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André Themoteo vom Bistum Trier über die Weltklimaschutzkonferenz in seiner Heimat Brasilien:Technologische Entwicklung und Umweltschutz müssen sich nicht ausschließen

Eine Anzeige im Internet macht ihn neugierig. Und so bewarb sich André Themoteo von seiner Heimat Brasilien aus auf einen Job im Klimaschutzmanagement im Bistum Trier. Wo sieht er Gemeinsamkeit, wo Unterschiede und wie blickt er auf die kommende Welt-Klimakonferenz in Brasilien, Belém?
Personenfoto André Themoteo aufgenommen im Domkreuzgang Trier
Datum:
8. Okt. 2025
Von:
Stefan Schneider, Bistum Trier

Herr Themoteo, erzählen Sie uns zunächst etwas über Ihren persönlichen Werdegang. Wie sind Sie nach Trier gekommen? 

Ich komme aus São Paulo, bin Energieingenieur mit einem Master in Energie und einem MBA in Wirtschaft und Projektmanagement. In Brasilien habe ich unter anderem für den brasilianischen Windenergieverband gearbeitet, wo ich für Windkraft, grünen Wasserstoff und Batteriespeicher zuständig war. Ich habe Workshops geleitet und Bücher über erneuerbare Energien geschrieben. Ein Teil meines Studiums absolvierte ich zwischen 2013 und 2015 in Köln. Deutschland war für mich immer eine zweite Heimat. Im Juni bin ich mit meiner Frau und meiner kleinen Tochter nach Trier gezogen, um im Bistum Trier im Bereich Klimaschutzmanagement zu arbeiten. Ich war beeindruckt, wie ernst die Kirche hier das Thema Klimaschutz nimmt – das ist in Brasilien leider nicht selbstverständlich. 

Welche Rolle spielt Umwelt- und Klimaschutz in Brasilien? 

Auf der einen Seite ist Brasilien ein Land mit enormer Biodiversität und einem sehr sauberen Strommix – über 85 Prozent unseres Stroms stammen aus erneuerbaren Quellen wie Wasserkraft, Wind, Solar und Biomasse. Unter der aktuellen Regierung von Präsident Lula hat der Umweltschutz wieder Priorität. Es gibt ambitionierte Ziele zur Bekämpfung der Entwaldung und zur Förderung nachhaltiger Wirtschaft.  

Allerdings stehen diese Ziele oft im Konflikt mit kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen, insbesondere der Agrarindustrie mit Sojabohnen und Rindern und der Rohstoffförderung, etwa von strategischen Mineralien. Brasilien ist stark polarisiert: NGOs, indigene Gemeinschaften und Wissenschaftler setzen sich für den Umweltschutz ein, während andere politische Kräfte vor allem die wirtschaftliche Entwicklung im Blick haben. 

Welche Rolle spielen indigene Völker in der brasilianischen Umweltpolitik? 

Indigene Gemeinschaften sind zentrale Akteure im brasilianischen Umweltschutz. Sie leben seit Jahrhunderten im Einklang mit der Natur und verfügen über ein tiefes Wissen über die Ökosysteme, insbesondere im Amazonasgebiet. Lange Zeit wurden sie jedoch als Hindernis für wirtschaftliche Entwicklung betrachtet. Vor etwa zehn Jahren war die vorherrschende Meinung, dass sie „stören“, weil sie keine industrielle Entwicklung wollten. 

Heute beginnt sich das Bewusstsein zu ändern. Immer mehr Menschen erkennen, dass ihr Wissen über nachhaltige Lebensweisen und ihre Verbindung zur Natur wertvoll sind – nicht nur für Brasilien, sondern für die ganze Welt. Dennoch sind indigene Völker weiterhin bedroht durch Landraub, illegale Rohstoffförderung und politische Interessen. 

Der Amazonas-Regenwald steht oft im Fokus internationaler Diskussionen. Wie wird er in Brasilien selbst wahrgenommen? 

Der Amazonas ist für Brasilien sehr wichtig – er wird ja auch als „Lunge der Welt“ bezeichnet. Aber geografisch liegt er weit entfernt von den großen urbanen Zentren wie São Paulo. Viele Brasilianer wissen zwar um seine Bedeutung, aber er ist nicht Teil ihres Alltags. Die aktuelle Regierung versucht, ihn besser zu schützen, doch wirtschaftliche Interessen – etwa an Gold und anderen Mineralien – sind stark. Der Schutz des Regenwaldes ist also eine ständige Herausforderung. Es braucht Technologie, wie Satellitenüberwachung, und eine starke politische Kontrolle, um illegale Aktivitäten zu verhindern. Aber auch internationale Unterstützung ist wichtig, denn der Amazonas betrifft uns alle.  

Oft steht der Umgang mit dem Regenwald im Fokus, wenn man über Brasilien und Umweltschutz spricht, es gibt aber auch kritische Themen, die international weniger sichtbar sind, wie etwa dem Umgang mit dem Cerrado. Diese Savannenlandschaft ist ein sehr wichtiger Kohlenstoffspeicher und sehr reich, wenn wir an die Biodiversität denken. Sie wird jedoch für den Sojaanbau gerodet. Oder nehmen Sie die städtischen Umweltprobleme. In Mega-Cities wie São Paulo sind Luftverschmutzung, Wassermanagement, Abfallentsorgung und die Sanierung von Flüssen enorme Herausforderungen. 

