Bei diesem Gebetsanliegen steht uns zuerst die große Verletzung des sexuellen Missbrauchs vor Augen, die vor allem vielen Kindern von Mitgliedern der Kirche zugefügt wurde. Man kann das Anliegen aber noch breiter verstehen. Menschen leiden in der Kirche, weil sie keine guten oder sogar schmerzliche Erfahrungen machen. Menschen leiden an der Kirche, weil sie sie nicht mehr verstehen. Die einen fühlen sich verletzt, weil die Kirche nicht auf ihre Lebenswirklichkeit eingehen will, andere wiederum, weil sie sich in ihrer aktuellen Entwicklung allzu sehr von dem entfernt, was man selbst gelernt hat und glaubt. Menschen leiden mit der Kirche, weil sie eine innere Beziehung zu ihr haben und mit ansehen müssen, wie sie als Trägerin und Vermittlerin des Glaubens nicht mehr zu den Menschen durchdringt.
Leiden gehört von Anfang an zur alltäglichen Realität der Kirche. Das gilt schon von Jesus Christus her. Sein Leiden steht in der Mitte jeder Eucharistie. Von ihm her ist der Weg eröffnet, dass wir mit unseren individuellen Leiden nicht einfach alleinbleiben, sondern uns im Leid auch einander annehmen können. Papst Benedikt XVI. hat gesagt: „Annehmen des anderen, der leidet, bedeutet, dass ich mir sein Leid selbst zueigne, dass es auch mein Leiden wird. Eben dadurch aber, dass es nun geteiltes Leid geworden ist, dass ein anderer in ihm da ist, dringt das Licht der Liebe in dieses Leiden ein. Das lateinische Wort consolatio, Tröstung, drückt dies sehr schön aus, indem es die Vorstellung eines Mitseins in der Einsamkeit weckt, die dann keine Einsamkeit mehr ist.“ (Enzyklika über die christliche Hoffnung Spe salvi, 38)
Beten wir, dass die Kirche immer wieder die Kraft findet, das Leid der Anderen anzunehmen, es aus der Einsamkeit zu lösen und Trost zu spenden.
(Pfarrer Marco Weber)
Herr, lass mich trachten, nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.
(aus einem frz. Friedensgebet)
Ich erinnere mich an eine Wallfahrt mit mehreren Seminaristen auf dem Jakobsweg. Wir waren eine größere Gruppe unterschiedlichen Alters und unterschiedlich geübt in längeren Fußmärschen. Jeden Morgen haben wir unsere Tagesetappe gemeinsam begonnen und uns um die Mittagszeit und am Abend wieder getroffen. Dazwischen verteilte sich die Gruppe in kleineren Einheiten, je nach dem persönlichen Gehtempo. Stundenlang waren die Mitpilger dann nicht mehr zu sehen. Diese kleine Pilgererfahrung zeigt, dass es gar nicht so einfach ist, einen längeren Weg gemeinsam zu gehen. Es braucht Rücksichtnahme und Freiraum, es braucht aber genauso Verbindlichkeit und Absprache, damit jeder seinen Weg gehen kann, die Gruppe aber auch immer wieder zusammenfindet.
Diese Spannung konnte man beim Synodalen Weg in den letzten Jahren durchaus spüren: ein unterschiedliches Gehtempo der Mitglieder, Forderungen nach mehr Freiraum in der Kirche und die Erinnerung an das Verbindende unseres Glaubens. Für mich war es auch ähnlich ermüdend wie ein Tagesmarsch, den vielen Diskussionen in den Vollversammlungen und in den Phasen dazwischen zu folgen und die entsprechenden Texte zu lesen. Oft habe ich dabei eine gemeinsame Wegrichtung vermisst und mir selbst erst einmal wieder das gemeinsame Ziel vor Augen stellen müssen. Das Gemeinsame ist das Entscheidende; das bedeutet ja auch das griechische „syn“: miteinander zu sprechen, aufeinander zu hören, gemeinsam zu beten. Ein wirklich gemeinsamer Weg, der muss auch in aller Unterschiedlichkeit gemeinsam gegangen werden. Es gilt, beieinander zu bleiben in der Gemeinschaft des pilgernden Gottesvolkes – bei uns in Deutschland, aber zusammen mit der ganzen Kirche weltweit und durch die Zeit hindurch bis zu ihrem Ursprung in Jesus Christus. Denn wozu ist die Kirche da? Doch um seinen Auftrag heute mit Leben zu füllen. Darum muss es gehen.
