine klaren Bekenntnisse?
Gerade darin liegt aber auch das Tröstliche an der Gestalt des Apostelfürsten: Er ist eben auch der schwache, fehlbare Mensch. Freilich: Heiligkeit provoziert. Denn sie legt die Finger in die Wunden der Sünde. Heiligkeit fasziniert und fordert positiv heraus. Denn sie zeigt, wozu Menschen mit ihren besten Kräften fähig sind. Doch eine Heiligkeit, die keine Schwäche und keine Fehler kennt, kann abschrecken und entmutigen, weil sie entrückt und abgehoben erscheint. Heiligkeit, die keine Schwäche und keine Fehler kennen will, kann auch der Versuch sein, allein auf die eigene Leistung zu vertrauen. Die Kraft und die Glaubwürdigkeit der Botschaft Jesu bestehen aber gerade darin, dass sie wahrhaftig und barmherzig zugleich ist. Die Glaubwürdigkeit der Botschaft Jesu besteht darin, dass sie mit der Schwäche und dem Versagen der Menschen rechnet und damit umzugehen weiß. Die Glaubwürdigkeit der Botschaft Jesu besteht darin, dass sie eben nicht nur die Kirche der Reinen, Starken und Heiligen vorsieht.
Und was bedeutet das nun, so könnten Sie fragen? Soll das heißen, dass wir nun möglichst viele Fehler machen, uns möglichst ungeschickt anstellen, uns möglichst deutlich als Versager präsentieren sollen, damit die Botschaft Jesu leuchten kann? Nein, natürlich nicht. Nein, wir sollen uns mit allen Kräften um Glaubwürdigkeit mühen. Wir sollen ein möglichst authentisch-anziehendes Zeugnis für Christus ablegen.
Doch wir sollen auch damit rechnen, dass Demütigungen zu unserem Zeugnis dazu gehören, und zwar Demütigungen, die nicht völlig unverschuldet sind, sondern auch durch unser Versagen provoziert werden, wie es bei Petrus selbst der Fall war. Wir sollen rechnen mit Demütigungen, die wir uns nicht selbst ausgesucht haben und die wir nicht würdig und mit erhobenem Haupt tragen können, sondern die uns klein, vielleicht sogar lächerlich aussehen lassen. Wenn wir diese Demütigungen – selbst unter Schmerzen und Widerständen – annehmen, dann kommt die Botschaft Jesu Christi neu zum Leuchten. Denn dann bewahrheitet sich das Wort des Paulus, des zweiten Heiligen des heutigen Tages, der den Christen in Korinth schreibt: Die Gnade Gottes erweist ihre Kraft gerade in der menschlichen Schwachheit (vgl. 2 Kor 12,9).
Schwestern und Brüder, der 29. Juni ist in besonderer Weise auch der Gedenktag des Martyriums der beiden Apostel. Durch ihr Martyrium in Rom sind sie trotz ihrer unterschiedlichen Lebenswege in besonderer Weise verbunden. Paulus hat durch das Schwert den Tod gefunden, Petrus wie sein Herr durch das Kreuz. Nach der Tradition wurde er aber nicht aufrecht stehend gekreuzigt, sondern kopfüber. Manche Darstellungen der Kunst zeigen ihn, wie er mit dem Kreuz hochgewuchtet wird. Bei aller Dramatik wirkt er in dieser Pose lächerlich, wie ein ungelenker Artist, der Kopfstand versucht, sein Metier aber nicht beherrscht. Bei aller Nähe zu seinem gekreuzigten Herrn steht Petrus am Ende spiegelverkehrt da. Das bewahrt davor, so Hans Urs von Balthasar, den Vikarius Christi mit dem Herrn selbst zu verwechseln. Und doch: Noch in der Verdrehung gibt Petrus ein Spiegelbild des »Einmaligen, Reinen, Aufrechten«, das heißt Jesu selbst.
Liebe Schwestern und Brüder, ich lade Sie an diesem Abend dazu ein, in besonderer Weise für den heutigen Nachfolger des heiligen Petrus zu beten, Papst Benedikt XVI., den der Herr in dieser Zeit in dieses Amt hineingestellt hat. Wenn man die vielen Berichte und Debatten dieser Wochen anschaut, dann wird klar, dass sich das Wort des Apostels Paulus aus dem Ersten Korintherbrief (4,9) aufs Neue bewahrheitet: »Wir sind zum Schauspiel geworden«. Das gilt für die Kirche. Das gilt in ganz herausgehobener Weise für den Papst. Petrus steht wieder in der Arena. Beten wir für Papst Benedikt, der mit wachem Verstand sehr wohl sieht, was in der Welt vorgeht, der um die Schwächen und Abgründe derer weiß, die die Kirche bilden, der behaftet wird mit Vergehen, die er selbst verabscheut und der dennoch auf seinem Platz aushält. Beten wir für ihn, dass er weiter die Kraft hat, unaggressiv und unbeirrt zugleich einzustehen für die Größe und die Schönheit des Glaubens, der uns von Petrus und den anderen Aposteln überliefert worden ist. Amen