Gibt es in Brasilien einen Konflikt zwischen technologischer Entwicklung und Umweltschutz? 

Ja, dieser Konflikt ist sehr präsent. Es gibt ein „Umweltlager“, das sich für Schutz und Nachhaltigkeit einsetzt, und ein „Entwicklungslager“, das auf wirtschaftliches Wachstum durch Agrarindustrie und Rohstoffförderung setzt. Die Regierung versucht, beide Seiten zu verbinden – etwa durch nachhaltige Entwicklung. Aber die Interessen sind oft gegensätzlich. 

Ich persönlich glaube, dass technologische Entwicklung und Umweltschutz sich nicht ausschließen müssen. Es braucht jedoch klare politische Rahmenbedingungen und Investitionen in grüne Technologien. Brasilien hat das Potenzial, beides zu vereinen – aber es braucht Mut und langfristige Strategien. 

Wie wirkt sich die politische Spaltung Brasiliens auf den Klimaschutz aus? 

Brasilien ist derzeit stark polarisiert. Diese Spaltung betrifft auch die Umweltpolitik. Während die Regierung Lula ambitionierte Ziele verfolgt, gibt es im Parlament starke Kräfte, die andere Interessen vertreten – etwa aus der Agrar- und Bergbaulobby. Der politische Diskurs ist oft ideologisch aufgeladen, was langfristige und konsistente Umweltpolitik erschwert. Hinzu kommt die große soziale Ungleichheit. In einigen Teilen Brasiliens, hauptsächlich im Nordosten, leben Menschen von nur etwa einem Euro pro Tag und sind zum Kochen auf Holz angewiesen. Dennoch sehe ich Fortschritte, vor allem im Vergleich zur vorherigen Regierung unter Bolsonaro, die den Umweltschutz stark vernachlässigt hat. Es ist ein langsamer, aber notwendiger Wandel. 

Welche Rolle spielen die Kirchen in Brasilien beim Thema Umweltschutz? 

Die katholische Kirche hatte früher großen Einfluss, aber dieser hat abgenommen. Heute sind evangelikale Kirchen stärker präsent – viele von ihnen unterstützen das konservative politische Lager. Insgesamt spielen Kirchen in Brasilien beim Thema Klimaschutz leider nur eine geringe Rolle. Das hat mich überrascht, als ich gesehen habe, wie engagiert das Bistum Trier in diesem Bereich ist. In Brasilien fehlt oft das Bewusstsein dafür, dass Umweltschutz auch eine spirituelle und ethische Verantwortung ist. 

Was können Brasilien und Deutschland voneinander lernen? 

Deutschland kann von Brasilien lernen, wie man ein großes Land mit einem hohen Anteil von 85 Prozent an erneuerbaren Energien versorgt. Unser Strommix kann ein Vorbild sein. Mehr als 50 Prozent der Energie stammt Wasserkraft. Der Anteil von Windenergie liegt bei 16 Prozent und für Solarenergie bei elf Prozent. Umgekehrt kann Brasilien von Deutschland lernen, wie man klare Ziele setzt und sie auch umsetzt – etwa beim Atomausstieg. Auch die deutsche Expertise im Wasserschutz ist beeindruckend.  

Im Übrigen haben wir in manchem auch ähnliche Probleme: Auch bei uns wird regenerative Energie überwiegend im Norden produziert und im Süden benötigt. In beiden Ländern stehen wir also vor der Herausforderung des Transportes und der Speicherung von Energie. Auch in Bezug auf Solarenergie sind beide Länder stark abhängig von chinesischer Technologie und chinesischen Produkten. Für die Windkraft haben wir in Brasilien eine starke, eigene Industrie. 

Die Weltklimakonferenz, die COP 30, wird in wenigen Wochen in Belém stattfinden. Was bedeutet das für Brasilien? 

Es ist ein bedeutender Moment. Ich hoffe, dass endlich konkrete Maßnahmen beschlossen werden – etwa das Ziel, bis 2040 die fossilen Energien um 50 Prozent zu reduzieren. Die COP ist allerdings nicht nur eine Woche voller Reden, sondern ein laufender Prozess. Präsident Lula hat bereits erste Initiativen angekündigt. Aber es gibt auch Herausforderungen: die Diskussion um Ölförderung vor der Küste, der Einfluss der Agrarlobby und internationale Spannungen, etwa durch protektionistische Handelspolitik oder steigende Militärausgaben, die Gelder vom Klimaschutz abzuziehen. 

Was wäre für Sie persönlich ein Erfolg der COP 30? 

Ein Erfolg wäre für mich, wenn konkrete, verbindliche Ziele beschlossen werden – nicht nur Absichtserklärungen. Wir brauchen Taten. Ich bin optimistisch, dass Brasilien eine wichtige Rolle spielen kann. Aber wir haben keine Zeit mehr. Entweder wir handeln jetzt, oder es wird zu spät sein – für uns und für unsere Kinder. 

Die UN-Klimakonferenz 2025 in Belém (COP 30 für 30th Conference of the Parties, auch: 30. Weltklimakonferenz) ist vom 10. bis 21. November 2025 im brasilianischen Belém, Hauptstadt des Bundesstaats Pará.