Beten wir darum, dass wir uns als katholische Kirche in Deutschland „auf den Weg begeben mit der ganzen Kirche unter dem Licht des Heiligen Geistes, unter seiner Führung und seinem Aufrütteln, um das Hinhören zu lernen und den immer neuen Horizont zu erkennen, den er uns schenken möchte.“ (Papst Franziskus, An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland, 3).
(Pfarrer Marco Weber)
Wir bitten Dich, Gott:
Sende uns den Heiligen Geist, der neues Leben schafft.
Er stehe unserer Kirche in Deutschland bei und lasse sie die Zeichen der Zeit erkennen.
Er öffne unser Herz, damit wir auf Dein Wort hören und es gläubig annehmen.
Er treibe uns an, miteinander die Wahrheit zu suchen.
Er stärke unsere Treue zu Dir und erhalte uns in der Einheit
mit unserem Papst und der ganzen Kirche.
(aus dem offiziellen Gebet für den Synodalen Weg)
„Zeitenwende“, so lautet das Wort des Jahres 2022. In der Tat erleben wir eine solche Zeitenwende, und zwar in vielen Bereichen unseres Lebens. Im Hinblick auf die ökologischen, sozialen, kulturellen und geistigen Krisen unserer Tage sind eine grundsätzliche Erneuerung und eine umfassende ökologische, ökonomische, kulturelle und spirituelle Bekehrung notwendig, wie Papst Franziskus es in seinem Amazonien-Schreiben anmahnt. Die österliche Bußzeit bietet Gelegenheit, diese Erneuerung auch und gerade geistlich anzugehen, damit wir nicht einfach durch die Zeitenwende „durchtauchen“, um dann in einigen Wochen doch einfach wieder so weiterzumachen wie bisher.
Jeder Christ und jede Christin sind eingeladen, diesen Weg der Erneuerung im Geiste Jesu zu gehen. Das Evangelium (vgl. Mt 6) gibt uns dazu drei Hilfsmittel an die Hand: Gebet, Fasten und Almosengeben. Im Gebet kann ich meiner Beziehung zu Jesus Christus Zeit und Aufmerksamkeit schenken; mich festmachen in ihm, der uns trägt und begleitet durch alle Wenden des Lebens und der Geschichte. Dabei kann auch das Bußsakrament hilfreich sein. Das Fasten kann mir helfen, mir bewusst zu machen, was für mein Leben wichtig ist und was nicht, was ich lassen kann, und was so mir, aber auch anderen hilft, gut leben zu können. Das Almosengeben stärkt neben der konkreten Hilfe für bedürftige Menschen die Erfahrung der Gemeinschaft: Für andere da sein und mit ihnen teilen, Materielles, Zeit, das Leben; so wieder neu erfahren, dass wir zusammengehören und uns von Jesus zu einer wahren Gemeinschaft im Geist zusammenführen lassen.
So kann jede und jeder Einzelne sich erneuern. Und in einem solchen Geist können wir dann auch Ostern als die eigentliche Zeitenwende erfahren und feiern, als den „Durchbruch in der Geschichte (…) des Lebens überhaupt zu einem neuen künftigen Leben; zu einer neuen Welt, die von Christus her immerfort schon in diese unsere Welt eindringt, sie umgestaltet und an sich zieht“, wie Papst Benedikt XVI. einmal in einer Osternachtspredigt gesagt hat.
(Pfarrer Marco Weber)
Herr Jesus Christus, wir wollen umkehren zu dir.
Wir möchten unseren Blick nach vorne richten und dir nachfolgen,
die Hand an den Pflug legen und nicht wehmütig zurückschauen.
Wir möchten dir folgen, wohin du uns auch führen magst,
denn wir wissen, deine Wege sind Wege des Heils.
Lehre uns diese Wege gehen, damit wir zu jener Fülle des Lebens gelangen,
die du allen Menschen durch deine Auferstehung verheißen hast.
"Um Vergebung zu bitten, das ist notwendig, aber es reicht nicht ": Im Monat März denkt Papst Franziskus über Missbrauch nach, " insbesondere wenn sie von Mitgliedern der Kirche begangen werden", und bittet uns, mit ihm für die Opfer zu beten, "die 'im Mittelpunkt' von allem stehen müssen".